Tierhaltung | 08. April 2020

Wölfe gehen ungern Risiken ein

Von Laura Huber-Eustachi, Micha Herdtfelder und Frank Lamprecht, FVA Freiburg
Nur wer weiß wie Wölfe „ticken”, kann sinnvolle Schutzmaßnahmen für Weidetiere ergreifen. Hilfreiche Tipps gibt es bei der Herdenschutzberatung der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) in Freiburg.
Bei einem Forschungsprojekt unter Beteiligung der FVA wurde das Verhalten von Gehegewölfen an Zäunen untersucht. Zu sehen ist ein Wolf beim Versuch, sich unter einem Zwei-Litzen-Zaun (Litzenhöhen 25 und 65 cm) hindurchzugraben. Es zeigte sich, dass die Wölfe ausschließlich versuchten, die Zäune durch Untergraben und -kriechen zu passieren.
Innerhalb von bestätigten Wolfsterritorien wie der „Förderkulisse Wolfsprävention” im  Nordschwarzwald ist Herdenschutz für Schafe, Ziegen und Gatterwild unabdingbar. In der Förderkulisse werden Herdenschutzmaßnahmen über Mittel der Landschaftspflegerichtlinie (LPR) finanziell gefördert. Zugleich ist ein definierter Grundschutz (siehe Infokasten) dort Voraussetzung für Ausgleichszahlungen, falls ein Wolf Schafe, Ziegen oder Gatterwild erbeutet. Für andere Nutztiere oder außerhalb der Förderkulisse gilt diese Einschränkung nicht.
Die Vorgaben des Grundschutzes stellen einen Kompromiss zwischen den in der Landwirtschaft üblicherweise verwendeten Zäunen und einer Schutzwirkung vor dem Wolf dar. Er bietet bereits eine wirksame Abwehr gegen Wolfsübergriffe. Der darüber hinausgehende empfohlene Schutz bei Wolfsanwesenheit erhöht die Sicherheit für die Weidetiere noch einmal deutlich.
Sinnvoll sind Herdenschutzmaßnahmen aber nicht nur in Gebieten mit territorialen Wölfen, sondern auch in daran angrenzenden Gebieten oder dort, wo es regelmäßig Nachweise von Wölfen gibt. Um die eigenen Weidetiere zu schützen, wird empfohlen, sich frühzeitig über die Möglichkeiten des Herdenschutzes zu informieren und diese auch heute schon bei der Neugestaltung von Zäunen zu berücksichtigen.
Geeignete Herdenschutzmaßnahmen können die Gefahr von Wolfsübergriffen erheblich verringern. Klar ist aber auch, dass Übergriffe nie zu 100 Prozent verhindert werden können. Daher kann man  ganz generell nicht von „wolfssicheren”, sondern nur von „wolfsabweisenden” Maßnahmen  sprechen.
Nötiger Grundschutz
In der Förderkulisse Wolfsprävention Nordschwarzwald muss  folgender Grundschutz bei Weidezäunen erfüllt sein als Voraussetzung für Ausgleichszahlungen für  nachweislich durch den Wolf gerissene Schafe oder Ziegen:
  • Höhe elektrifizierter Mobilzaun: mindestens 90 cm
  • Höhe Festzaun: mindestens 120 cm
  • ohne Elektrifizierung ist ein Untergrabschutz erforderlich
  • Stromspannung am Zaun: mindestens 4000 V
  • Stromspannung an Erdung nach Kurzschluss: maximal 600 V
  • Abstand unterste Litze zum Boden: maximal 20 cm
Nähere Informationen auf der Internetseite des  Umweltministeriums:
https://um.baden-wuerttemberg.de.
Dem Wolf den Zugang zur Weide erschweren
Auch Dohlen für Bäche, die einen größeren Durchmesser haben, können Wölfen einen Weg auf die Weide bieten. Sie sollten daher stets abgedichtet werden.
Die Basis für den erfolgreichen Herdenschutz liefert die Verhaltensökologie des Wolfes. Wölfe sind sehr intelligente und lernfähige Rudeltiere. Gleichzeitig zeichnen sich die erwachsenen Tiere durch ein sehr vorsichtiges Verhalten gegenüber unbekannten oder schwer einzuordnenden Strukturen aus. Das Verhalten des Wolfes zu kennen und zu verstehen hilft dabei, den  Blick für die entscheidenden Details beim Schutz der Weidetiere zu schärfen und geeignete Maßnahmen auszuwählen.
Negative Konditionierung:  Schmerzhafte Erfahrung durch Strom
Die schmerzhafte Erfahrung eines Stromschlags wirkt nicht nur bei Nutztieren oder Hunden abschreckend, sondern auch bei Wölfen. Ein Stromzaun stellt weniger eine mechanische als eine psychologische Barriere dar. Die negative Erfahrung des Stromschlags führt in aller Regel zu erheblichem Respekt vor dem Zaun bzw. einer Meidung von Zäunen. Damit der Strom seine abschreckende Wirkung entfaltet, müssen alle Komponenten des Zaunsystems optimal aufeinander angepasst sein.
