Land und Leute | 15. Mai 2014

„Überall wachst ebbis dezwische” – Bauerngärtnerin Elsa Kehnel im Porträt

Von Barbara Sester
Elsa Kehnel ist eine von zwölf Bauerngärtnerinnen, die im neuen Buch des Silberburg Verlages in Zusammenarbeit mit dem Badischen Landwirtschafts-Verlag mit dem Titel „Omas Gärten” liebevoll vorgestellt werden. Das Buch erzählt von den Lebensgeschichten der Frauen im Wandel der Zeit und davon, wie wichtig der Garten für jede von ihnen ist.
Elsa Kehnel, wie sie leibt und lebt. Die warmherzige Bauerngärtnerin kennt ihren Garten wie ihre Westentasche. Am liebsten mag sie Ringelblumen, denn „die kunnt iiberall vun ellei, des gfallt mir so guet”.
Der grüne Salat auf dem Mittagstisch ist mit blauen Borretschblüten und Gänseblümchen dekoriert. Das macht Elsa Kehnel immer und ihr Mann Heinz findet es schön – und essbar.  Das Fachwerkhaus von 1805 ist ein Schmuckkästchen und wurde 1993 mit sehr viel Liebe zum Detail nach und nach umgebaut. Das war die Zeit, in der besonders viele Häuser zweckmäßigen, gesichtslosen Bauten gewichen sind. Doch die Kehnels hatten damals schon viel Sinn für Bewährtes aus den Jahrhunderten – lange vor der heutigen Renaissance der „Landlust”. Sohn Hansjörg, als Zimmermann und Architekt vom Fach, hat Strohlehmwände erhalten oder die Fenster im alten Stil nachgebaut. Im Wohnstüble gibt es einen Kachelofen, Blümchentapete und eine Chaiselonge, Bildergalerien der Vorgenerationen zeugen vom gelebten Familiensinn. Klassisch für die Dörfer des Breisgaus am Rand des Rheingrabens zum Schwarzwald hin, öffnet sich hinter dem Hoftor ein teils überdachter Innenhof, wo heute noch viele Werkzeuge und Gefäße an die Arbeit des Winzers erinnern. Eine alte Waage in einer Wandvertiefung, namentlich bedruckte Jutesäcke oder ein altes Fass sind ebenso Zierde des Hofes wie der sommerliche  Blumenschmuck. Elsas Sammelleidenschaft hat sich herumgesprochen. Wenn jemand nicht weiß wohin mit einem alten Utensil, bringen sie es zu ihr. Einen Garten gibt es direkt beim Haus nicht. „Der isch äne an de Schtrooß”, sagt Elsa und läuft über die Dorfstraße zum gegenüberliegenden und ebenfalls zur Familie gehörenden Haus. Es wurde gebaut, als die Kinderschar zu groß für das Fachwerkhaus wurde, in dem lange Zeit auch noch die Schwiegermutter lebte. Elsa und Heinz haben zehn Kinder, acht Töchter und zwei Söhne. Vorbei an einem Apfelbaum und einem Schuppen gelangt man zu dem etwa vier Ar großen Gartengrundstück, das oben von der warmen Mauer des Hühnerstalls begrenzt wird. „De Heanerschtall war frieher ’s Gwächshiesli”, berichtet Elsa, doch das braucht sie hier gar nicht. Schließlich ist das Klima im nur 200 Meter über Null liegenden Ort sehr mild.
