Land und Leute | 22. August 2019

Rund um Erfindungsreichtum, Leder und Obst

Von Christiane Keutner
Gleich drei Museen locken nach Frickingen im Bodenseekreis: das Tüftler-Werkstatt-Museum, das Gerbermuseum zur Lohmühle und das Bodensee-Obstmuseum.
Tüftlermuseum in Frickingen.
Die Zeit scheint wie stehengeblieben im Tüftler-Werkstatt-Museum in Frickingen-Altheim, in dem es nach Metall riecht und durch dessen Glasscheiben fahles Licht in die hohen Räume schimmert. Dabei waren die Besitzer der Mechaniker-Werkstatt, Großvater, Vater und Sohn Widmer – alle drei hießen Karl – und ihr Lehrbub Josef Maier, ihrer Zeit weit voraus, und wenn man heutige Maßstäbe von Nachhaltigkeit und Umweltschutz anlegt, ist ihr Erfindungsreichtum und Wirken aktueller und beeindruckender denn je. Das wird in den zwei über 100 Jahren alten Werkstatträumen, die mit teils selbstgebauten Maschinen ausgestattet sind, auch nicht Technikbegeisterten äußerst anschaulich und begreifbar vermittelt.
Es beginnt beim Blick hinunter in die zwei Schächte auf den kanalisierten Bach, der einst das Wasserrad in Schwung brachte. Dieses ersetzten die Widmers in den 1930er-Jahren durch eine Eigenbau-Wasserturbine. Ein Griff genügt und sofort setzt sich das raffiniert aufgebaute, vielgliedrige, waage- und senkrecht gebaute, verschlungene und ineinandergreifende Transmissionsriemen-System in Bewegung und bringt alle Maschinen knarrend und schabend zum Laufen.
Ein Griff von Peter Reich und das faszinierende Transmissionsriemen-System setzt sich in Bewegung.
Auch Strom für die Werkstattbeleuchtung wurde, lange vor der Elektrifizierung Altheims, damit erzeugt – und liefert heute Energie unter anderem für das Abspielen des zehnminütigen Dokumentarfilms. Schautafeln mit historischen Fotos und Erklärungen vermitteln weitere Einblicke in das Leben und Wirken der Tüftler, die mit ihren Erfindungen die schwere Arbeit auf den Feldern erleichterten und mit viel Einfallsreichtum landwirtschaftliches Gerät reparierten. Besonders in der Nachkriegszeit musste Karl Widmer III improvisieren. Alte Autos und Motorradgespanne wurden zu Mäh- und Baumspritzmaschinen umgebaut, ehemals pferdegezogene Balkenmäher rüstete er mit einfachen Motorrad-Motoren zum Selbstfahrgerät auf. Davon zeugen Esse, Drehbänke, Bohr- und Hobelmaschinen sowie säuberlich aufgereihtes Werkzeug aller Art. „Des kannsch getroscht in de Alte Bach hintere werfe”, war Widmers Standardspruch, wenn die Bauern mit kaputtem Gerät ankamen – um es kurz darauf wieder gebrauchsfertig zurückzugeben. Als er 98-jährig gefragt wurde, ob man aus seiner Werkstatt ein Museum machen dürfe, meinte er: „Aber nur, wenn ich jederzeit darin schaffen darf!” Auch als Lehrmeister taugten die zwei Widmers: Ein Raum ist seinem „Stift” Josef Maier gewidmet. Der begabte Lehrling lernte alle technischen Kniffe und Tricks. Nach seiner Heirat mit der Französin Bernadette Coste, die später eine Stiftung für den Aufbau des Museums einrichtete, wurde er im fanzösischen Jura erfolgreicher Unternehmer und setzte in seiner Maschinenfabrik zahlreiche Erfindungen um: etwa die Produktionsmaschine für Brillengestell-Gelenke, Metallarmbänder und einen Hubschrauber.

