Tierhaltung | 17. Mai 2018

Wenn das Abwehrsystem überaktiv ist

Von Dr. Otto Hornstein, Schweinegesundheitsdienst Freiburg
Wenn Tiere erkranken, müssen sie behandelt werden. Dabei ist es oft wichtig, nicht nur die Krankheitsursache anzugehen, sondern auch die Entzündungsreaktion zu lindern. Spezielle Medikamente, die NSAIDs (non-steroidal anti-inflammatory drugs) können dabei eine wertvolle Hilfe sein.
Ziel des Einsatzes von Entzündungshemmern ist es, überschießende Entzündungsreaktionen frühzeitig zu verhindern.
Der Körper antwortet auf schädigende Einflüsse mit verschiedenen Reaktionen. Fast alle  verfolgen das Ziel, die Ursache des Gesundheitsproblems –   zum Beispiel bakterielle oder virale Erreger – auszuschalten, die Veränderungen auszuheilen und falls möglich wieder zum ursprünglichen „gesunden” Zustand zurückzukehren. Eine dieser Reaktionen ist die Entzündung, die grundsätzlich ein zweckmäßiger Vorgang ist und auf verschiedenen komplexen Vorgängen beruht.
Als Reaktion auf schädliche Reize werden verschiedene Botenstoffe ausgeschüttet. Interleukin und andere Stoffe bewirken eine Erweiterung der Blutgefäße, so dass das betroffene Gebiet stärker durchblutet wird, die Gefäße werden durchlässiger für Immunzellen und Blutplasma, die sich im Gewebe anreichern. Histamin, Prostaglandine, Bradykinin und andere Botenstoffe locken die Abwehrzellen in den betreffenden Bereich und lösen durch die leichtere Erregbarkeit der Schmerzrezeptoren Schmerzen aus. Damit sorgen sie für die Ruhigstellung des erkrankten Körperteiles und die Schonung von Energiereserven durch verminderte Aktivität.
Überreaktion möglich
Die vermehrte Stoffwechselaktivität und Botenstoffe wie  Zytokine oder Prostaglandine lösen eine Temperaturerhöhung aus. Damit sind die klassischen Entzündungszeichen Rötung, Schwellung, Erwärmung oder Fieber, Schmerz und funktionelle Einschränkung entstanden. Blutstillung und Blutgerinnung, Beseitigen von zerstörten Zellen und von entstandenen Schad- oder Giftstoffen und der Aufbau von neuem Gewebe sind weitere Prozesse, die im Rahmen einer Entzündung parallel oder nacheinander ablaufen. Die Entzündung im Rahmen der Krankheitsbekämpfung ist daher ein sinnvoller Prozess, kann aber in manchen Fällen aus dem Ruder laufen, der Körper reagiert übermäßig auf die Schädigung.
Eine zentrale Rolle in diesen Kaskaden spielen Prostaglandine (PG), die mittels spezieller Enzyme  aus verschiedenen Fettsäuren synthetisiert werden. Prostaglandine kommen fast überall im Körper vor und übernehmen im Organismus verschiedene physiologische Funktionen. So ist PGF 2α im Sexualhaushalt für die Auflösung der Gelbkörper und die Auslösung der Geburt verantwortlich, PG E reguliert die Magensäurefreisetzung, aktiviert die Bicarbonat- und Schleimproduktion und verhindert dadurch im Magen-Darm-Trakt  die Entstehung von Geschwüren und Schädigungen der Schleimhaut.
Bei Entzündungen werden durch verschiedene Immunzellen Prostaglandine freigesetzt. Diese  verstärken oder verursachen Entzündungen, verengen die Blutgefäße, verstärken die Blutgerinnung und die Schmerzwahrnehmung. Sie lösen im Körper die notwendigen Maßnahmen aus, um auf Wunden, Verletzungen oder andere Veränderungen zu reagieren.
In der ersten Phase der Entzündung  (Anschwemmung von Abwehrzellen sowie  Freisetzung von biochemischen Substanzen, die die Entzündungsreaktion einleiten) wird manchmal schon der Grundstein für chronisch-zerstörerische Erkrankungsformen gelegt, die durch autoaggressive Gewebeschäden verursacht werden. Der Körper bzw. das Abwehrsystem reagiert über das Ziel hinaus, die Abwehrreaktionen gegen Erreger oder andere Ursachen können selbst teils enorme Schäden verursachen.
Zusätzlich kann es durch die Botenstoffe zu einer unnötigen Auslösung von Schmerzen und Fieber kommen. Dieser Zustand der Krankheit bzw. des Leidens schwächt den Körper schnell, die Abwehrprozesse verbrauchen ein hohes Maß an Energie und Nährstoffen und der „angeschlagene Zustand” führt weiterhin zu einer verminderten Aufnahme von Nährstoffen und Flüssigkeit.