Anzucht an der warmen Mauer
Was früh austreiben soll, pflanzt sie einfach an die warme Mauer. Im Sommer stehen hier dann die Tomaten. Am rechteckigen Garten fallen vor allem die vielen Reihen Spinat auf. Zwischen dem Spinat Buschbohnen der Sorte „Berner Landfrau”, Salatköpfe in unterschiedlichen Formen und Größen, Tomaten, Erdbeeren, Karotten, Kräuter. „Alles e wing durenander”, sagt Elsa zu ihrer an die Mischkultur von Gertrud Franck angelehnten Gartenpraxis. Auch Blumen dürfen in den Reihen wachsen. Dahlien, Vergissmeinnicht und überall Elsas Lieblingsblume, die Ringelblume. „Die kunnt iiberall vun ellei, des g’fallt mir so guet.” Unterhalb des Gartens ist eine Obstwiese mit drei Reihen Apfelbäumen, Zwetschgenbäumen und Kirschen. Hier dürfen die Hühner Gras picken. Auch ein Feigenbaum und „Mellili”, eine wurzelechte, feine Marille, wachsen im Umfeld des Gartens. Und natürlich Beeren aller Art. Früher hatte Elsa sogar so viele Himbeeren, dass sie welche an die Bäckereien verkaufen konnte.  Etwa drei Wochen vor der Ansaat im Frühjahr übergießt sie das ganze Gelände mit einem Ansatz aus Melasse und EM (Effektive Mikroorganismen). Die Methode geht auf den japanischen Gartenbauprofessor Teruo Higa zurück, der bestimmten Bakterien und Pilzen eine Wachstum fördernde Wirkung nachsagt. Elsa hat EM auf einer Gartenfahrt mit der Bauernzeitung in die Schweiz kennengelernt und wollte mehr darüber wissen. Von anderen Gartenfrauen und Büchern eignet sie sich immer mehr Gartenwissen an. Oder von ihren Töchtern. Selma ist Krankenschwester und Kräuterfachfrau, mit ihr geht Elsa gerne „ins Großvaters Garde”, den Wald, und sammelt Pilze, Beeren und Wildkräuter. Als erstes im Frühjahr Bärlauch. Tochter Christine von nebenan hatte bereits in Kanada, wo sie sieben Jahre lebte, einen Garten und hilft heute der Mutter. „Des freit mich”, sagt Elsa.
Zeit für den Garten
Die warmherzige Frau mit dem klassischen Dutt und den vielen Lachfalten trägt gerne Landhausmode und ist gut vernetzt im Dorf und im Landfrauenverein. Den hat sie mit gegründet und war 18 Jahre Vorsitzende. In dieser Zeit entdeckte Elsa eine bis dahin schlummernde Begabung, das Dichten. Bei Vereinsjubiläen, Vorträgen oder bei den Gartenfahrten ist sie bekannt dafür, unglaublich schnell und pointenreich zu reimen. Bei den Landfrauen ist sie heute nur noch einfaches Mitglied und hat Zeit. Um in aller Ruhe in den Garten zu gehen und ihr Gemüse und Obst zu verwerten.  Früher war an all das nicht zu denken. In der Landwirtschaft zählen Wein- und Obstbau auch heute noch zu den arbeitsintensiven Kulturen. Außerdem stand früher auch noch Vieh im Stall, für das täglich gesorgt werden und Heu geerntet werden musste.Die Kehnels zählten in ihrer Region zu den Pionieren im Bioweinbau. Es blieb kaum Zeit für anderes, auch die Kinder mussten früh mithelfen. Das stellt sie heute mit etwas Bedauern fest. Zusammen mit Heinz und den Erntehelfern hat ihr die Arbeit aber immer viel Spaß gemacht. Besonders gerne erinnert sie sich an die Zeit der Weinlese. Die von Farben und Düften reiche Herbstzeit, wo sich Rebberge, Laubmischwaldsäume und Heckenstreifen in der hügeligen Landschaft abwechseln. Was kann es da Schöneres geben, als draußen in der Natur zu sein und die Gaben Gottes zu ernten? Elsa ist in Broggingen aufgewachsen und besuchte nach der Volksschule noch die Winterschule und Kurse an der Bauernschule. Sie kommt aus einer Küferfamilie, wo zusätzlich zur Küferei mit Lehrlingen und Gesellen noch Landwirtschaft betrieben wurde.
