Land und Leute | 01. September 2022

Von biblischen Zeiten und imposanten Vögeln

Von Christian Engel
Urlaub bei uns: Ein ganzes Museum ist in Meersburg der Heiligen Schrift gewidmet inklusive begehbarem Nomadenzelt und einer Druckerpresse, einer Nachbildung aus der Gutenberg-Ära. In Stockach lockt eine Straußenfarm, auf der 250 Tiere leben und die Besucherinnen und Besucher staunen lassen.
Vor allem Küken kommen bei Kindern gut an.
Was war zuerst da: die Henne oder das Ei? Ewige Frage, keine eindeutige Antwort. Bei Ingrid und Georg Frick aus Stockach am Bodensee lässt sich der Ursprung ihres Lebenswerks allerdings ganz gut belegen. Vor zehn Jahren legte das Paar eine Idee ins Nest, eine Idee, die erst einmal ausgebrütet werden musste: Wir wollen den Betrieb von Georgs Eltern – zuletzt Schaf- und Schweinezucht – in eine Straußenfarm verwandeln – wie gelingt uns das? Und nachdem die beiden eine Weile gebrütet, überlegt und Tipps von umliegenden Straußenfarmen bekommen hatten, war es 2012 so weit: Ställe bauen, Gehege hochziehen, drei Zuchttiere kaufen – und so entschlüpfte dieser kleinen Idee, diesem kleinen Ei eine richtige Farm, die mittlerweile in der ganzen Region bekannt ist und von 250 Straußen bewohnt wird.
Mit Ingrid Frick kann man ganz wunderbar auf den fünf Hektar durch die Gehege spazieren. Sie bietet Führungen an, zweimal in der Woche und nach Absprache auch außerhalb der üblichen Zeiten. Sie führt am Kükengehege vorbei, wo die Jungen sich um die begehrten Körner balgen, sie zeigt die Masthennen, von denen jedes Jahr rund 90 geschlachtet werden, sie präsentiert auch die vier Hähne, die erhobenen Hauptes die Weite überblicken, stolz – und auch etwas angsteinflößend.
Denn so ein Strauß, der kann schon mal kräftig zulangen. Fühlt er sich bedroht, stellt er seinen Bürzel hoch, drückt seine Brust raus, bäumt seine gut 2,70 Meter Körpergröße auf. Im nettesten Fall belässt er es beim Schnabelzwicken, im schlechtesten Fall tritt er mit seinen Zehenkrallen zu. Prellungen am Oberarm, am Schienbein, am Rücken – „das kommt schon hin und wieder vor”, sagt Ingrid Frick. „Aber zum Glück kamen wir bisher immer mit blauen Flecken davon.”
Weil die Arbeit mit Straußen nicht ungefährlich ist, haben die Fricks die Gehege der Hähne so angelegt, dass der Maschendrahtzaun erst ab einer Höhe von knapp einem Meter beginnt. So kann Ingrid Frick im Ernstfall schnell abzischen, bevor ein Hahn mit seinen 150 Kilo und knapp 60 Stundenkilometern auf sie stürmt – und die Straußen kommen mit ihrem haselnussgroßen Hirn nicht auf die Idee, unterm Zaun durchzukrabbeln und abzuhauen.
Ingrid Frick begann die Straußenfarm vor zehn Jahren aufzubauen und strahlt über ihren Erfolg.
Nicht viel im Kopf, dafür viel auf den Hüften – die Masttiere bringen schon mal 150 Kilogramm auf die Waage. Besonders begehrt sind Straußensteaks und -filets, die aktuell für 39 beziehungsweise 45 Euro pro Kilo im eigenen Hofladen und in umliegenden Märkten verkauft werden – Luxusfleisch, das laut Ingrid Frick aber bei vielen Menschen sehr gut ankommt. Straußenfleisch, sagt sie, sei sehr fettarm, aber reich an Eiweiß und Eisen. Es ist – im Gegensatz zu anderem Geflügel – ein dunkles Fleisch, im Geschmack eine Mischung aus Wild und Rind. „Zubereitet wird es wie ein Rumpsteak”, sagt Ingrid Frick.