Entzündungshemmer frühzeitig einsetzen
Der Einsatz von Entzündungshemmern verringert den Stress für das Tier und vergrößert die Chance auf eine rasche Heilung.
Hier können Entzündungshemmer sinnvoll eingesetzt werden. NSAIDs bieten im Gegensatz zu Kortikoiden (z. B. Kortison) den Vorteil, dass sie nicht immunsuppressiv wirken. Die immunologisch wichtigen Vorgänge zum Schutz vor einer Infektion mit Krankheitserregern und der langfristige Aufbau einer Immunität werden nicht behindert. Sie hemmen  ausschließlich die für die  Bildung der Prostaglandine zuständigen Enzyme. So können andere Prozesse wie Gefäßeinsprossung und Abbau von verändertem Gewebe in Entzündungsarealen ungestört weiter ablaufen, was für eine Ausheilung entscheidend ist.
Ziel des Einsatzes von Entzündungshemmern ist es, überschießende Entzündungsreaktionen frühzeitig zu verhindern. Sie sollten vor allem in der Anfangsphase eines Krankheitsgeschehens eingesetzt werden. Ihr Nutzen liegt in der Regulation, im Abbremsen von überschießenden Abwehrreaktionen.
Ihre Wirkung ist fiebersenkend, schmerzstillend und entzündungshemmend. Die eingesetzten nichtsteroidalen Entzündungshemmer differieren, je nach enthaltenem  Wirkstoff, in ihren Wirkungen. Die fiebersenkende Wirkung kann teils durch Einwirken vor Ort im Gebiet der Entzündung, teils durch den Angriff im Gehirn, im Fieberzentrum, erklärt werden. Die sogenannten sauren NSAIDs (ASS, Ibuprofen u. a.) werden eher in dem entzündeten Gewebe angereichert und wirken hier stärker gegen die Entzündungen als die nichtsauren Entzündungshemmer wie Paracetamol oder Metamizol.
Verschiedene NSAIDs im Handel
Nur  oral anzuwenden sind Acetylsalicylsäure, Natriumsalycat und Paracetamol. Systemisch und oral können  Ketoprofen, Meloxicam, Metamizol, Tolfenaminsäure und Flunixin verabreicht werden.
Acetylsalicylsäure (ASS) wird den schwachen Analgetika (schmerzstillende bzw. -lindernde Medikamente) zugeordnet. Sie wirkt entzündungshemmend, peripher und zentral schmerzstillend sowie fiebersenkend und sie hemmt die Thrombozytenaggregation (Zusammenlagern von Blutplättchen). Eine Hemmung der physiologischen Blutgerinnung kann sporadisch auftreten. Diese ist reversibel und klingt innerhalb von etwa sieben  Tagen ab.
Natriumsalicylat besitzt eine entzündungshemmende sowie schmerzlindernde und fiebersenkende Wirkung.
Paracetamol besitzt schmerzlindernde und fiebersenkende Eigenschaften. Die fiebersenkende Wirkung wird erklärt durch die Fähigkeit, die für die PG-Synthese wichtigen Enzyme  auch im Gehirn zu blockieren. Paracetamol zeigt kaum  Nebenwirkungen auf den Magen-Darm-Trakt und keinen hemmenden Effekt auf die Blutplättchenaggregation.
Ketoprofen wirkt   entzündungshemmend, fiebersenkend und schmerzlindernd. Es hat  eine Hemmwirkung auf  Bradykinin (an der Steuerung von Entzündungsprozessen beteiligtes Hormon, das auch die Schmerzempfindlichkeit steigert) und auf Superoxidanionen, die infolge ihrer hohen Reaktivität Zellmembranen und -strukturen irreversibel schädigen können. Dadurch hat Ketoprofen auch eine  stabilisierende Wirkung auf die Membranen verschiedener Abwehrzellen.
Meloxicam wirkt  entzündungshemmend,  fiebersenkend, schmerzlindernd und antiexsudativ (gefäßwandschützend). Es reduziert das Eindringen von Leukozyten in  entzündetes Gewebe. Meloxicam hat ebenfalls antiendotoxische Eigenschaften. Es konnte gezeigt werden, dass es die durch  E. coli-Endotoxin ausgelöste Thromboxan B-Produktion bei Kälbern, Milchkühen und Schweinen hemmt. Thromboxan kann den Querschnitt von Blutgefäßen verengen, fördert die Verklumpung von Blutplättchen und kann so zum Verschluss kleiner Blutgefäße führen.
