Politik | 11. Oktober 2018

Zügig entscheiden, klar und einfach gestalten

Von Walter Eberenz
Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) steht vor wichtigen neuen Weichenstellungen. Anlässlich des 100. Landwirtschaftlichen Hauptfests veranstaltete das baden-württembergische Landwirtschaftsministerium dazu eine internationale Tagung mit hochkarätiger Besetzung.
Auf dem Podium in der Stuttgarter Porsche-Arena bei der Diskussion um die Ausgestaltung der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik (GAP), von links: Herbert Dorfmann, Abgeordneter im Europaparlament aus Südtirol, Hans-Joachim Fuchtel, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeslandwirtschaftsministerium, EU-Agrarkommissar Phil Hogan, Baden-Württembergs Landwirtschaftsminister Peter Hauk, Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes, des Landesbauernverbandes in Baden-Württemberg und des europäischen Dachverbandes der Bauernverbände (COPA), Moderatorin Isabel Kling, Pressesprecherin des Landwirtschaftsministeriums in Stuttgart.
EU-Agrarkommissar Phil Hogan konnte am 5. Oktober aus Stuttgart mitnehmen, dass die Vorschläge der EU-Kommission zur GAP nach 2020 von den meisten Akteuren der Tagung als im Ansatz positiv aufgenommen werden. Einig war man sich zum Beispiel darin, dass die EU-Fördermittel dazu gedacht sind, familiengeführte bäuerliche Betriebe zu unterstützen. „Mir ist wichtig, dass das Geld bei den Landwirten und nicht bei Hedge-Fonds ankommt”, erklärte Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner hierzu.
Unklarheiten und unterschiedliche Auffassungen traten zutage, sobald es nicht nur um die großen Linien, sondern um Detailfragen zur neuen EU-Agrarpolitik ging. So will Hogan den Mitgliedstaaten mehr Verantwortung übertragen, mehr  Gestaltungsspielräume vor Ort für Maßnahmen bieten: Ein von allen als gut empfundener Reform-Aspekt.
Hört aber die regionalisierte Kompetenzübertragung bereits bei den Hauptstädten der Mitgliedstaaten auf oder reicht sie tatsächlich bis in die Regionen hinein? Baden-Württembergs Landwirtschaftsminister Peter Hauk und der Südtiroler Europaabgeordnete Herbert Dorfmann präferieren und fordern Letzteres, wie sie auf der Tagung in der Stuttgarter Porsche-Arena bekundeten. Dorfmann begründete wie folgt, warum er nicht Rom als Dreh- und Angelpunkt der regionalisierten Kompetenzen haben will: „Wir wollen in Südtirol nicht warten müssen, bis sie in Kalabrien fertig sind.”
In Stuttgart Standpunkte zur Zukunft der GAP vertreten (von links) : Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner ...
Geldfragen spielten bei der Tagung eine wichtige Rolle. Bauernpräsident Joachim Rukwied und Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner waren sich einig, dass ein stabiles Agrarbudget nötig ist. Klöckner bezeichnete in diesem Zusammenhang die gemeinsame Agrarpolitik als „Schicksalsfrage für die Landwirtschaft und für die Zukunft Europas”.
Rukwied wiederholte seine Forderungen nach mehr Beiträgen aus den Mitgliedstaaten für den EU-Haushalt, um den Brexit und neue Aufgaben zu schultern. Die Erste und die Zweite Säule der EU-Agrarpolitik müssten auf stabilem Fundament bestehen bleiben. „Ich bin für Evolution und nicht für Revolution bei der EU-Agrarpolitik”, bekundete er.
Kretschmann sieht zu wenig ökologisches Plus
Hogan erneuerte seine Zuversicht, dass bis Frühjahr 2019 der neue EU-Haushalt unter Dach und Fach sein kann. Die an der Tagung beteiligten Regierungs- und Verbandsverteter forderten dies auch ein. Man will das Thema vor den Europawahlen im Mai 2019 „vom Tisch haben”.
Rukwied wandte sich gegen jedwede Kürzungs-, Kappungs- und Degressionspläne für die Zahlungen an die Landwirte. Er präferiert eine stärkere Förderung der ersten Hektare bis zur duchschnittlichen Betriebsgröße.
... und Winfried Kretschmann.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Grußredner auf der Tagung, monierte Kürzungspläne für die Zweite Säule, weil dadurch Umweltmaßnahmen betroffen wären. „Bei der neuen Förderperiode muss ein deutliches ökologisches Plus herauskommen”, forderte er und ergänzte: „Ich sehe dieses ökologische Plus bisher nicht.”
