Politik | 09. Dezember 2022

Von der Leyen lässt Wölfe zählen

Von AgE
Nachdem das Europaparlament gefordert hatte, den Wolfsschutz zu lockern, hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Ball aufgenommen. Sie will von ihrer Behörde die Datenlage zum Wolf und den Schutzstatus überprüfen lassen.
Das hat die Präsidentin der Europäischen Kommission  in einem Brief an die CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament angekündigt. Demnach sind die Dienststellen der EU-Kommission angewiesen worden, eine „eingehende Analyse” der Daten vorzunehmen.
Selbst Wolfsopfer: Im September machte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Schlagzeilen, weil bei ihr zuhause nahe Hannover ihr Pony Dolly gerissen wurde.

Mitgliedstaaten haben bereits Möglichkeiten
Die Kommissionspräsidentin betont zugleich, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen der Fauna-Flora-Habitat-(FFH-)Richtlinie bereits beträchtliche Möglichkeiten haben, von der strengen Schutzregelung abzuweichen. Die Richtlinie erlaube Ausnahmen, wenn zwingende Gründe des öffentlichen Interesses überwögen. Die Mitgliedstaaten könnten geeignete Maßnahmen ergreifen, um Problemen im Zusammenhang mit wachsenden Wolfsbeständen zu begegnen und lokale Konflikte im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip anzugehen, heißt es in dem Schreiben.
Die umweltpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Anja Weisgerber, wertete den Brief als „starkes Signal” der Unterstützung. Der Ball liege nun im Feld der Bundesregierung.
Berner Konvention lehnt Lockerung ab
Vorerst nicht gelockert werden dürfte indes die Einstufung des Wolfes im Rahmen der Berner Konvention. Der Ständige Ausschuss entschied in der vergangenen Woche über einen Antrag der Schweiz, den Status des Wolfes von „streng geschützt” auf „geschützt” herunterzustufen. Medienberichten zufolge haben von den 30 stimmberechtigten Mitgliedern nur sechs den Antrag unterstützt. Zu den Vertragspartnern des „Übereinkommens über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume” zählt auch die EU.
Unterdessen begrüßte neben Bauernverbandsvetretern auch der Deutsche Jagdverband (DJV) die  Entschließung des Europaparlaments zur Lockerung des Wolfsschutzes als „richtungsweisend”. „Die EU-Kommission muss jetzt entsprechend handeln und den Mehrheitsbeschluss der gewählten Vertreter aus den Mitgliedstaaten berücksichtigen”, erklärte DJV-Vizepräsident Helmut Dammann-Tamke. Der Verband sieht nun die Bundesregierung in der Pflicht, das Signal aufzunehmen und wie im Koalitionsvertrag vorgesehen die Weichen für ein regional differenziertes Bestandsmanagement zu stellen. Dies sei schon jetzt europarechtskonform möglich. Darüber hinaus fordert der DJV eine Herabstufung des Schutzstatus. Grundlage müssten die „dramatisch angewachsenen” Bestände sein.
Deutschland brauche eine ökologische Raumplanung für den Wolf. Die Ansiedlung von Rudeln müsse im urbanen Bereich, entlang von Deichen oder in alpinen Regionen unterbunden werden. Sollten Sorgen und Ängste der betroffenen Bevölkerung weiter ignoriert werden, gehe die Akzeptanz für den Wolf weiter verloren, warnt der Verband.
Mitteleuropäische Population „hochdynamisch”
Dem Ständigen Ausschuss der Berner Konvention liegt eine  Stellungnahme  zum Schutzstatus des Wolfes in Europa vor. Nach dieser hat sich dessen Verbreitungsgebiet auf dem Kontinent in den letzten zehn Jahren um 25Prozent vergrößert. Unterschieden werden neun Populationen, unter anderem im Norden der iberischen Halbinsel, im Grenzgebiet von Frankreich und Italien, auf der Apenninenhalbinsel und in Skandinavien.
Die deutschen Wölfe werden zur mitteleuropäischen Population gezählt, die etwa in der Mitte von Polen auf den baltischen Bestand trifft; dabei soll es aber nur in begrenztem Umfang zur Vermischung kommen. Diese Population ist gemäß dem Bericht seit dem Jahr 2000 rasant gewachsen und wird als „hochdynamisch” beschrieben. Es wird damit gerechnet, dass bald der Kontakt zum Vorkommen in den Alpen hergestellt wird. Kritisch wird die zunehmende Zahl an Sperrzäunen zur Eindämmung der Afrikanischen Schweinepest (ASP) gesehen – die Fragmentierung der Population könnte sich zu einem ernstzunehmenden Problem ausweiten, heißt es.
Für Deutschland weist der Bericht für das Jahr 2020/21 einen Bestand von mindestens 158 Rudeln und 27 Paaren aus. In Frankreich waren es im vergangenen Jahr zwischen 640 und 978 Wölfe; in Spanien wurden mindestens 304 Rudel registriert. In Italien gehen die Fachleute von zwei getrennten Populationen aus, die es zusammen auf mehr als 3300 Individuen bringen sollen. In der Schweiz wurde der Bestand 2021 auf mindestens 153 Wölfe geschätzt, in Österreich waren es 56. Für Tschechien weist der Bericht 100 Individuen aus. In Polen wurden 2019 mehr als 1880 Wölfe gezählt, die sich auf drei Populationen verteilten.
Vergleichsweise klein sind die Wolfsvorkommen in Deutschlands übrigen Nachbarländern. In Dänemark waren im vergangenen Jahr lediglich 14 Wölfe aktiv, in den Niederlanden 15 und in Belgien neun.
Unter rein numerischen Gesichtspunkten könnten die meisten Wolfspopulationen in den biogeografischen Regionen Europas laut dem Bericht als nicht gefährdet eingestuft werden. Betont wird, dass ein Management zur Erhaltung dieses Zustands von allen beteiligten Staaten getragen werden müsste. Zu den wichtigsten Problemen für die Erhaltung der Wolfsbestände wird die Zunahme von sozialen Konflikten gezählt. Diese würden zunehmend in breiteren politischen Auseinandersetzungen instrumentalisiert, was die Akzeptanz der Bevölkerung verringern und die wissenschaftliche Basis des Managements beschädigen könnte, so die Fachleute. Nach ihrer Einschätzung werden die Wolfspopulationen in der EU künftig auch durch immer mehr Zäune bedroht, die neben der ASP auch die unkontrollierte Migration eindämmen sollen.
Auch die Hybridisierung mit Hunden, die insbesondere die südlichen und östlichen Populationen betrifft, bereitet den Wolfsschützern sorgen. Auf dem Balkan werden zudem das fehlende Monitoring, ein unzureichendes Management und verbreitete illegale Abschüsse als problematisch eingestuft.