Elsas Mutter hatte einen Garten und hat „jedes Krittli kennt”, zum Beispiel das Muttergotteskraut Ysop. Elsa und Heinz kannten sich schon aus Kindertagen, man traf sich beim Milchabliefern. Sie heirateten 1958 und im Jahr darauf wurde Tochter Friederike geboren, die heute Diakonisse ist. Der Garten der Familie war lange das Reich der Schwiegermutter und Elsa machte es ihr nicht streitig. Sie hatte mit Haushalt, Kindern und Hof mehr als genug zu tun. Für die Kinder strickte sie Pullover, Jäckchen und Kostüme. Um die Großfamilie zu ernähren, gab es am Ortsrand einen Kraut- und einen Kartoffelacker. Auch zwischen die Runkelrübenreihen auf dem Acker setzte man Salat oder Rettiche, die man nach dem Handhacken mit nach Hause nehmen konnte. Bis heute findet Elsa, dass das Kraut dort besser gewachsen ist als im Garten. „Irgendwie meint mer ’s het do me Platz, d’Kepf were greßer.” Heute gibt es außerhalb des Gartens noch eine Reihe Kartoffeln. Es sind nicht mehr so viele Esser da. Elsas Kinder sind relativ weit verstreut, aber nach Stationen in Afrika oder Kanada alle wieder in Deutschland. Alle sind beruflich erfolgreich und vor allem gesund. Dafür ist Elsa unendlich dankbar. Und alle kommen gerne heim. Mit den inzwischen
31 Enkelinnen und Enkeln reicht das Stüble schon lange nicht mehr. Zu Heinz’ 80. Geburtstag machte die ganze Familie eine Bootstour auf dem Altrhein mit anschließendem Fest im Hof, was auf einem eindrucksvollen Familienfoto dokumentiert ist. Die landwirtschaftlichen Flächen sind heute weitgehend verpachtet. Aber nicht nur in den Beeren- und Obstgärten finden Elsa und Heinz noch genügend Betätigungsfelder.
Elsas Gartentipp
Elsa Kehnel gärtnert nach dem Prinzip der Misch- kultur, wie sie durch Gertrud Franck geprägt wurde. Wichtig bei dieser Anbaumethode ist es, positive und negative Pflanzenwechselwirkungen zu beachten.
Elsa Kehnel ist seit vielen Jahren begeistert von der Mischkultur. Das angelesene Wissen  hat sie über die Jahre mit eigenen Erfahrungen bereichert. Der Begriff Mischkultur wurde von der 1905 geborenen Leiterin des Hofes Oberlimpurg in Hohenlohe, Gertrud Franck, geprägt. Ihre Erfahrungen in der Gartenarbeit zeigten ihr, dass sich Pflanzen gegenseitig fördern, schützen oder schaden. Es gibt positive und negative Pflanzennachbarschaften. Nach Gertrud Franck wird der Garten in schmalen Reihen bewirtschaftet, in denen sich Haupt-, Zwischen-, Vor- und Nachkultur abwechseln. Ein weiteres wesentliches Merkmal dieser Mischkultur ist die Bedeckung freier Bodenflächen mit Mulch aus Pflanzenschnittgut oder auch Beinwell. Vorbild dafür ist die Natur: Auch hier gibt es bei genügend Wasser keine kahlen Bodenflächen. Zur Bodenverbesserung durch Mulch nimmt Elsa Kehnel viel Spinat. Zwischen den einzelnen Gemüsesorten sät sie immer wieder Spinat ein. In einem Mischkulturengarten nach Gertrud Franck gibt es auch keine Wege. So wachsen beispielsweise Erdbeeren, Zwiebeln, Ringelblumen, Salat, Gurken, Basilikum und Möhren nebeneinander in Reihen auf. Der Boden wird nicht umgegraben, er ist trotzdem locker und zeichnet sich durch ein reiches Bodenleben aus.
Das Buch ist im Verlag erhältlich
Das neue Buch „Omas Gärten” von Christiane Bach, Walburga Schillinger und Barbara Sester ist im Badischen Landwirtschafts-Verlag erhältlich.
Rufen Sie  bei Interesse  unter Telefon  0761/27133-400 (Rita Locher) an, wahlweise können Sie auch ein Fax unter 0761/27133-401 oder  eine E-Mail an rita.locher@blv-freiburg.de senden.