Pflanzenbau | 25. Juni 2020

„Wir wissen nicht mehr, was wir machen sollen”

Von Gernot Raiser
Nach dem Verbot von Mesurol als Beizmittel werden die Maisbestände von Saatkrähen und Fritfliegen heimgesucht. Das ganze Ausmaß der Schäden wurde deutlich bei einem Vor-Ort-Termin in der Nähe von Bad Krozingen, zu dem betroffene Landwirte, Berater und Fachleute kamen.
Die Krähenschäden sind nicht zu übersehen: Ekkehard Hipp vom Maiswerk Heitersheim zeigt den ins Auge springenden Unterschied zwischen koritgebeiztem Mais – 30 bis 40 cm hoch im Hintergrund – und einer Versuchsfläche, auf der ungebeizte Maiskörner ausgesät worden sind – die Folge war Kahlfraß mit anschließender Neuansaat im Vordergrund.
Dominic Grethler, Saatmaiserzeuger aus Biengen, mit rund 1000 Nestern einem der Brennpunkte der Krähenplage, zeigte sich enttäuscht, dass selbst die wenigen Ansätze, das bisher ungebremste Wachstum der Population zu bremsen, wirkungslos steckengeblieben seien. Er berichtete, dass der Anbau von Wintergerste in der Region bereits zum Erliegen gekommen sei, weil für diese Kultur kein repellentes Beizmittel zur Verfügung stehe. „Wir wissen nicht mehr, was wir machen sollen”, lautet sein nüchternes Fazit.
Die einzige zulässige Methode der „Geburtenkontrolle” ist der Austausch von Eiern in den Nestern durch Attrappen. Dazu wusste Landwirt Alexander Meyer, einer der Initiatoren der Maisfeldbegehung, zu berichten, dass schon einmal eine teure und aufwendige Eiertauschaktion abgebrochen werden musste, weil sich nach Ansicht eines anwesenden Ornithologen in einem der entnommenen Eier bereits ein sich entwickelnder Embryo befunden habe.
Schäden auf breiter Front
Nach den Erfahrungen von Egon Busam, Jäger und BLHV-Vizepräsident, zeigen Vergrämungsabschüsse praktisch keine Wirkung. Genehmigt sei immer nur der Abschuss eines einzelnen Tieres, maximal vier pro Hektar. Busam erläuterte zum Hintergrund der Krähenplage, dass es den Naturschutzverbänden vor Jahren gelungen sei, Rabenvögel in der EU-Vogelschutzrichtlinie pauschal als Singvögel einstufen zu lassen, was eine umfassende Unterschutzstellung zur Folge gehabt habe.
Hubert God vom BLHV ergänzte, dass die EU in der Frage des Krähenschutzes durchaus Entscheidungsspielraum auf nationaler Ebene gewähre. Es sei den Mitgliedsstaaten überlassen, die Saatkrähen als jagbare Tierart einzustufen. In England und Frankreich sei dies geschehen. Anders in Deutschland. Und hierzulande müssten einem solchen Vorstoß auf EU-Ebene die Naturschutzminister sämtlicher Bundesländer zustimmen, was in der gegenwärtigen politischen Lage völlig aussichtslos sei. „Mit einem solchen Vorstoß zur Einstufung der Saatkrähen als jagbare Vogelart ist im übrigen schon Landwirtschaftsministerin Gerdi Staiblin auf breiter Front gescheitert”, erinnerte sich God.
Saatkrähen sind Allesfresser und schädigen landwirtschaftliche Kulturen auf vielfältige Weise. Neben Maiskörnern und -keimlingen stehen auf ihrem Speiseplan unter anderem Hirse, Kirschen, Erdbeeren, Kürbisse und Kolben von Saatmais im Stadium der Milchreife. Aus Spieltrieb oder Neugier zerpicken sie sogar die Trichogrammakapseln auf den Maisfeldern und gefährden dadurch die biologische Maiszünslerbekämpfung, wie Pflanzenbauberater Raphael Maurath beobachtet hat.
Dass die Zeit drängt und die Branche schnell reagieren sollte, um größeres Unheil abzuwenden, war Hubert Sprich von der ZG Raiffeisen ein wichtiges Anliegen: „Dieses Jahr konnte der Körnermais noch alternativ zu Mesurol mit Korit gebeizt werden. Hoffentlich wird dies auch 2021 der Fall sein. Aber es ist davon auszugehen, dass der Altwirkstoff Ziram danach seine Zulassung verliert. Wenn wir nicht 2022 ganz ohne Beizmittel dastehen wollen, müssen wir jetzt praktikable Alternativen auf den Weg bringen.” Alternative Beizmittel wie Chilipulver haben laut Praktikerberichten bisher nur teilweise Wirkung gezeigt.