Metamizol zeigt eine deutliche zentrale schmerzlindernde und fiebersenkende, aber nur eine  geringe entzündungshemmende Wirkung. Metamizol besitzt zusätzlich noch eine krampflösende Wirkung an glattmuskulären Organen.
Tolfenaminsäure hat   entzündungshemmende, schmerzstillende und fiebersenkende Eigenschaften.
Flunixin führt zu einem signifikanten Abfall der Konzentration von Prostaglandin E2, Thromboxanen und Prostacyclin-Metaboliten im Serum (Blutflüssigkeit) und im Entzündungsexsudat (Flüssigkeit, die durch den Entzündungsprozess aus den feinen Blutgefäßen ausgetreten  ist). Es hat eine ausgezeichnete schmerzstillende und   eine gute entzündungshemmende und  fiebersenkende Wirkung.
Nebenwirkungen von NSAIDs
Bekannt sind Wechselwirkungen mit verschiedenen Antibiotika. So können nichtsaure NSAIDs aufgrund ihrer starken Plasmabindung Penicillin oder Sulfonamide aus deren Bindung verdrängen und so ihre Wirkung potenzieren. Mit Tetrazyklin können Chelate, feste Komplexbindungen, eingegangen werden und so dessen Wirkung herabgesetzt werden. Beim Einsatz mit Aminoglykosid-Antibiotika wie Neomycin, Streptomycin oder Apramycin kann die nierenschädigende Wirkung der Aminoglykoside verstärkt werden.
Noch wichtiger erscheint der Einfluss auf das Verdauungssystem. Die Anwendung von nichtsteroidalen Entzündungshemmern, vor allem den sauren wie Acetylsalicylsäure, kann zur Entstehung oder Verschlimmerung bereits bestehender  Reizungen des Magen-Darm-Traktes  und – in schweren  Fällen – zu  Geschwüren führen. Mögliche Nebenwirkungen sind  Blutungen, Reizung und Schädigungen des Magen-Darm-Traktes. Irritationen können sich klinisch durch schwarzen Kot infolge von Blutverlust in den Magen oder Darm manifestieren. Der Einsatz in der Tiermedizin  erfolgt aber nur selten als Langzeitbehandlung, so dass hier eher wenig Bedenken hinsichtlich dieser Probleme bestehen.
Einsatzmöglichkeiten
Nachfolgend sind einige typische Einsatzmöglichkeiten von NSAIDs beim Schwein aufgelistet.
Kastration: Bereits sehr oft werden NSAIDs eingesetzt, um Schmerzen nach der Kastration vorzubeugen. Hierbei werden durch die Injektion von Meloxicam oder Flunixin vor der Operation in geringem Maße die operativen Schmerzen, aber vor allem die Schmerzen nach der Kastration verringert. Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass damit behandelte  Ferkel nach der Kastration einer bessere Gewichtszunahme hatten als unbehandelte Tiere.
Entzündungen mit Endotoxinfreisetzung bzw. -belastung: Bei Erkrankungen wie MMA oder der Colienterotoxämie der Absetzferkel werden durch den Zerfall von Coli- und anderen Bakterien (gerade auch nach dem Einsatz von Antibiotika) zellwandständige Endotoxine freigesetzt, die massive Entzündungserscheinungen auslösen können. Der Einsatz bei diesen Erkrankungen vermindert die Entzündungen und wirkt zugleich auch antiendotoxisch.
Unspezifischer Reizhusten
Infektiöse Erkrankungen –   vor allem virale Infektionen wie Influenza oder PRRS mit hohem Fieber: Der Einsatz dient hier vor allem der Senkung des Fiebers und der Beseitigung der anderen Entzündungssymptome, um die Schweine schneller wieder zum Fressen und zum Saufen zu bringen.
Muskelschmerzen und Verletzungen
Schmerzen und Schwellungen infolge einer Geburt: Hierzu veröfffentlichte   Untersuchungen zeigen, dass Ferkel von behandelten Muttersauen mehr Biestmilch und damit auch mehr maternale Schutzstoffe nach der Geburt aufnehmen konnten.
Ohrrandnekrosen: Auch hier  werden NSAIDs teilweise  mit gutem Erfolg eingesetzt.
NSAIDs werden gewöhnlich verwendet, um Entzündungserscheinungen zu reduzieren, Schmerzen zu verringern, die Schmerzempfindlichkeit zu erniedrigen und die Körpertemperatur (Fieber) zu senken. Damit kann eine Verbesserung der Begleiterscheinungen der Erkrankung erreicht werden. Der Stress für das Tier (Schmerzen, Unwohlsein etc.) wird verringert und die Aussichten auf eine bessere und schnellere Heilung werden vergrößert.