Politik | 29. Oktober 2015

Wie finden Nutztierhalter und Gesellschaft besser zueinander?

Von AgE
Landwirte und Gesellschaft müssen in der Tierschutzdebatte einen Schritt aufeinander zugehen. Dazu bedarf es einerseits einer besseren Aufklärung der Gesellschaft und andererseits höherer Standards in der Tierhaltung.
Nutztierhaltung in der Diskussion: Aufeinander zugehen statt Fronten verhärten, empfahlen Referenten auf einer Fachtagung in Montabaur.
Darin waren sich die Referenten der Herbsttagung der Verbindungsstelle Landwirtschaft-Industrie (VLI) einig, die am 21. Oktober in Montabaur stattfand. Diskussionsbedarf gab es aber bezüglich der Frage, welche Maßnahmen auf welche Weise realisiert werden sollten.
Kritik nicht pauschal abwehren
Der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik beim Bundeslandwirtschaftsministerium, Professor Harald  Grethe, appellierte an die Landwirte, die gesellschaftliche Kritik nicht pauschal abzuwehren. Gleichzeitig müssten aber „unsinnige Verquickungen” in der Diskussion, wie beispielsweise der Begriff der Massentierhaltung, aufgegeben werden. Schließlich gehe es nicht um die „Masse der Tiere”, sondern um die Qualität der Haltung. Um hier Verbesserungen zu erreichen, empfahl Grethe auch staatliche Hilfen.
Initiative Tierwohl beispielhaft
Indes zeigte sich der Vizepräsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), Philipp  Schulze  Esking, sehr kritisch gegenüber der Aussicht, „das unternehmerische Handeln wieder an staatlichen Töpfen” ausrichten zu müssen. Der „einzig erfolgversprechende Weg” führe über die Wirtschaft. Beispielhaft sei hier die Initiative Tierwohl.
Als Zeichen eines grundsätzlichen Paradigmenwechsels bezeichnete der Landwirtschaftsbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Dr. Clemens  Dirscherl, die aktuelle Debatte und wurde darin bestärkt von Professor Peter  Kunzmann  von der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Nach Ansicht des Vorstandsvorsitzenden vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), Dr. Felix  Prinz  zu  Löwenstein, bedarf die Umstellung der Tierhaltung einer weitreichenden Reform der Produktionsbedingungen nach dem Vorbild der ökologischen Landwirtschaft.
Lebensmittelhandel in der Pflicht
Grethe hob als vorbildlich bei der Realisierung besserer Haltungsstandards in Übereinstimmung mit weiteren Referenten die privatwirtschaftliche Initiative Tierwohl hervor. Ein wichtiger Schritt sei den beteiligten Akteuren vor allem mit der Einbindung des Lebensmitteleinzelhandels gelungen. Im Moment werde jedoch „der Schwarze Peter im Kreis geschoben” bei der Frage, welche der beteiligten Parteien das Geld zur Finanzierung der Maßnahmen einzahlen müsse. „Ich halte es für enorm wichtig, den Lebensmitteleinzelhandel hier bei seiner Verpflichtung zu halten”, betonte der Wissenschaftler.
Die Schlachtunternehmen in die Pflicht zu nehmen, sei aus Sicht des Berufsstandes hingegen problematisch, da diese gegenüber ausländischen Unternehmen an Wettbewerbsfähigkeit einbüßten. Folglich wäre es für den deutschen Einzelhandel dann attraktiver, bei ausländischen Schlachtereien einzukaufen. Grethe: „Das Bestechende an der Tatsache, dass der Lebensmitteleinzelhandel Gelder an die Initiative abführt, ist, dass die Konsumenten beim Kauf nicht ausweichen können. Deshalb gibt es aus meiner Sicht auch keine sinnvolle Alternative dafür, dass eben dieses Budget aufgestockt wird.”  
Ein ökologisch zukunftssicherer Wandel in der Tierhaltung ist aus Sicht des BÖLW-Vorstandsvorsitzenden Prinz Löwenstein nur in Verbindung mit einer Umstellung der Ernährungsgewohnheiten möglich.
Mehr zahlen, weniger essen
Ein deutlich höherer Preis für Fleisch und damit auch ein  geringerer Konsum in Deutschland als aktuell stünden dabei am Anfang einer Kette nötiger Produktionsumstellungen. Zuvor muss aber laut Prinz Löwenstein die artgerechte Haltung und Fütterung in kleineren Beständen umgesetzt werden. Der Weg führe über den ökologischen Landbau, der den zusätzlichen Vorteil eines eigenen Marktes mit sich bringe, in dem die Käufer einen höheren Preis und in der Folge auch einen geringeren Fleischkonsum zu akzeptieren bereit seien. Als Zeichen eines grundsätzlichen Paradigmenwechsels bezeichnete der EKD-Agrarbeauftragte Dirscherl die aktuelle Debatte. Die Kritik an der Tierhaltung sei als Symptom des gesellschaftlichen Wertewandels zu betrachten, der sich mittlerweile vollzogen habe. „Wir haben Tiere ausschließlich als Bioreaktoren wahrgenommen und zunehmend unter dem Gesichtspunkt eines reinen mechanisch steuerbaren Produktionsfaktors betrachtet”, so der Geschäftsführer des Evangelischen Bauernwerks Württemberg.  
Rita  Lanius-Heck  vom Deutschen Landfrauenverband (dlv) empfahl in der Podiumsdiskussion, bereits im Kindesalter die Aufklärung über die landwirtschaftliche Produktion anzugehen. „Die sprichwörtliche Lila-Kuh existiert; die Unwissenheit in der heranwachsenden Bevölkerung gegenüber Agrarthemen ist groß”, stellte Lanius-Heck fest. Deshalb starteten die Landfrauen Bildungsinitiativen in Kindergärten und Schulen. Ferner verwies das dlv-Vorstandsmitglied auf die Forderung nach einem Schulfach für „Lebens- und Alltagsökonomie”.
Volk von Tierhaltungsexperten
Für Professor Peter Kunzmann von der Tierärztlichen Hochschule Hannover ist die weitreichende Aufwertung des Tieres in der gesellschaftlichen sowie wissenschaftlichen Betrachtung der Hauptgrund für die aktuelle Nutztierhaltungsdebatte. Aufgrund der Tiefe dieser Werteverschiebung sei auch nicht davon auszugehen, dass es sich dabei um ein „Modethema” handele. Vielmehr müssten sich die Landwirte darauf einstellen, dass sie „in einem Volk von 80 Millionen Tierhaltungsexperten leben”.