Von der Kuh zum Schuh
Günter Metzger hatte in der Lohmühle als Gerber gearbeitet. Nach Schließung seines Betriebs spendete er dem Museum die Häckselmaschine.
Ein gutes, sehr beeindruckendes Gerbermuseum steht in Frickingen-Leustetten, die Lohmühle. Sie wurde in den 60er-Jahren stillgelegt. Rolf und Sylvia Hummel erwarben den einsturzgefährdeten Fachwerkbau von 1835, restaurierten die Mühle von 1870 und machten sie der Öffentlichkeit zugänglich.
Von der Kuh zum Schuh: Im Untergeschoss können die Besucherinnen und Besucher nachvollziehen, wie hart und langwierig die Arbeit eines Gerbers vom Erwerb der Tierhaut bis zur Fertigstellung des Leders war. Sein Lohn war gut, doch der Einsatz hoch, obwohl alle Gerätschaften über ein oberschlächtiges Wasserrad angetrieben wurden und dessen Räderwerk mächtig imponiert. Kraft musste man haben und widerstandsfähig sein gegen Gerüche – obwohl in der Leustetter Lohmühle hauptsächlich mit gemahlener Rinde – Lohe, daher der Name der Mühle − gegerbt wurde. Schon deren „Produktion” ist spannend: Die Rinde von Fichten und von 20-jährigen Eichen wurden im Kinzigtal/Schwarzwald angeritzt, am Baum rund drei Wochen getrocknet, an Gerber verkauft, der Baum als Brennholz angeboten. Mit dem zu Ballen gebündelten Reisig flammte man die Steilflächen des Schwarzwalds ab; die Asche düngte die abgeholzte Fläche für eine Wiederaufforstung. Zwei Jahre dauerte damals die Herstellung von Leder. Eine Beize aus Salz oder Taubenmist, manchmal auch Hundekot, löste im Fäulnisprozess die Tierhaare, eine Maschine schlug Fett in die Haut, dass sie weich wurde, zum Durchspülen und Aufquellen wurden die Häute an Stöcken in den Bach gehängt.
Im Gerbermuseum geht’s auch um Schuhe, wie Rolf Hummel, Vorsitzender des Fördervereins, erklärt.
Der Ausdruck „seine Felle davonschwimmen sehen” stammt aus der Gerberei: Kinder und Jugendliche trieben Schabernack und rüttelten an den Stöcken, so dass die Felle wegschwammen. Mit der Rinde stoppten die sogenannten Rot-Gerber den Fäulnisprozess, das Zusammenkleben und Festwerden der tierischen Haut. Eine Walze drückte mit einer Tonne Gewicht aufs Leder, mit Handgerät wurden Talgdrüsen weggeschabt, mit Lebertran und Rindertalg das Leder gefettet, auf dem riesigen Schiefertisch die Falten geglättet. 200 bis 300 Mal musste ein Gerber die Haut in die Hand nehmen, bevor sie fertig war. Haut- und Fleischreste wurden getrocknet, in Säcke eingenäht und in die Leimfabrik geschickt, dort unter anderem zu Gelatine verarbeitet. „Mein Vater hat nie Gummibärle oder Wackelpudding gegessen, weil er dort Leimleder vermutete”, erzählt Günter Metzger, der zehn Jahre als Gerber in der Lohmühle gearbeitet hat. Zuletzt hatte man noch die verbrauchte Rinde gemahlen und zu Lohkäse verpresst – als Brennmaterial wie Torf. Die losgelösten Haare dienten der Dämmung. Auch hier Resteverwertung von Anfang bis Schluss – vielpraktizierte Nachhaltigkeit.
Informativ und unterhaltsam
Exponate erzählen die Geschichte des Obstbaus am Bodensee.
Das Bodensee-Obstmuseum im 1591 erbauten Petershauser Hof in Frickingen dokumentiert die Geschichte des Obstbaus am Bodensee und wie es zu dem Markenzeichen „Bodenseeobst” kam. Es zeigt zudem Geräte zur Weiterverarbeitung der Früchte. Kinder werden mit dem Raben Apfel-Krabb, einer interaktiven 3D-animierten Projektion, auf lustige, spielerische und unterhaltsame Weise durch das Museum gelotst. Auch Erwachsene haben daran ihren Spaß. Das Obstmuseum ist auch Start und Ende des 12 Kilometer langen Apfel-Rundwegs, der an den beiden anderen beschriebenen Museen vorbeiführt.

  
Öffnungszeiten
Alle Museen in Frickingen sind im Internet zu finden unter www.museen.frickingen.de. Öffnungszeiten: Jederzeit − auch kurzfristig – nach vorheriger Anmeldung für kleinere und größere Gruppen, zudem jeden Sonn- und Feiertag von 10.30 bis 12 Uhr zwischen dem 1. Mai und 1. November. Eintritt frei, beziehungsweise gerne auf Spendenbasis. Parkplätze sind in unmittelbarer Nähe vorhanden. Der Regionalbus 7379 zwischen Überlingen Bahnhof und Heiligenberg hält in Frickingen.