Land und Leute | 07. August 2019

Dorfleben und Psychiatriegeschichte

Von Christa Rinklin
Zwei Museen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: Das Heimatmuseum in Ihringen gibt spannende Einblicke in das Dorfleben anno dazumal, das Psychiatriemuseum in Emmendingen macht sehr nachdenklich und betroffen.
Im Ihringer Heimatmuseum gibt es jede Menge an Gegenständen aus dem dörflichen Leben von einst zu entdecken.
Ein wenig versteckt, gleich neben dem historischen Rathaus, beginnt im malerischen Ihringen eine Zeitreise durch den Kaiserstuhl. Seit 1984 befindet sich im ehemaligen Milchhäusle eine mit viel Liebe gepflegte Schatzkammer an Gegenständen, Dokumenten und Fotos, die einen lebendigen Einblick in das bäuerliche Leben zur Zeit vor der Industrialisierung geben: das  Heimatmuseum Ihringen. Dabei ist es nicht nur das vor Geschichte(n) strotzende Sammelsurium an liebreizenden Habseligkeiten und kuriosen Gegenständen, vor denen man staunend stehenbleibt. Ein kleiner Geheimtipp ist auch der Mann, dessen Herz für das Heimatmuseum schlägt und durch das er mit großer Leidenschaft interessierte Besucherinnen und Besucher führt. Seit 1987 ist Walter Meier (74) stellvertretender Vorsitzender des Vereins Heimatmuseum Ihringen, Organisator, gute Seele und wandelndes Lexikon zugleich. Mit seinen Kenntnissen der Ortsgeschichte, gewürzt mit interessanten Anekdoten und Erlebnissen aus seiner Kindheit, versteht er es, die ausgestellten Objekte zum Leben zu erwecken.
Die Reise beginnt mit einem 30 000 Jahre alten Teil eines Mammutstoßzahns und Backenzähnen des riesigen Tiers, das einst auch den Kaiserstuhl bewohnte. Von einer Römerstraße und -siedlung außerhalb der Ortsgrenzen zeugen Überreste hochwertiger Keramik und eine römische Münze aus der Zeit um 260 n. Chr. Den zentralen Teil der Ausstellung nehmen jedoch Objekte aus dem 19. und 20. Jahrhundert ein. Walter Meiers Herz schlägt schneller, wenn er von den hohen Kirschbäumen erzählt, die früher auf jedem Rebgrundstück standen und das zweite Standbein der Menschen in Ihringen waren, wenn die Weinlese wieder einmal enttäuschend war.
Alte Fotos zeigen, wie die süßen Früchte als Tafelobst auf den örtlichen Kirschenmarkt gekarrt und getragen wurden, wo Händler, vorwiegend aus der Schweiz, sie gegen Bargeld in Empfang nahmen.
Meier erzählt auch von der Reblaus-Plage, der notwendigen Einführung der Pfropfreben und schlägt einen Bogen zu heute, wo die Reblaus aufgrund von Wildreben an den Böschungen wieder beste Bedingungen vorfindet.
Vorbei geht es im Museum an einer alten Schulbank mit Schiefertafel und Griffelkasten, an einer Zeigerschreibmaschine und an wie grafische Kunstwerke anmutenden Debitorenbüchern, in die der Buchhalter eines Weinguts im Jahr 1896 mit Schönschrift seine Forderungen eintrug.
Walter Meier zeigt, wie ein mobiler Dengelstock funktioniert.
Dass jedes noch so kleine Teil seine Geschichte hat, beweisen ein Glas Lebertran, ein Tanzknopf, Lebensmittelkarten, die Glocke des Dorfbotts und die ersten Mittel zur Kundenbindung: Zoo- und Bauernhof-Figürchen aus Hartplastik, die 1950  Margarine-Packungen beigegeben wurden.
In der Ihringer Kirchenorgel versteckt und erst 1977 gefunden wurde eine sehr gut erhaltene, bestickte Fahne, die der damalige Militärverein im Jahr 1895 weihte. Dass die einstige Ihringer Synagoge zu den zehn schönsten in Baden zählte, davon zeugt ein Foto, das sich in einem Bildband zu Ehren des Markgrafen aus dem Jahr 1870 befindet.
Ein faszinierendes Thema im Ihringer Museum ist das „Upcycling” zu Opas Zeiten. Da wurden aus alten Zigarrenkisten Schmuckschatullen und Bilderrahmen und aus leeren Fadenrollen Säulen für kleine Regale gebastelt. Stücke aus alten Autoreifen wurden in Notzeiten auf einen Draht gefädelt und als Ersatz für Fahrradreifen über die Felgen gezogen.
Und  natürlich gibt es auch etwas zum Schmunzeln wie den Nachttopf mit der Aufschrift: „Hier werden gesammelt von Mann und Frau: Liebesgaben für den Ackerbau”.