Für hochwertiges Fleisch in ausreichender Menge braucht es aber eines: viel Futter. Ein Kilo Körner verputzt ein Maststrauß am Tag. Erst neulich hat Ingrid Frick wieder eine Großbestellung aufgegeben: 15 Tonnen Gerste,
15 Tonnen Weizen, 30 Tonnen Mais. Das reicht für ein Jahr.
Nach knapp 15 bis 18 Monaten bringen Ingrid und Georg Frick die Tiere zum Schlachter. In den kommenden Jahren soll die Zahl an Masttieren fast verdoppelt werden, auf knapp 140. Dies wird aber nur möglich dank einer Vergrößerung des Betriebs. Fünf weitere Hektar sollen bestenfalls schon im kommenden Jahr hinzukommen, der Bauantrag für
einen großen Stall läuft aktuell,
13 Ställe gibt es bereits.
Und wer schon mal vor Ort ist auf der Straußenfarm der Fricks, kann natürlich auch direkt im Hofladen vorbeischauen, wo es nicht nur Straußenfleisch und -eier zu kaufen gibt, sondern noch viel mehr Produkte, die der Strauß bietet: Staubwedel aus Straußenfedern, Lampen aus Straußeneiern, Seifen aus Straußenfett.
Ganz wunderbar lässt sich ein Besuch der Straußenfarm in Stockach auch mit einer kleinen Wanderung durch den Hegau verbinden. Rund um die Straußenfarm gibt es einen drei Kilometer langen Rundweg: wenig Höhenmeter, Schotterwege, kinderwagentauglich, an Hirsch- und Rehgehegen vorbei – mit schönem Weitblick auf den noch schöneren Hegau.
Offene Führungen auf der Straußenfarm in Stockach gibt es noch bis 13. September immer mittwochs (15 Uhr) und sonntags (11 und 15 Uhr), anschließend bis zum 1. November immer sonntags (11 Uhr). Wer als Gruppe eine Privatführung möchte, meldet sich bei Ingrid Frick unter Telefon 07771/ 9187044 oder per Mail an info
@straussenfarm-hegau-bodensee.de. Der nächste Barbecue-Abend findet statt am Samstag, 10. September. Leider gibt es keine Bushaltestelle in unmittelbarer Nähe – am nächsten ist die Haltestelle Stockach Gewerbegebiet plus  knapp 1,5 Kilometer Fußweg in nordöstlicher Richtung samt Unterquerung der B 31.  www.straussenfarm-hegau-bodensee.de

Von wegen verstaubt
Wie bei der Straußenfarm in Stockach musste auch im 30 Kilometer entfernten Meersburg erst einmal eine Idee ausgebrütet werden, aus der schließlich Großes wachsen sollte. Vor knapp 40 Jahren schwebte dem Gemeindepfarrer Gert Ehemann folgender Gedanke durch den Kopf: Die Menschen sollen nicht nur zur Kirche kommen, die Kirche soll auch zu den Menschen kommen. Kurz: Die Kirche im Allgemeinen und die Bibel im Besonderen sollen erlebbar werden, nicht nur sonntags während der Predigt, sondern am liebsten jeden Tag. Also entwarf er gemeinsam mit der damaligen Diakonin Thea Groß ein Konzept und erschuf etwas bis dahin Einmaliges in Deutschland – ein Bibelmuseum: die Bibelgalerie.
Die Bibelgalerie ist mittlerweile 34 Jahre alt und manch einer denkt nun vielleicht: Bibel – verstaubt, Museum – verstaubt, 34 Jahre – kann ja alles nur verstaubt sein. Die Bibelgalerie allerdings ist den Wandel der vergangenen drei Jahrzehnte mitgegangen, strahlt nach einem Relaunch vor einem guten Jahrzehnt dank neuer didaktischer Konzepte und kreativer Aufmachung, hat digitale Möglichkeiten integriert, ohne dass sie nerven, trifft mit Sonderausstellungen den Nerv der Zeit.
