Der Agrarsprecher der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten (S&D) im Europaparlament, Paolo De Castro, befürchtet nicht nur eine starke Renationalisierung der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP), sondern auch mehr Bürokratie in den Mitgliedstaaten.
Der ehemalige italienische Landwirtschaftsminister beklagt im Interview mit dem Fachpressedienst Agra Europe, dass die strategischen Pläne zur Reform
der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) nach 2020, so wie sie derzeit konzipiert seien, den größten Teil der Regulierung und Umsetzung an die Mitgliedstaaten delegierten. Dies wäre aus Sicht De Castros ein großer Fehler.
Zugleich äußerte der Europaabgeordnete die Sorge, dass es in jedem Fall auf Ebene der Mitgliedstaaten erheblich mehr Bürokratie geben wird, sollten die Vorschläge nicht deutlich nachgebessert werden.
Menükarte vorgeschlagen
Der S&D-Agrarsprecher pocht darauf, die wichtigsten
Regeln auch weiterhin auf europäischer Ebene festzulegen. In diesem
Zusammenhang schlägt er eine Art Menükarte vor, indem man eine Liste von
beispielsweise 20 oder 30 verschiedenen, auf EU-Ebene definierten
Umweltmaßnahmen anbieten könnte, aus der jeder Mitgliedstaat zum
Beispiel zehn auswählen könne. Laut De Castro würde dies dem
Mitgliedsland die notwendige Flexibilität geben, es jedoch nicht dem
Risiko ausliefern, versehentlich etwas falsch zu machen und dann
Strafzahlungen an Brüssel leisten zu müssen.
Überdies gab der Italiener, der auch schon einen Beraterposten unter
dem früheren EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi innehatte, zu
bedenken, dass je mehr man den Mitgliedstaaten überlasse, desto weniger
koordiniert und effektiv seien die gemeinsamen Ziele zu erreichen.
Auch müsse die Frage beantwortet werden, wie mit der neuen Idee der
gewählten Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen – dem „Green
Deal” – umgegangen werden solle, erklärte De Castro. Hier brauche es
einen EU-weit koordinierten Ansatz. Dies könne ohne die Landwirtschaft
durch nationale Strategiepläne nicht effektiv beantwortet werden.
Nichtsdestoweniger lehnt der S&D-Agrarsprecher es ab, dass der
designierte EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski aus Polen neue
GAP-Vorschläge vorlegt. Der Landwirtschaftsausschuss habe bereits viel
Zeit in die vorliegenden Entwürfe investiert und dabei gute Arbeit
geleistet. Auf die Diskussion zur Obergrenze der Direktbeihilfen
angesprochen stellte der Agrarökonom fest, dass die S&D-Fraktion
mehrheitlich zwar dafür sei. Trotzdem sollte die Begrenzung „eine
gewisse Flexibilität” aufweisen.
„Schwarze Listen” anlegen
Außerlandwirtschaftliche Investoren will der EU-Agrarpolitiker
durch „Schwarze Listen” von den Geldtöpfen fernhalten. Wenn klar
definiert sei, wer ein Bauer ist und wer nicht, wie zum Beispiel
Versicherungsunternehmen oder Golfclubs, sei das Problem gelöst, zeigt
sich De Castro überzeugt. Konkrete Ergebnisse zur GAP erwartet der
Agrarsprecher für den Sommer kommenden Jahres.
Mit Blick auf das zwischen der EU-Kommission mit den Mercosur-Staaten
ausgehandelte Freihandelsabkommen sieht der Italiener die europäische
Landwirtschaft in der Defensive. Auf den Nutzen für sein Heimatland
Italien angesprochen, äußerte er zwar die Erwartung, dass die
Weinexporte ein wenig zunehmen könnten. Nichtsdestoweniger seien die
Risiken auch für die italienischen Landwirte groß. Bei den für Italien
wichtigen herkunftsgeschützten Spezialitäten sieht er keine
Verbesserung.