Vermeidung von Sprüngen über elektrifizierte Zäune
Elektrifizierte Zäune scheinen für Wölfe ein schwer einschätzbares Hindernis darzustellen. Wölfe scheuen in der Regel den Sprung über elektrifizierte Zäune, sobald diese höher sind als sie selbst. Gehegeversuche konnten eindrücklich belegen, dass selbst niedere Litzenzäune nicht automatisch übersprungen werden. Hundehaltern mag dies bekannt sein: Viele Hunde lernen erst durch Training, über Zäune zu springen. Ein nicht elektrifizierter Zaun kann hingegen überklettert werden.
Der Wolf hat circa 70 cm Stockmaß und sollte nicht in der Lage sein, über den Zaun hinweg schauen zu können. So kann ein Überspringen in aller Regel bereits verhindert werden. Bei der Wahl der Zaunhöhe  sollte das umliegende Gelände berücksichtigt werden. In der Ebene werden 105 cm empfohlen, in Hanglage kann die Installation einer zusätzlichen Litze auf 120 cm notwendig sein.
Durchschlüpfen, Unterkriechen oder Untergraben von Zäunen
Wölfe versuchen in der Regel, unter einem Zaun hindurch zu kommen anstatt ihn zu überspringen. Auch dies konnte in verschiedenen Gehegeversuchen mit Litzen- und Netzzäunen gezeigt werden. Da der Brustkorb eines Wolfes circa 25 cm breit ist, sollte die unterste stromführende Litze nicht mehr als 20 cm vom Boden entfernt sein, damit sich das Tier nicht darunter durchdrücken kann bzw. beim Versuch zu graben ebenfalls mit dem Zaun in Berührung kommt. Wenn keine Abschreckung durch einen Stromschlag erfolgt, nutzen Wölfe zum Beispiel vorhandene kleinere Durchschlüpfe (von Fuchs etc.), indem sie diese erweitern, oder sie graben selbst einen neuen Durchlass. Auch Dohlen oder Gräben, die unter dem Zaun hindurchführen, müssen beachtet  und möglichst so abgedichtet werden, dass ein Wolf nicht mehr hindurch passt. Bei großen Dohlen kann dies zum Beispiel durch einen Bauzaun erreicht werden. Bei Gräben oder Bächen kann mit zusätzlichen Litzen gearbeitet werden.
Ausbruchssicherheit gegenüber Einbruchssicherheit – Barrieren, die keine sind
Auf allen Seiten der Weide sollte mit wolfsabweisenden Zäunen gearbeitet werden, denn Wölfe können viele Strukturen überqueren, die für Nutztiere Barrieren sind. Bäche und Flüsse können durchschwommen werden. Eine Trockensteinmauer, welche die Nutztiere am Ausbrechen hindert, kann als Einsprungmöglichkeit genutzt oder überklettert werden. Auch Baumstümpfe, Bänke, Holzstapel oder andere Geländestrukturen, die direkt an eine Weide angrenzen, können dem Wolf das Eindringen ermöglichen und sollten unbedingt berücksichtigt werden. Wenn sie nicht entfernt oder verlegt werden können, sollten sie zum Beispiel für die Dauer der Beweidung ausgezäunt werden.
Angst vor Neuem
Die sogenannte „Neophobie” wurde an Gehegewölfen erforscht und ist auch von freilebenden Wölfen bekannt. Während die Angst von Wölfen vor unbekannten, sich bewegenden Objekten früher bei der „Lappjagd” („durch die Lappen gegangen”) mit Lappenzäunen genutzt worden ist, können heute ähnliche Maßnahmen wie  Flatterbänder/Lappen an Zäunen oder Blinklichter abschreckend auf die Tiere wirken. Da alles Neue aber mit der Zeit vertraut wird, verliert diese Abschreckung nach der Dauer von einigen Wochen ihre Wirkung. Diese Maßnahmen werden empfohlen, wenn ein Riss in unmittelbarer Nähe der Weidetiere stattgefunden hat.
Farbwahrnehmung
Wölfe nehmen in der Dämmerung besonders gut Hell-Dunkel-Kontraste war. Da auch andere Wildtiere Kontraste besser erkennen können als zum Beispiel die Farbe Orange, kann bei der Wahl von Flatterband und anderem Material mit der Berücksichtigung  der Farbwahl eine bessere Wahrnehmung und Abschreckung erzielt werden.
Abwägung von Risiken
Für Wölfe ist es von essenzieller Bedeutung, sich bei der Jagd keine gravierenden Verletzungen zuzuziehen.
Flatterbänder haben für einen begrenzten Zeitraum einen abschreckenden Effekt. Auch andere Wildtiere können den Zaun so besser wahrnehmen und es kann dadurch zu einer Verringerung von Wildschäden kommen.
