Tierhaltung | 07. August 2014

Von wegen „Relikt aus früheren Zeiten”

Von Dr. Diethild Wanke / Martina Krietemeyer, LWA Lörrach
Weidemelkstände eröffnen die Chance, auch hofferne oder schwierig erreichbare Weideflächen mit Milchkühen zu bewirtschaften. Bei einer Lehrfahrt ins Obere Wiesental wurden drei Landwirte besucht, die teils schon seit mehreren Jahren Weidemelkstände einsetzen.
Die drei besichtigten  Weidemelkstände sind mit zwölf, fünf und einem Jahr unterschiedlich lange im Betrieb. Unterschiedlich ist auch ihre  technische Ausstattung bzw. ihre Anpassung an die einzelbetrieblichen Gegebenheiten. Im Mittelpunkt dieser  Lehrfahrt, die von der  Tierhaltungs- und Weideberatung am Landwirtschaftsamt  Lörrach sowie dem Grünlandexperten Klaus Kress vom Kulturlandschaftsprojekt Lenzkirch  organisiert wurde, standen zum  einen die eingesetzte Melktechnik und zum anderen  die Erfahrungen der Landwirte mit dem Melken auf der Weide.
Betrieb Wetzel
Klaus Wetzel in Utzenfeld hält 26 Milchkühe mit Nachzucht und bewirtschaftet viele Flächen in Steillagen am Rande des oder im Naturschutzgebiet „Utzenfluh”. Die Herde des Biolandbetriebs setzt sich überwiegend aus schwarz- und rotbunten Tieren und einigen Hinterwäldern zusammen. Einen  mobilen Weidemelkstand hat Wetzel seit 2002. Die im Lauf der Jahre  immer wieder neu hinzugekommenen Flächen – meistens Steillagen – können nur  dank des mobilen Weidemelkstands auch von Milchkühen ohne allzu weite Anmarschwege beweidet werden. Die knappen Winterfutterflächen bleiben so der  Futterkonservierung vorbehalten. 
Klaus Wetzel (Bildmitte) melkt den Sommer über seine Kühe mit dem mobilen Weidemelkstand auf den Weiden rund um die Utzenfluh. Hier erklärt er den Teilnehmern der Lehrfahrt Ablauf, Handhabung und Technik seines an das Steillagengebiet angepassten Anhängers mit einem 6er-Fischgrätenmelkstand von DeLaval.

Die  Melktechnik und der Aufbau des 6er-Fischgrätenmelkstands stammen von der Firma  DeLaval, der Anhänger wurde im Auftrag nach eigenen Konstruktionsplänen gebaut.  Eine Treppe führt als Aufgang  in den Melkstand, diese darf eine „Kuhbreite” nicht überschreiten, damit es kein Gerangel beim Eintrieb gibt.  Rampen haben sich in der Praxis als Aufgänge nicht bewährt, da hier eine gewisse Rutschgefahr besteht.
Der Melkwagen wiegt circa 4,5 t und würde heute komplett etwa  25 000 € kosten.  Die Stromversorgung erfolgt über einen Generator und verbraucht etwa 4 l Diesel am Tag. Der Strom wird für die Wasserpumpe, die Vakuumpumpe, Licht und zum Erhitzen des Spülwassers benötigt. Die Milch wird im 350-l-Tank mit einem Pickup mit Anhänger zum Stall transportiert, dort in den Hoftank umgepumpt und gekühlt.
Das Wasser für die Reinigung von Melkstand und Melkanlage wird mit zwei Tauchsiedern am Melkstand erhitzt. Es werden  etwa 40 l kaltes Wasser zum Vorspülen,  40 l heißes Wasser als Spülwasser sowie 50 l Wasser zum Nachspülen benötigt. Der Hauptspülgang, der über eine  Kanne als Kreislaufspülung erfolgt,  dauert   etwa fünf bis zehn Minuten. Das benötigte Spülwasser nimmt Wetzel   vom Hof  in  drei Kannen mit. Zusätzlich hat er  beim Melkstand einen Wassertank mit 2000 l stehen. Dieses Wasser nutzt er zum Reinigen des Melkstands. Dank der Wasserpumpe kann er diesen genau wie zuhause mit dem Schlauch abspritzen. Das Spülwasser der Melkanlage wird  mit zum Hof zurückgenommen und dort entsorgt. Das Melken dauert circa  40 bis 50 Minuten pro Melkzeit.  Kraftfutter wird  im Melkstand gefüttert, etwa 100 g/kg Milch.