Neuer Schädling Fritfliege
Für das ungeübte Auge steht dieser Maisbestand in der Nähe von Staufen gar nicht schlecht da. Hubert Sprich von der ZG Raiffeisen (links) warnt vor Ertragsverlusten und ungleichmäßiger Abreife. Die Fachleute befürchten, dass der Ernteschaden hier etwa 70 % betragen könnte.
An der zweiten Station der Feldbegehung wurde ein Maisschlag von Alexander Meyer besichtigt, der nach dem Wegfall der Mesurolbeize in diesem Jahr massiv unter Fritfliegenbefall gelitten hat.  Die alternative Beizung mit Korit mit dem Wirkstoff Ziram hat zwar eine Vergrämungswirkung gegen Vogelfraß. Es fehlt aber die systemische Verteilung im Pflanzengewebe, die dem Wirkstoff Methiocarb in Mesurol zu eigen ist. Fritfliegen werden deshalb von Korit nicht erfasst.
Nach den Beobachtungen von Hubert Sprich sind die Maisanbauer durch das Mesurolverbot in eine neuartige Zwickmühle geraten. Bisher sei es möglich gewesen, dem Mais durch einen gezielt frühen oder späten Aussaatzeitpunkt optimale Startbedingungen zu verschaffen. Jetzt drohten bei früher Saat Schäden durch Fritfliegen, bei später Saat durch Saatkrähen.
Völlig ungeklärt ist derzeit, wie zukünftig Schäden durch Fritfliegen abgewehrt werden könnten. Kerstin Hüsgen vom  LTZ Augustenberg berichtete, dass Beratung und Forschung in Erwartung des Wegfalls des Wirkstoffs Methiocarb vor allem alternative Methoden zur Abwehr von Vogelschäden in den Blick genommen hätten und niemand mit dem massiven Auftreten der Fritfliegen gerechnet habe. Die Schutzwirkung des systemischen Wirkstoffes war über Jahrzehnte vorhanden, wurde aber im Vergleich zur Krähenabwehr gar nicht so wahrgenommen.
Doppelter Schaden und Totalverlust durch Fritfliegenbefall: Der ehemalige Haupttrieb der Maispflanze wurde vom Maisbeulenbrand infiziert und deformiert, die Not-Seitentriebe wachsen horizontal.
Fritfliegen als relevante Schädlinge waren bisher vor allem aus Brandenburg bekannt. Das starke Auftreten in Süddeutschland hängt vermutlich auch mit dem Klimawandel zusammen, vor allem mit den überdurchschnittlich hohen Temperaturen zu Beginn des Frühlings.
Diskutiert wurde bei der Veranstaltung auch die Frage, wieso aus dem benachbarten Elsass weder von Problemen mit Saatkrähen noch mit Fritfliegen berichtet wird. Hubert Sprich verwies in diesem Zusammenhang auf die in Frankreich im Maisanbau – gegen den Maiswurzelbohrer, Drahtwürmer und Erdraupen – standardmäßig eingesetzten insektiziden Bodengranulate wie Belem. Möglicher-
weise bestehe eine Nebenwirkung gegen Fritfliegen.  Ekkehard Hipp vom Maiswerk Heitersheim machte darauf aufmerksam, dass in Frankreich bei der chemischen Unkraubekämpfung meistens auch gleich ein Pyrethroid mit in den Tank gegeben werde, was den  Schäden durch Fritfliegen vorbeuge.
Der Schädling ließe sich vermutlich gezielt bekämpfen mit einer Pyrethroidspritzung zum Zeitpunkt der Eiablage. Aber genau hier liegt das Problem: Es gibt kein Monitoringverfahren, das Beratung und Fachbehörden in die Lage versetzen würde, die Landwirte, beispielsweise per Warndienstaufruf, über den richtigen Zeitpunkt für eine Spritzung zu informieren.
Auswege gesucht
Nicht nur über Wirkstoffe, Zulassung und Forschung wurde bei der Feldbegehung diskutiert. Um den in der Öffentlichkeit dominierenden Vogelschützern etwas entgegenzusetzen, müsse die Unterstützung der breiten Bevölkerung für eine Begrenzung der Saatkrähenpopulation gewonnen werden. Ideen dazu sind das Auslegen von Unterschriftenlisten, Zeitungsartikel oder der Aufruf zu einer Saatkrähen-Zählung in einem definierten Zeitfenster, an der  jeder Bürger teilnehmen könnte. Vorbilder sind das Singvogel- und Insektenmonitoring der Naturschutzverbände.