Daher wägen sie genau ab, wie hoch das Risiko eines Angriffs ist. Gefahr kann zum Beispiel von den Beutetieren selbst ausgehen – dementsprechend sind Schafe oder Ziegen weitaus mehr gefährdet als wehrhafte Tiere wie Rinder und Pferde.
Ein besonderes Risiko beim Angriff auf Nutztiere stellen Herdenschutzhunde dar. Diese zeigen Wölfen gegenüber durch lautes Bellen und durch körperliche Präsenz sehr deutlich, dass sie ihre Nutztierherde aktiv verteidigen. Sie bilden insbesondere in Kombination mit einem Elektrozaun eine sehr wirkungsvolle Abschreckung gegenüber Wolfsangriffen. In den meisten Fällen gehen Wölfe diesem Risiko aus dem Weg und suchen andernorts Nahrung. Herdenschutzhunde sind allerdings nicht für jeden Tierhalter und jede Weide geeignet und sollten daher nur wohlüberlegt und nach Aufsuchen fachlicher Beratung angeschafft werden.
Herdenschutzberatung der FVA nutzen
Die  genannten Punkte stellen nur eine Auswahl der Aspekte dar, die bei der Einrichtung eines sachgerechten und effektiven Herdenschutzes zu berücksichtigen sind. Im In- und Ausland gibt es zahlreiche Maßnahmen und Ansätze, die sich bewährt haben.
Die Aufgabe der Herdenschutzberatung an der FVA ist es, bewährte Lösungsansätze wie auch neue Entwicklungen im Herdenschutz auf nationaler und internationale Ebene aufzugreifen, fachlich zu bewerten und das Wissen den Tierhaltern zur Verfügung zu stellen. Die FVA kooperiert dabei mit dem Projekt „Herdenschutz Baden-Württemberg”. In diesem Projekt des Landesschafzuchtverbandes und des NABU wurden beispielsweise Litzen mit leitfähigen Ummantelungen recherchiert, welche zu weniger Ableitung führen, oder die Entwicklung von leichteren Weidenetzen angeregt. Zu anderen exotischen Maßnahmen, wie bestimmte Abwehrhalsbänder, wurde im Rahmen des Projekts ebenfalls recherchiert, es konnten jedoch bisher keine Indizien für einen zuverlässigen und praktikablen Herdenschutz gefunden werden. Trotzdem bieten die laufend weiter entwickelten technischen Möglichkeiten und Innovationen ein großes Potenzial für Erleichterung bei der Umsetzung des Herdenschutzes. Ein Beispiel hierfür sind Weidezaungeräte, die die Zaunspannung automatisch aufzeichnen und den Tierhalter per SMS warnen, wenn diese abfällt.
Der Schwerpunkt in der Beratung der FVA liegt auf dem Einsatz von elektrifizierten Weidezäunen, andere durchaus effektive Maßnahmen wie Behirtung und der Einsatz von Hunden werden ebenfalls mit einbezogen. Obwohl Hunde bisher aufgrund von unter anderem  nicht restlos geklärter Rechtslage in Baden-Württemberg eher selten zum Einsatz kommen, stellen sie bei sachgerechtem Einsatz bewährte und effektive Maßnahmen des Herdenschutzes dar.
Eine betriebsspezifische Herdenschutzberatung hat zum Ziel, unter Berücksichtigung der der lokalen Gegebenheiten gemeinsam mit dem Tierhalter angemessene Maßnahmen zum besseren Schutz der Herden auszuwählen oder zu erarbeiten. Auch der Austausch mit den regionalen Behörden und die Umsetzung der Maßnahmen können von dem Team der Herdenschutzberatung unterstützend begleitet werden.
Herdenschutz ist oft nicht schnell und einfach umsetzbar. Die Maßnahmen müssen aber auch nicht immer einen langfristig größeren Aufwand für den Tierhalter bedeuten. Manche Lösungen erfordern einen einmalig höheren Aufwand, können aber langfristig eine Zeitersparnis für den Tierhalter bedeuten. Bestes Beispiel hierfür ist die Verlegung der Zauntrasse an befahrbare Wege, die dem Tierhalter die Wartung und die tägliche Zaunkontrolle erleichtert. Um Tierhalter bei der Umsetzung von kosten- und zeitintensiven Maßnahmen zu unterstützen, werden bei Anwesenheit territorialer Wölfe entsprechende Förderprogramme durch das Umweltministerium eingerichtet. Diese werden auf Anregung der Tierhalterverbände derzeit weiterentwickelt.
Kontakt zur Herdenschutzberatung telefonisch unter 0761/4018274 oder per E-Mail an info@wildtiermonitoring.de.
Anlaufstelle FVA
Die Rückkehr der Wölfe erfordert insbesondere  bei   Kleinwiederkäuern den Einsatz von Herdenschutzmaßnahmen. Im Sommer 2019 wurde eine landesweite Koordinationsstelle für die Herdenschutzberatung in Baden-Württemberg eingerichtet. Diese liegt im Arbeitsbereich Große Beutegreifer bei der FVA.