Die Weiden liegen im Umkreis von etwa 2 km  Luftlinie um den Hof, aufgrund der Tal- und Höhenlagen bedeutet das aber meist mehrere  Kilometer Wegstrecke. Der Weidemelkstand wird nach Bedarf umgestellt, das ist auf den kleineren Weiden im Schnitt alle zehn Tage, auf den größeren Flächen sind die Abstände länger. Mit der jetzigen Routine ist das Umstellen und Umrüsten des Melkstandes  in etwa zwei  Stunden je nach Entfernung  erledigt.
Wetzels Ziel ist eine möglichst lange Weidesaison. Diese dauert je  nach Witterung von der ersten Maiwoche bis Anfang November. Etwa zwei Drittel  der  Abkalbungen  erfolgen zwischen August und Weihnachten, da während der Herbstweide auf den Mähflächen, im Winter sowie  im Frühjahr bei Weidebeginn  die meiste Milch erzeugt wird. Während der Weidesaison werden die  Kühe zum Kalben in den Stall geholt und kommen am zweiten oder dritten  Tag danach wieder zurück zur Herde auf die Weide, während das Kalb im Stall bleibt.
Mit der Melkroutine läuft es gut, da Mensch und Tier sich auf das Verfahren eingestellt haben. Laut  Wetzel kommen die Kühe lediglich bei sehr schlechtem Wetter ungern zum Melkstand, da sie dann den Schutz unter den Bäumen nur ungern verlassen. Bei Hitze sind für die Tiere schattige Plätze am Waldrand oder unter Bäumen wichtig. Sie dienen auch als Insektenschutz. Zusätzlich werden im Sommer Maßnahmen zur Insektenabwehr am Melkstand ergriffen.
Für Klaus Wetzel ist das  Freiluftmelken kein Problem: „Es verschafft frische Luft und wechselnde Aussicht.” Geschützt ist der Melker durch ein einklappbares Vordach, zudem  sind es nach Angaben von Wetzel meist nur zwei, drei Melkzeiten  im Jahr, die witterungsmäßig extrem ungemütlich sind.
Betrieb Schätzle
Hubert Schätzle aus Präg melkt seit 2009 auf der Weide. Bei der Konstruktion konnte er von den Erfahrungen von Klaus Wetzel profitieren. So hat er auf die gleiche Melkstandkonstruktion und Melktechnik gesetzt. Hier erklärt er die technischen Verbesserungen, zu denen auch etwas mehr Platz für die Technik im vorderen Melkstandbereich gehört.
Hubert Schätzle führt in Todtnau-Präg einen Hinterwälder-Zuchtbetrieb. Insgesamt hält er 30 Milchkühe und bewirtschaftet etwa 80 ha Grünland, davon sind circa zwei Drittel Allmend- Flächen  in zum Teil schwierigen Lagen. Den mobilen Weidemelkstand betreibt er seit 2009. Der Weg zur Kuhweide war aufgrund des zunehmenden Straßenverkehrs mit einer stark  frequentierten Motorradstrecke immer gefährlicher für Mensch und Tier geworden. Außerdem hat sich der Betrieb aus dem Neben- zum Haupterwerb entwickelt, es wurden mehr Kühe gehalten, mehr Fläche bewirtschaftet, die hofnahen Weideflächen reichten nicht mehr aus. Da es das Ziel ist, mit den Hinterwäldern die meiste Milch aus dem Grundfutter zu melken und möglichst viel aus der Weide, ist der Bedarf an für die Milchkühe geeigneten Weideflächen gestiegen. Die Weidesaison endet meist Ende Oktober; im Herbst werden die Mähflächen nochmals nachgeweidet. Hubert Schätzle sieht sich vor allem als Pfleger einer Kulturlandschaft, die in diesem Gebiet  gerade auf die Milchviehhaltung mit Hinterwäldern zurückzuführen ist.
