Landwirte und Gesellschaft müssen in der Tierschutzdebatte einen Schritt aufeinander zugehen. Dazu bedarf es einerseits einer besseren Aufklärung der Gesellschaft und andererseits höherer Standards in der Tierhaltung.
Nutztierhaltung in der Diskussion: Aufeinander zugehen statt Fronten verhärten, empfahlen Referenten auf einer Fachtagung in Montabaur.
Darin waren sich die Referenten der Herbsttagung der Verbindungsstelle Landwirtschaft-Industrie (VLI) einig, die am 21. Oktober in Montabaur stattfand. Diskussionsbedarf gab es aber bezüglich der Frage, welche Maßnahmen auf welche Weise realisiert werden sollten.
Kritik nicht pauschal abwehren
Der Vorsitzende des Wissenschaftlichen
Beirats für Agrarpolitik beim Bundeslandwirtschaftsministerium,
Professor Harald Grethe, appellierte an die Landwirte, die
gesellschaftliche Kritik nicht pauschal abzuwehren. Gleichzeitig müssten
aber „unsinnige Verquickungen” in der Diskussion, wie beispielsweise
der Begriff der Massentierhaltung, aufgegeben werden. Schließlich gehe
es nicht um die „Masse der Tiere”, sondern um die Qualität der Haltung.
Um hier Verbesserungen zu erreichen, empfahl Grethe auch staatliche
Hilfen.
Initiative Tierwohl beispielhaft
Indes zeigte sich der
Vizepräsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), Philipp Schulze Esking, sehr kritisch gegenüber der Aussicht, „das
unternehmerische Handeln wieder an staatlichen Töpfen” ausrichten zu
müssen. Der „einzig erfolgversprechende Weg” führe über die Wirtschaft.
Beispielhaft sei hier die Initiative Tierwohl.
Als Zeichen eines
grundsätzlichen Paradigmenwechsels bezeichnete der
Landwirtschaftsbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland
(EKD), Dr. Clemens Dirscherl, die aktuelle Debatte und wurde darin
bestärkt von Professor Peter Kunzmann von der Tierärztlichen
Hochschule Hannover. Nach Ansicht des Vorstandsvorsitzenden vom Bund
Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), Dr. Felix Prinz zu Löwenstein, bedarf die Umstellung der Tierhaltung einer weitreichenden
Reform der Produktionsbedingungen nach dem Vorbild der ökologischen
Landwirtschaft.
Lebensmittelhandel in der Pflicht
Grethe hob als
vorbildlich bei der Realisierung besserer Haltungsstandards in
Übereinstimmung mit weiteren Referenten die privatwirtschaftliche
Initiative Tierwohl hervor. Ein wichtiger Schritt sei den beteiligten
Akteuren vor allem mit der Einbindung des Lebensmitteleinzelhandels
gelungen. Im Moment werde jedoch „der Schwarze Peter im Kreis geschoben”
bei der Frage, welche der beteiligten Parteien das Geld zur
Finanzierung der Maßnahmen einzahlen müsse. „Ich halte es für enorm
wichtig, den Lebensmitteleinzelhandel hier bei seiner Verpflichtung zu
halten”, betonte der Wissenschaftler.
Die Schlachtunternehmen in die
Pflicht zu nehmen, sei aus Sicht des Berufsstandes hingegen
problematisch, da diese gegenüber ausländischen Unternehmen an
Wettbewerbsfähigkeit einbüßten. Folglich wäre es für den deutschen
Einzelhandel dann attraktiver, bei ausländischen Schlachtereien
einzukaufen. Grethe: „Das Bestechende an der Tatsache, dass der
Lebensmitteleinzelhandel Gelder an die Initiative abführt, ist, dass die
Konsumenten beim Kauf nicht ausweichen können. Deshalb gibt es aus
meiner Sicht auch keine sinnvolle Alternative dafür, dass eben dieses
Budget aufgestockt wird.”
Ein ökologisch zukunftssicherer Wandel
in der Tierhaltung ist aus Sicht des BÖLW-Vorstandsvorsitzenden Prinz
Löwenstein nur in Verbindung mit einer Umstellung der
Ernährungsgewohnheiten möglich.
Mehr zahlen, weniger essen
Ein
deutlich höherer Preis für Fleisch und damit auch ein geringerer Konsum
in Deutschland als aktuell stünden dabei am Anfang einer Kette nötiger
Produktionsumstellungen. Zuvor muss aber laut Prinz Löwenstein die
artgerechte Haltung und Fütterung in kleineren Beständen umgesetzt
werden. Der Weg führe über den ökologischen Landbau, der den
zusätzlichen Vorteil eines eigenen Marktes mit sich bringe, in dem die
Käufer einen höheren Preis und in der Folge auch einen geringeren
Fleischkonsum zu akzeptieren bereit seien.
Als Zeichen eines
grundsätzlichen Paradigmenwechsels bezeichnete der EKD-Agrarbeauftragte
Dirscherl die aktuelle Debatte. Die Kritik an der Tierhaltung sei als
Symptom des gesellschaftlichen Wertewandels zu betrachten, der sich
mittlerweile vollzogen habe. „Wir haben Tiere ausschließlich als
Bioreaktoren wahrgenommen und zunehmend unter dem Gesichtspunkt eines
reinen mechanisch steuerbaren Produktionsfaktors betrachtet”, so der
Geschäftsführer des Evangelischen Bauernwerks Württemberg.
Rita Lanius-Heck vom Deutschen Landfrauenverband (dlv) empfahl in der
Podiumsdiskussion, bereits im Kindesalter die Aufklärung über die
landwirtschaftliche Produktion anzugehen. „Die sprichwörtliche Lila-Kuh
existiert; die Unwissenheit in der heranwachsenden Bevölkerung gegenüber
Agrarthemen ist groß”, stellte Lanius-Heck fest. Deshalb starteten die
Landfrauen Bildungsinitiativen in Kindergärten und Schulen. Ferner
verwies das dlv-Vorstandsmitglied auf die Forderung nach einem Schulfach
für „Lebens- und Alltagsökonomie”.
Volk von Tierhaltungsexperten
Für
Professor Peter Kunzmann von der Tierärztlichen Hochschule Hannover ist
die weitreichende Aufwertung des Tieres in der gesellschaftlichen sowie
wissenschaftlichen Betrachtung der Hauptgrund für die aktuelle
Nutztierhaltungsdebatte. Aufgrund der Tiefe dieser Werteverschiebung sei
auch nicht davon auszugehen, dass es sich dabei um ein „Modethema”
handele. Vielmehr müssten sich die Landwirte darauf einstellen, dass sie
„in einem Volk von 80 Millionen Tierhaltungsexperten leben”.