Das Museum in der Bachenstraße 42 ist von April bis Oktober sonntags von 17 bis19 Uhr oder nach Terminvereinbarung geöffnet, über den Winter nach Voranmeldung. Führungen können unter Telefon 07668/ 5763 vereinbart werden. Eintritt frei. Spenden willkommen. Am 13. Oktober findet ab 11 Uhr ein Museums-Flohmarkt mit Bewirtung auf dem Rathausplatz Ihringen statt. Wegen Bauarbeiten fährt diesen Sommer keine S-Bahn zwischen Freiburg und Breisach, stattdessen Schienenersatzverkehr mit Bus 729 C, Ausstieg Ihringen Winzerstube.
www.heimatmuseum-ihringen.de
Opfern Stimme geben
Blick in die Ausstellung des Psychiatrie-Museums
Alles andere als ein gängiges Ausflugsziel ist ein Museum, das sich der Psychiatriegeschichte widmet. Auf dem Areal des Zentrums für Psychiatrie (ZfP) Emmendingen findet man solch einen seltenen Ort, der nicht nur die Entwicklung der Seelenheilkunde in Baden beleuchtet, sondern auch zum Nachdenken über den Umgang mit psychisch Kranken in der deutschen Geschichte anregt.
Mit viel Feingefühl führt der aus dem Iran stammende, pensionierte Psychiater Dr. Mehdi Rashid durch das Emmendinger Psychiatrie-Museum. Er ist  als Patientenfürsprecher tätig und als Projektleiter so etwas wie die gute Seele des Museums, das vor knapp einem Jahr neben dem Kaffeehaus eröffnet wurde.
Ausgangspunkt des Rundgangs ist die Gründung der Badischen Heil- und Pflegeanstalt Emmendingen 1889. In ihren ersten Jahren galt sie als Ableger der Pforzheimer Anstalt und wurde als „Sammelbecken chronisch unheilbarer Geisteskranker” bezeichnet. Auf Infowänden ist viel über die weitere Entwicklung zu erfahren: die Verelendung der Patientinnen und Patienten während der Rezession nach dem Ersten Weltkrieg und den Hoffnungsschimmer, den die 1920er-Jahre als „Goldene Zeit” verbreiteten. Alle Verbesserungen zunichte machte die Anfang der 1930er-Jahre stärker werdende Tendenz, zwischen „lebenswertem” und „lebensunwertem” Leben zu unterscheiden.
Die nationalsozialistische Ideologie der Rassenhygiene stellte ab 1933 auch für die Emmendinger Anstalt eine Periode besonderer Härte dar, die in tragischen Schicksalen gipfelte. Eine steinerne Replik der „grauen Busse”, mit denen von 1940 bis 1941 1002 Patientinnen und  Patienten  in die Tötungsanstalten Grafeneck und Hadamar deportiert wurden, kann im Rahmen einer Wanderausstellung bis März 2020 auf dem Gelände des ZfP Emmendingen besichtigt werden.
In einem „Raum der Erinnerung” versucht das Museumsteam jedem Opfer eine Stimme zu geben. Auf einer großen Tafel sind annähernd 800 Namen von Patientinnen und  Patienten aus Baden, die das Terrorregime nicht überlebten, zu lesen.
Dr. Mehdi Rashid zeigt die Funktionsweise eines Pillendrehers. Daneben eine Gießform für Zäpfchen.
In der Ausstellung des Museums sind historische Exponate aus den unterschiedlichsten Bereichen der Emmendinger Heil- und Pflegeanstalt zu finden. Es gibt beispielsweise Aktenlocher für die „badische Lochung”:  ein in der badischen Verwaltung angewandtes Verfahren, platzsparend Akten zu binden und zu archivieren. Zudem sind medizinische Geräte zu sehen, etwa für die Elektrokrampftherapie, Spritzen zur Entnahme von Magensaft bei vorsätzlichen Vergiftungen, ein Kopfschutz für sturzgefährdete an Epilepsie erkrankte Menschen, genannt „Heiligenschein”, bis hin zur Zwangsjacke, Fixiergurten und Arbeitsgeräten aus der Zeit, in der die Patientinnen und Patienten einer sogenannten Arbeitstherapie unterzogen wurden.
Für Einzelpersonen und Gruppen, die sich mit diesem sensiblen Thema auseinandersetzen und mehr zu den heutigen Möglichkeiten und Konzepten in der Psychiatrie wissen möchten, ist Dr. Mehdi Rashid der ideale Ansprechpartner.
Das Psychiatrie-Museum Emmendingen ist in der Neubronnstraße 25. Öffnungszeiten:   Ganzjährig mittwochs 15 bis 17 Uhr oder nach Vereinbarung. Anfragen für Führungen sind unter Telefon 07641/461-2030 möglich. Eintritt frei. Der Stadtbus SB5 benötigt 7 Minuten vom Bahnhof zur Haltestelle ZfP/Haupteingang.