Politik | 30. Juni 2016

„Wir brauchen keine Agrarwende”

Von Walter Eberenz
Der Markt- und Preiskrise zum Trotz unterstrich Präsident Joachim Rukwied bei der Mitgliederversammlung des Deutschen Bauernverbandes in einer kämpferischen Rede das Selbstverständnis und Selbstbewusstsein des Berufsstandes. Von der Politik forderte er Krisenhilfen und Zuverlässigkeit.
Joachim Rukwied bekam für seine Rede in Hannover viel Beifall der Delegierten.
„Ein Land ohne Landwirtschaft hat keine Zukunft. Deshalb braucht Deutschland die Bäuerinnen und Bauern”, betonte Rukwied am Mittwoch vor den rund 600 Delegierten im Kongresszentrum in Hannover und erhielt dafür Beifall.
Den gab es noch mehrmals während der Grundsatzrede beim Bauerntag, dem der Deutsche Bauernverband (DBV) das Motto gab: „Zukunft sichern, Bauern stärken”. Am Ende applaudierten die Delegierten aus allen Ecken der Republik Rukwied  stehend. Es war zu spüren, dass Balsam für die Bauernseelen gebraucht wurde – und Balsam bekamen sie.
Das derzeitige Umfeld für die Landwirtschaft bezeichnete  Rukwied als unruhig und turbulent. Als Stichworte dazu nannte er den Brexit, Terroranschläge, politische Unruhe und Auseinandersetzungen in Teilen der Welt sowie das Erstarken der „politischen Ränder” in Deutschland.
Es geht nicht um das Produkt
BLHV-Präsident Werner Räpple (links) führte die südbadische Delegation auf dem Bauerntag in Hannover an.
Hinzu kämen zunehmende polemische Angriffe auf die Landwirtschaft von bestimmten Politikern und Nichtregierungsorganisationen. So gehe es denen bei Glyphosat nicht um das Produkt an sich, sondern darum, „den ersten Pfeiler im chemischen Pflanzenschutz einstürzen zu lassen, um danach so weitermachen zu können”. Gegen derlei Angriffe verwahrte sich Rukwied, nannte  namentlich Anton Hofreiter, den Vorsitzenden der Grünen-Bundestagsfraktion, wegen der Vorwürfe der „Massentierhaltung” und Bundesumweltministerin Barbara Hendricks wegen ihrer Behauptung, der Maisanbau sei schuld an den Schäden durch Starkregen. Beiden unterstellte er, über die Zusammenhänge nicht Bescheid zu wissen.
Sachlich, nicht polemisch
Gleichwohl merkte er   an, dass sich die Landwirtschaft Kritik aus der Gesellschaft stellen müsse, Dinge reflektieren und hinterfragen müsse. Die Diskussion müsse jedoch sachlich geführt werden und nicht über polemische Angriffe. So könne man mit „anständig und hart arbeitenden Bauern nicht umgehen”. „Wir brauchen keine Agrarwende”, machte Rukwied unter Beifall ebenso klar. Die deutsche Landwirtschaft produziere tiergerecht und nachhaltig, mit der Natur.
Zur Standort-Definition der Landwirtschaft in Deutschland gehöre eine flächendeckende Landbewirtschaftung mit Tierhaltung in allen Regionen sowie der Einsatz technischer Innovationen.  Bei der Marktorientierung habe der Heimatmarkt erste Priorität, dann komme Europa. Der Export in Länder außerhalb Europas gehöre jedoch ebenfalls zur Zukunft der deutschen Landwirtschaft.
Die deutsche Landwirtschaft verortet Rukwied im Mittelstand, der in Deutschland die tragende Säule der Gesellschaft sei. Ausdrücklich bekannte er sich  zur Marktorientierung,  mit  Chancen, aber auch mit den Risiken („die sind mit im Gepäck”). „Die politischen Risiken, die aus der Gesellschaft heraus entstehen, sind jedoch die gefährlicheren, wenn es um die Zukunft der Landwirtschaft geht”, machte der DBV-Präsident  deutlich.
Marktpartner gefragt
Bei der Bewältigung der Marktkrise sieht er  die Marktpartner gefragt. Regionale Ansätze zu einer politisch angeordneten Marktsteuerung hält er nicht für zielführend. Rukwied nannte Bestrebungen, eine Branchenorganisation einzurichten. Der Bund solle hierfür die Anschubfinanzierung gewähren.
Als Hauptursache für die Markt- und Preiskrise machte Rukwied politische Entscheidungen aus: das Russland-Embargo und die instabilen Regionen Naher Osten und Nordafrika. Deshalb sei  die Politik in der Pflicht.  Konkret forderte er, dass der Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt das „plus x” hinter dem angekündigten Hilfspaket beim Deutschen Bauerntag (am Donnerstag, nach Redaktionsschluss) mit Zahlen und Maßnahmen hinterlegen müsse.
Die bisherigen Hilfsmaßnahmen anerkannte er, qualifizierte sie jedoch angesichts der Milliardenverluste  der Landwirtschaft als „Tropfen auf den heißen Stein”.
Rukwied wiedergewählt
Bei den Wahlen zum Präsidium des Deutschen Bauernverbandes (DBV) wählte die Mitgliederversammlung  Joachim Rukwied für vier weitere Jahre zum Präsidenten. Der 54-jährige Landwirt aus Eberstadt bei Heilbronn erhielt 521 Stimmen, das sind 88,8% (Erstwahl 2012: 95,4%) der Delegiertenstimmen. Erster Stellvertreter von Rukwied bleibt Werner Schwarz (56) aus Schleswig-Holstein. Er erhielt 95,7% (vorige Wahl: 92,9%) Ja-Stimmen. Als weitere Vizepräsidenten wurden Walter Heidl (56) aus Bayern mit 92,8% der Stimmen und Werner Hilse (64) aus Niedersachsen mit 83,6% der Stimmen wiedergewählt. Neuer Vizepräsident ist Wolfgang Vogel (64) aus Sachsen, der 75,5%  der Stimmen erhielt. Er ist Nachfolger von Udo Folgart, der nicht mehr zur Wahl antrat.