Politik | 12. Januar 2023

Umbaupläne mit handwerklichen Schwächen

Von AgE
Eine Schieflage in der politischen Diskussion über den Umbau der Tierhaltung beklagt der Berliner Agrarökonom Professor Harald Grethe. Die Haltungskennzeichnung sei nicht der Schlüssel für den Umbau.
Der aktuelle Rückgang in der Schweinehaltung kommt Grethe zufolge einem „Abbau mit der Abrissbirne gleich”.
Dies gelte erst recht nicht in den ersten Jahren, in denen sie nur für frisches Schweinefleisch vorgesehen sei, sagt der Wissenschaftler im Interview mit dem Fachpressedienst Agra-Europe. Zudem habe der vorgelegte Gesetzentwurf handwerkliche Schwächen.
Tierwohlprämien entscheidend
Für Grethe steht außer Frage, dass eine flächendeckende Neuaufstellung der Nutztierhaltung allein über „die Entscheidung an der Ladenkasse” nicht funktionieren wird. Entscheidend für den Umbau der Tierhaltung seien daher langfristig verlässliche Tierwohlprämien. Dies sei die Voraussetzung, dass die vereinbarte Anschubfinanzierung tatsächlich Kraft entfalten könne. Und es würde der Forderung der Borchert-Kommission nach einer „hinreichend klaren Finanzperspektive” Rechnung tragen. Die dabei anvisierten zehn Jahre sieht der Wissenschaftler als absolute Untergrenze. Noch sei das Zeitfenster offen: „Wenn 2023 die notwendigen politischen Entscheidungen getroffen werden, kann ein Einstieg in den Umbau gelingen.”
Viel zu wenig passiert
Grethe bekennt sich zu einer Reduzierung der Tierhaltung, kritisiert aber Ausmaß und Form des aktuellen Rückgangs in der Schweinehaltung, der einem „Abbau mit der Abrissbirne” gleichkomme. Der treffe oft gerade diejenigen, die bereit seien, einen Umbau zu deutlich mehr Tierwohl zu leisten. „Wir versagen als Gesellschaft zurzeit, weil wir den vielen Tierhalterinnen und Tierhaltern, die gerne zu einem deutlich höheren Tierwohlniveau produzieren wollen, keine Optionen bieten.”
Enttäuscht zeigt sich Grethe von der bisherigen Arbeit der Ampelkoalition. In Bezug auf die großen Stellschrauben wie etwa den Umbau der Nutztierhaltung und die Verringerung des Konsums tierischer Produkte, Wiedervernässung der Moore oder eine gute Dünge- und Pflanzenschutzpolitik sei „viel zu wenig passiert”.
Scharfe Kritik übt der Direktor des Thinktanks Agora Agrar an den Brüsseler Pflanzenschutzpositionen: „Die Vorschläge für pauschale Verbote von Pflanzenschutzmitteln in umfangreichen Gebietskulissen und ohne Kompensationszahlungen haben in Deutschland viel aufgebautes Vertrauen zwischen Sektor, Zivilgesellschaft und Politik beschädigt.” Laut Grethe sollte die Bundesregierung ein Konzept entwickeln, das nicht vorrangig auf Verbote setzt, sondern Handlungsspielräume für Landwirtinnen und Landwirte lässt und trotzdem eine ambitionierte Verringerung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes erlaube. Hierfür kämen beispielsweise zwischen landwirtschaftlichen Betrieben handelbare Zertifikate in Frage.
Angespannt
Auf die anhaltend sehr angespannte Lage der Schweinehalter hat der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied,  hingewiesen. „Die Erzeugerpreise für Schlachtschweine und Ferkel sind angesichts  dramatisch gestiegener Kosten nach wie vor nicht auskömmlich und drängen täglich Betriebe in den Ausstieg”, so Rukwied im DBV-Marktbericht zum Jahreswechsel. Laut DBV hat sich der Rückgang
der Schweinehaltung in Deutschland beschleunigt. Die  amtliche Viehzählung weist aus, dass  der Bestand  in den zwölf Monaten bis Anfang November 2022 um 10,2 Prozent auf nur noch 21,3 Millionen Tiere abgebaut wurde. Gleichzeitig nahm die Zahl der schweinehaltenden Betriebe um 1900 auf 16900 ab.
DBV besorgt über Tierstandort Deutschland
Die bisher vom Bundeslandwirtschaftsministerium vorgelegten Gesetzesentwürfe und Eckpunkte zum Umbau der Tierhaltung haben beim Deutschen Bauernverband (DBV) große Besorgnis wegen der Zukunft der Tierhalter ausgelöst. „Statt den allgemein anerkannten ‚Borchert-Plan‘ ganzheitlich umzusetzen, wird dieses Konzept in einer Art Salamitaktik zerstückelt und verfälscht, so dass es nicht nur wirkungslos wird, sondern vor allem den Tierhaltern die Perspektiven für Investitionen nimmt”, kritisierte  DBV-Veredlungspräsident Hubertus Beringmeier in Berlin. Das gefährde den Standort Deutschland.
Unzureichend sind laut Bauernverband der  stark lückige Entwurf eines Tierhaltungskennzeichnungsgesetzes, der Referentenentwurf zur Änderung des Baugesetzbuches sowie die Eckpunkte für ein Bundesförderprogramm zum Umbau der Tierhaltung. Letzteres sei völlig unterfinanziert.  Zudem seien die im Eckpunktepapier vorgesehenen Obergrenzen schlicht unannehmbar. Beispielsweise solle die Förderung auf Betriebe mit maximal 200 Sauen begrenzt werden. Dadurch würden mehr als drei Viertel der Sauenhaltung aus der dringend notwendigen Tierwohlförderung ausgeschlossen, monierte der DBV. Auch bei den Mastschweinen ist die vorgesehene Förderobergrenze von 3000 verkauften Tieren im Jahr für den Bauernverband inakzeptabel.
„Alles zusammen ist das kein Programm zum Umbau, sondern zum Abbau der Tierhaltung”, machte Beringmeier deutlich. Er fordert das Bundeslandwirtschaftsministerium auf, praktikable Regelungen für eine zukunftsfähige Tierhaltung im Sinne des „Borchert-Plans” vorzulegen und umzusetzen.
Auch der Vorsitzende des DBV-Fachausschusses Eier und Geflügel, Ulrich Löhr, zeigte sich angesichts des  Eckpunktepapiers zur Geflügelhaltung sehr besorgt: „Die in diesem Entwurf enthaltenen Platzvorgaben katapultieren vor allem die deutschen Putenhalter aus dem Wettbewerb im EU-Binnenmarkt und führen die heimische Putenhaltung ins Aus”, warnte Löhr. Statt mehr Tierwohl in Deutschland würde dann mehr Geflügelfleisch importiert. Die deutschen Geflügelhalter stünden zum Umbau der Tierhaltung, aber das gehe nur „mit einem ganzheitlichen Konzept”.