Beim Bau des Melkstandes orientierte sich Hubert Schätzle an seinem Kollegen Klaus Wetzel und konnte von dessen Erfahrungen profitieren. So wählte er dieselbe Melktechnik. Der Wagen wurde mit etwas breiteren Rädern ausgestattet und lässt etwas mehr Platz für die Technik im vorderen Wagenteil. Auch  sonst wurden ein paar kleine Verbesserungen umgesetzt. Eine Teilförderung konnte über das LEADER-Programm in Anspruch genommen werden.
Zu Beginn haben Mensch und Tier einige Zeit für die Ein-/Umgewöhnung an den Weidemelkstand gebraucht. Die Kühe mussten lernen, zu den Melkzeiten zu kommen und den Weidemelkstand zu betreten, die Menschen, ihnen die nötige Zeit dazu zu geben. Ohne das Beharren seines Sohnes Felix hätte er damals fast aufgegeben, meint Hubert Schätzle. Doch inzwischen klappt es für alle Beteiligten sehr gut.
Betrieb Marx
Nachmittags besuchte die Gruppe den Betrieb von Matthias Marx in Wembach-Schindeln. Mit der Übernahme des Betriebes von seinen Eltern im Jahr 2011 erfolgte die Umstellung auf ökologischen Landbau. Da das Altgebäude die Vorgaben  der Öko-Verordnung nicht erfüllte, stellte Marx  2012 die Weichen für einen Stallneubau. Zeitgleich konnte der Betrieb durch die Auflösung einer Gemeinschaftsweide seine Weideflächen von knapp 8 ha auf 16 ha ausbauen. Die zusätzliche Weidefläche ist vom Hof aus  nur über Straßen erreichbar, ein zweimal tägliches Verbringen der Milchkühe  somit nicht praktikabel. Daher hat sich  Marx entschlossen, in sein Stallkonzept  einen Weidemelkstand zu integrieren, der  in den Wintermonaten auch im Stall zum Melken genutzt wird.
Matthias Marx aus Wembach hat diesen Weidemelkstand – wie auch den Stall und das ‚Melkstandshaus‘ – in viel erfinderischer Eigenleistung konstruiert. Wenn die 17 Milchkühe in Hofnähe weiden, wie zur Zeit der Lehrfahrt, oder im Winter im Stall sind, steht der Melkstand stationär unter Dach. Sind die Kühe auf der anderen Talseite, wird der Melkstand mitgenommen.

Seit Januar 2014 werden die derzeit 17 Milchkühe, überwiegend der Rasse Braunvieh, im selbstgebauten 1×5-Fischgräten-Weidemelkstand gemolken. Im Unterschied zu den Melkständen zuvor besteht dieser aus zwei Einheiten, dem Wagen mit den Melkeinheiten sowie dem ebenfalls selbst konstruierten Pkw-Anhänger für die Melktechnik und den Milchtank. Größere Mengen Frischwasser müssen bei diesem System nicht transportiert und aufwendig mittels Tauchsiedern erhitzt werden, da die Reinigung und Desinfektion der technischen Melkeinheit direkt auf dem Hof nach jeder Melkzeit erfolgen, was arbeitswirtschaftlich positiv zu Buche schlägt.
Die zusätzliche Weidefläche bildet eine räumliche Einheit, so reichen zwei Standorte für den Melkstand aus – während der Weidesaison  auf dem Weidberg und in den Wintermonaten im  Melkhaus auf dem Betrieb. Der Standplatz auf der Weide wurde befestigt, um ein Aufweichen des Bodens  bei Nässe zu verhindern und den Arbeitskomfort für das Melkpersonal zu erhöhen. Die Rüstzeit beim Standortwechsel des Weidemelkstands beträgt etwa eine  Stunde zuzüglich der Montage/Demontage des Vordaches, das ausschließlich auf der Weide als Witterungsschutz benötigt wird. Um den Zeitaufwand für den Viehzutrieb am Morgen zu den Melkzeiten zu minimieren, wird die Nachtweidefläche nahe dem Standort des Melkstands abgeteilt. Kraftfutter wird in der  Vollweidezeit ausschließlich als Lockfutter  (etwa  500 g je Tier und Melkzeit) genutzt. Um die Aufwüchse zur Weidezeit optimal nutzen zu können, plant Marx,  zukünftig auf saisonale Abkalbung im Frühjahr umzustellen.
