Betrieb und Wirtschaft | 17. Juli 2020

Wenn Verbraucher ihr Produkt wählen

Von René Bossert
„Du bist hier der Chef!” ist nicht gerade eine alltäglicher Name für eine Marke. Nächste Woche kommt eine Milch auf den Markt, die diese Marke trägt. Was für ein Produkt ist das?
Die unverbindliche Preisempfehlung ist gleich auf die Packung aufgedruckt: So sieht die Milchtüte der Verbrauchermarke aus. Im Unterschied zum französischen Vorbild ist es eine Bio-Milch.
Hinter der Marke steht der Verein „Die Verbrauchergemeinschaft”. Die Grundidee besteht darin, dass Verbraucher selbst entscheiden, welche Eigenschaften Lebensmittel haben sollen. Per Online-Voting wird darüber abgestimmt. Deshalb spricht Nicolas Barthelmé von einer „Verbrauchermarke”. Er ist Vorsitzender des Vereins und in Personalunion Geschäftsführer der Firma „Du bist hier der Chef!”, die dafür sorgen soll, dass die Produkte den Weg in die Supermarktregale finden. 380 Mitglieder hat der vor einem Jahr gegründete Verein inzwischen.
Französisches Vorbild
Barthelmé ist gebürtiger Franzose und war früher für das Marketing der deutschen Tochterfirma eines französischen Käseherstellers zuständig. Nun versucht er, eine 2016 in Frankreich entstandene Initiative hier nach Deutschland zu übertragen. Jenseits des Rheins gibt es mittlerweile über 30 Produkte der Verbrauchermarke zu kaufen, die dort „C’est qui le patron?!” heißt. Sie sind in praktisch allen großen Lebensmitteleinzelhandelsketten zu finden. 210 Millionen Produkte wurden bisher verkauft, wobei die Milch mit 169 Millionen Litern das wichtigste Produkt ist.
Wie in Frankreich, so ist nun auch in Deutschland eine Frischmilch das erste Produkt, das auf den Markt kommt: Ab nächster Woche ist sie in 400 Rewe-Märkten im Rhein-Main-Gebiet zu kaufen. Rund 9300 Verbraucher hatten zuvor über die Eigenschaften der Milch abgestimmt, wobei sie mit dem jeweiligen Paket der Kriterien auch Transparenz über den resultierenden Preis des Produktes erhielten. Um abstimmen zu können, muss man nicht Mitglied im Verein werden.
Herausgekommen ist bei der Abstimmung eine Biomilch, Weidegang, regional hergestelltes Futter und die Berücksichtigung des Themas Tierwohl über die Anwendung des sogenannten Tiergerechtheitsindex, eine Punktebewertung, die auch in der Schweiz und in Österreich zum Einsatz kommt. 
Die Mich soll im Laden 1,45 Euro kosten, wobei die Verbraucherinitiative die Kosten folgendermaßen aufschlüsselt: 58 Cent bekommt der Landwirt, 70 Cent entfallen auf Molkerei, Verpackung, Logistik und Handel, 7 Cent gehen an „Du ist hier der Chef” und 10 Cent entfallen auf die Mehrwertsteuer. Die Vergütung für den Landwirt setzt sich zusammen aus 52 Cent (netto) für die Biomilch und 6 Cent für die Einhaltung der weiteren Qualitätskriterien.
Jeweils 5 % des Verkaufspreises gehen an  „Du bist hier der Chef”, im Beispiel der Milch sind das die genannten 7 Cent. So will  die Firma von Barthelmé die Marktanalysen, die Fragebögen, die Suche der Hersteller und die Vermarktung finanzieren. „Das ist der gleiche Anteil, wie er auch in Frankreich an die Initiative abgeht”, berichtet Barthelmé. 
Weitere Produkte in Vorbereitung
Produziert wird die Milch im Moment von 13 Betrieben, abgefüllt wird sie von der Upländer Bauernmolkerei mit Sitz im hessischen Willingen. Dass es sich um Bioland-Betriebe handelt, ist dabei für Barthelmé ein Zufall: „Wir wollten kein EU-Bio, sondern  Verbands-Bio, aber welcher Verband war uns egal.”
Die Milch soll deutschlandweit in die Läden, das ist das nächste Ziel. Vier Molkereien will Barthelmé für die Produktion gewinnen. Im Norden sei eine weitere Molkerei für die Abfüllung startklar, im Süden laufen ihm zufolge Gespräche. Auch für eine H-Milch sucht er eine Molkerei. Mit zwei weiteren Lebensmitteleinzelhandelsketten gebe es Gespräche über eine Listung für die Milch, bis Ende August hofft Barthelmé auf Abschlüsse.
Gleichzeitig soll über die nächsten Produkte abgestimmt werden. Fragebögen für Eier, Kartoffeln, Mehl und Honig werden in Kürze online gestellt.