Die Schatzkammer präsentiert kostbare Bibel-Exponate aus fünf Jahrhunderten – Originale, Faksimiles und Drucke.
„Die Bibel”, sagt Museumsleiterin Thea Groß, „verbindet Konfessionen, Generationen und Nationen.” Und sie wird sehr würdevoll, aber auch anschaulich dargestellt in der Bibelgalerie. Auf zwei Stockwerken und insgesamt 400 Quadratmetern erfahren die Besucherinnen und Besucher Interessantes über die ersten Entdeckungen der Heiligen Schrift, über die verschiedenen Übersetzungen und die damit verbundenen Probleme und Unterschiede, über die Materialien, auf denen die Worte einst niedergeschrieben wurden (Pergament, Tontafeln). Wer mag, kann durch die einzelnen Bücher der Bibel stöbern (von Mose bis zur Offenbarung) oder auf den Spuren von Martin Luther wandeln, um seinem Vermächtnis näherzukommen.
In der Bibelgalerie wird’s interaktiv. Ein großes Nomadenzelt ist ebenso begehbar wir eine Lehmhütte. Hier lässt sich so authentisch wie möglich erfahren, wie die Menschen damals gelebt, gekocht, gegessen und gearbeitet haben. In einem anderen Raum berichten die biblischen Figuren Ruth, Rebekka und Zachäus mittels Audio über ihre Erlebnisse mit Gott, in einem wie ein Wohnzimmer gestalteten Raum können die Besucherinnen und Besucher ihre Kenntnisse über das Kirchenjahr in einem Quiz testen.
Vor allem für Kinder und Jugendliche ist einiges geboten: Beeindruckend ist natürlich die große Druckerpresse, eine Nachbildung aus der Gutenberg-Ära, als dieser mit seiner Erfindung die Welt für immer veränderte. Hier kann man erleben, wie die ersten Drucke funktionierten. Außerdem können Kinder und Jugendliche an verschiedenen Stationen spielerisch lernen: etwa beim Zuordnen von Redewendungen, die aus der Bibel stammen. Und wie beeindruckend ist es bitteschön, einmal eine der kleinsten Bibeln der Welt zu Gesicht zu bekommen – oder eine wasserfeste Bibel aus Sibirien?
34 Jahre Bibelgalerie – und stets aktuell. Dies funktioniert auch durch zahlreiche Sonderausstellungen. Aktuell läuft noch bis zum 11. September die Ausstellung „Begegnungen – Kunst trifft Realität”. Es geht um Begegnungen mit dem Schrecken des Kriegs oder mit der Hoffnung, um Begegnungen in der Bibel, mit und unter Kindern. Mehr als 60 Originalgrafiken, Skulpturen und Textilobjekte großer Künstlerinnen und Künstler werden gezeigt: von Marc Chagall, Otto Dix oder Käthe Kollwitz. „Die Ausstellung führt von der Begegnung mit der bedrückenden Realität hin ins Licht der Hoffnung”, sagt Museumsleiterin Thea Groß.
Blick in die Bibelgalerie. Das Angebot ist kreativ und ansprechend.
Bis zu 20 000 Besucherinnen und Besucher strömen jedes Jahr in die Bibelgalerie nach Meersburg. Und die meisten von ihnen (wenn sie durch den Haupteingang gehen) kommen am Galeriegarten vorbei. Lavendel, Salbei, ein Feigenbaum – rund 70 Pflanzen, die in der Bibel vorkommen, kann man dort riechen, schmecken, fühlen –  die Bibel und der Glaube also als ganzheitliches Erlebnis.
Die Bibelgalerie ist dienstags bis samstags von 11 bis 13 und 14 bis 17 Uhr geöffnet, sonn- und feiertags von 14 bis 17 Uhr. Anmeldungen für Gruppenführungen unter Telefon 07532/5300  oder  info@bibelgalerie.de. Vom Hafen ist die Bibelgalerie in knapp 10 Minuten, von der Bushaltestelle „Kirche” in einer Minute  zu Fuß erreichbar.
 www.bibelgalerie.de