Der Weidemelkstand wurde von Matthias Marx, der gelernter Metallbauer ist, in Eigenregie konstruiert und gebaut. Ein Teil der Melktechnik wurde aus dem „Altstall” wiederverwendet. Die Gesamtkosten von etwa 7500 € waren vergleichsweise niedrig. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen zog  Marx eine positive Bilanz.   
Warum Weidemelkstände?
Weidemelkstände erscheinen auf den ersten Blick vielleicht als ein „Relikt” aus früheren Zeiten. Jedoch sind sie  gerade im Berggebiet sowie in Gegenden mit entfernt liegenden oder schwierig erreichbaren Weideflächen noch bzw. wieder in Gebrauch. Besondere Bedeutung kommt ihnen  zu, wenn es darum geht, Milch aus Weidefutter zu erzeugen, den Milchkühen  artgerechten Weidegang zu gewähren und die Auflagen des ökologischen Landbaus zu erfüllen. Auf den drei besuchten Betrieben sind die  zur Winterfutterwerbung geeigneten Flächen aufgrund der Steillage und zunehmender Bebauung in den Tallagen knapp. Die Weidemelkstände bieten den Betrieben die Möglichkeit, auch die hofferneren Flächen mit den Milchkühen zu beweiden und die hofnahen Weideflächen zu schonen. Da im Südschwarzwald insgesamt zurückgehende Viehbestände oftmals auch zu einer Unterbeweidung und zu erhöhtem zusätzlichem mechanischem Pflegeaufwand in den großen Weidebezirken führen, ist eine Beweidung mit standortangepassten Milchkühen auch aus landschaftspflegerischer Sicht sehr willkommen.  Die wenigen noch verbliebenen Milchviehbetriebe, die in der Regel  auch  eigene Nachzucht betreiben,  sind für die nachhaltige Bewirtschaftung des Südschwarzwaldes immer noch eine wichtige Säule der  Weidetierhaltung. Mit ihrer an den  Standort und die Höhenlage angepassten  Bewirtschaftung tragen sie wesentlich zur Offenhaltung der Region bei.  Wie vor einigen Monaten die  Vorführung des MobiStarG von Dairymaster in Titisee-Neustadt gezeigt hat, ist inzwischen auch moderne Melktechnik für mobile Systeme entwickelt worden.  In Holland werden in einigen Biobetrieben sogar Weidemelkroboter  eingesetzt. Diese können aber im Höhengebiet aufgrund der Topographie und der im Schnitt geringen Bestandsgrößen nicht eingesetzt werden.
Laut den Erfahrungen der drei Landwirte aus dem Oberen Wiesental ist es jedoch entscheidend, ein für die eigenen betrieblichen Verhältnisse geeignetes Melkstandsystem zu entwickeln.  Im Berggebiet und bei häufigem Umsetzen muss der Melkstand gut handhabbar und wenig störanfällig sein.  Mit entscheidend für den Erfolg des Systems ist es, die Kühe mit Ruhe und Geduld an das neue System zu gewöhnen. „Wenn sie es einmal verinnerlicht haben, klappt es gut”, können alle drei besuchten Landwirte bestätigen.
Der Einsatz der mobilen Melktechnik auch im Winter im Stall spart Kosten. Kostensparend und arbeitserleichternd ist  natürlich auch die eigene Anpassungen des Systems. Am Schluss waren sich alle einig: Je nach betrieblicher Konstellation können mobile Weidemelkstände die Weidemilchproduktion im Schwarzwald unterstützen. Weidemelkstände bieten die Möglichkeit, die im Vergleich zur Mutterkuhhaltung rentablere Milchkuhhaltung auch im Berggebiet aufrechtzuerhalten.