Von den Landwirten zu erbringende Umweltleistungen waren auch im weiteren Verlauf  der Tagung Diskussionspunkte. Sollen bereits die Direktzahlungen der Ersten Säule an besondere Umweltleistungen gekoppelt werden, und wenn ja, an welche? Oder sollen solche Maßnahmen der Zweiten Säule vorbehalten bleiben? Joachim Rukwied sprach sich gegen ein „Eco-Scheme” der ersten Säule aus, wegen der Verkomplizierung der Inhalte von Erster und Zweiter Säule.
Und wie geht es weiter mit der Bürokratie? Phil Hogan propagiert und verspricht Vereinfachungen – Berufsstandsvertreter und Politiker fordern sie ein. Wird es so kommen?
BLHV erarbeitet Position zur Ausgestaltung der neuen GAP
Informationsplattform genutzt: Aufmerksam verfolgten berufsständische Vertreter aus Südbaden die internationale GAP-Tagung des Stuttgarter Landwirtschaftsministeriums am 5. Oktober in Stuttgart (von links): Rosa Karcher, Präsidentin des Landfrauenverbandes Südbaden, Präsident Werner Räpple, ...
Mit den Vorschlägen der EU-Kommission zur Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) nach 2020 befassten sich Ende September die beiden BLHV-Fachausschüsse „Struktur” und „Nebenerwerb” unter Leitung von BLHV-Vorstandsmitglied Oswald Tröndle und BLHV-Vizepräsident Bernhard Bolkart. Die Ausschüsse empfehlen dem BLHV, folgende Position zur GAP einzunehmen.
  • Die Mitgliedstaaten sollen rechtzeitig im Frühjahr 2019 Beschlüsse zur mittelfristigen EU-Finanzierung fassen. Die Strategiepläne sollen in enger Abstimmung mit Landwirten entwickelt werden. Die Erste Säule soll einheitlich in Deutschland und die Zweite Säule von Baden-Württemberg gestaltet werden. Auf weitere Umschichtungen von der Ersten in die Zweite Säule soll verzichtet werden. Priorität in der Zweiten Säule sollen Zukunftsinvestitionen und nachhaltige Bewirtschaftung haben.
  • Direktzahlungen sollen wie bisher für Einkommen und Risikobegrenzung wirksam sein. Gesellschaftliche Sonderleistungen für Umwelt, Klimaschutz, Biodiversität und Tierwohl dürfen  in der Ersten Säule nur auf freiwilliger Basis angeboten werden.
  • Die Möglichkeit zur Erhöhung des Zuschlags der ersten Hektare soll bis zur Betriebsgröße von 100 Hektar genutzt werden.
  • Der Junglandwirte-Zuschlag soll begrenzt werden zum Beispiel auf die ersten 200 Hektar.
  • Die Grundelemente und die Konzeption der GAP müssen einheitlich in Europa gelten, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Da andere Mitgliedstaaten weiterhin gekoppelte Zahlungen insbesondere für Raufutterfresser vorsehen, sollte Deutschland zumindest für Grünland einen verwaltungseinfachen Zuschlag für die Haltung von Raufutterfressern einführen, der bis zu einem Mindesttierbesatz linear ansteigt.
  • Die Definition „echter Bewirtschafter” darf Nebenerwerbsbetriebe mit Gewinn-erzielungsabsicht nicht ausgrenzen.
  • Zur Risikominderung in der Landwirtschaft soll Deutschland eine steuerliche Gewinnrücklage einführen und auf die 19-prozentige Versicherungssteuer verzichten.
  • Möglichkeiten zur Vereinfachung müssen konsequent genutzt werden:  Die Abschaffung des EU-Anlastungssystems, die Beachtung der Verhältnismäßigkeit von Kontrollen und die Einführung praktikabler Bagatellgrenzen könnten das Vertrauen in die Behörden stärken.
... Fachreferent Hubert God, Hauptgeschäftsführer Benjamin Fiebig, Vorstandsmitglied Oswald Tröndle (jeweils BLHV).
Verzichtet werden sollte auf das ZA-Prämienrechtssystem, Quadratmetergenauigkeit, Herausmessen von kleinen Teilflächen sowie auf betriebliche Ergebnisorientierung. Die Anwendung einer „Pro Rata”-Regelung könnte das Bruttoflächenproblem von Bergweiden lösen.
Der Ackerstatus von Ackerfutter und Ackerbrachen sollte auch ohne bürokratische Pflug-Regelung erhalten bleiben.
Anlässlich der BLHV-Klausurtagung in der übernächsten Woche werden Vorstand und Kreisvorsitzende die Positionierung des Verbandes erarbeiten.