Kultur und Natur am Jestetter Zipfel entdecken
Übrigens: Die geografische Lage ist am Nacker Rheinufer ziemlich verzwickt. Oberhalb der Rheinfähre steht der erste von 1740 Schaffhauser Grenzsteinen, der die im Kanton Zürich eingebetteten Schaffhauser Exklaven Rüdlingen und Buchberg vom Landkreis Waldshut trennt. Zudem ist der vorbeifließende Rhein die natürliche Grenze zum Kanton Zürich.
Vom Grenzstein 1 aus ist bereits die Fähre am gegenüberliegenden Elliker Rheinufer zu sehen. Um Fährmann oder Fährfrau zu aktivieren, heißt es beim deutschen Wartehäuschen die große Messingglocke zu läuten und gleichzeitig den roten Knopf zu drücken, wodurch die Fährleute über Funk das Läuten der Glocke hören. Seit 115 Jahren verkehrt eine Drahtseilfähre zwischen dem deutschen Rheinufer und dem Zürcher Weinland. Seit rund 20 Jahren schippern der 78-jährige Fährmann Hans Zürcher und seine Frau Rös vom 1. April bis zum 15. Oktober jährlich bis zu 10000 Fahrgäste über den Rhein. Vom ehemaligen Fischerdörfchen Ellikon aus geht es rheinaufwärts auf schmalen Pfaden den gelben Wanderrauten nach. Für Kinderwagen ist der Weg nichts. Zu hoch sind hier die Baumwurzeln. Bei einer Schiffsanlegestelle endet der Weg, und eine lange Naturtreppe führt hinauf nach Rheinau, dem ältesten Marienwallfahrtsort der Schweiz. Von hoch oben thront die reformierte Bergkirche St. Nikolaus, und aus der Rheinsenke ragen die beiden Türme der ehemaligen Klosterkirche hervor. Der südliche Turm ist der Mutter Gottes geweiht, und diese Wallfahrtskirche zählt zu den schönsten barocken Kirchen der Schweiz. Anfang des 18. Jahrhunderts wurde sie vom Bregenzerwälder Baumeister Franz Beer im heutigen Erscheinungsbild gebaut. Die prächtigen Seitenaltäre sind wie Nebenkulissen auf den zentralen Hochaltar ausgerichtet. Sehr beeindruckend sind auch das aus einheimischem Nussbaumholz geschnitzte Chorgestühl, das schmiedeeiserne Chorgitter und die prachtvollen Stuckaturen und Deckenfresken. Seit der Auflösung des Klosters im Jahr 1862 dient die Kirche der katholischen Pfarrei Liebfrauen als Gotteshaus, und es finden auch regelmäßig Konzerte statt.
Monika von Känel ist Sigristin, wie in der Schweiz die Mesnerin genannt wird. Im liturgischen Jahreskreis kleidet sie die Marienfigur mit 18 verschiedenen Gewändern in den entsprechenden liturgischen Farben ein. Auch bietet sie Kirchenführungen an, anschließend bietet sich eine Pause im neu renovierten Klostergarten an, der wohl eine der schönsten Gartenwirtschaften der Region ist.
„Nach der Aufhebung des Klosters war hier die Psychiatrie drin, da durfte keiner rein”, erzählt ein Einheimischer. Weiter geht es durch den Ort wieder in Richtung Landesgrenze. Auf der Vorbrücke grüßt der eiserne Brückenpatron Nepomuk, bevor es über den Rhein geht. Die überdachte hölzerne Pfahljochbrücke wird gerne auch als das Tor zur Schweiz bezeichnet. Laut Jestetter Chronik wollten die Deutschen im April 1945 die Brücke sprengen. Im letzten Augenblick überlegten es sich die verantwortlichen Pioniere aber anders und flüchteten über die Brücke lieber in die Schweiz.
Staunen ist über die grenzüberschreitende Vorfahrtsregel auf der einspurigen Überfahrt angesagt. Hier gilt: „Der Schnellere ist der Geschwindere.”
Auf dem deutschen Parkplatz legen sich Taucher ins Zeug. Sie erzählen, dass sich der Tauchplatz bei der alten Zollbrücke besonders für Nachttauchgänge anbietet. Jetzt heißt es dem Wanderweg in den schattigen Wald zu folgen. Am Wegesrand lässt eine Entdeckung staunen: ein ungewöhnlicher Baum, passend wäre der Name „Vielbaum”. Direkt am Wasser verzweigen und verschlingen sich dicht gedrängt Baumwurzeln in zwölf Baumstämme und gewähren bis zur Krone einen besonderen Einblick.
Schmale Pfade und zahlreiche Naturtreppen führen dann in den kleinen Lottstetter Ortsteil Balm, wo es früher eine mittelalterliche Burg gab. Leider gibt es dort keine Einkehrmöglichkeit, nur einen Dorfbrunnen. Auf dem letzten, sechs Kilometer langen Teilstück führt der Weg vorbei an den drei Naturbadeplätzen Jestetten, Balm und Giesse, die mit zahlreichen Grillstellen zum Verweilen einladen.
Bei der Wanderung empfiehlt es sich, einen Abstecher zum ausgeschilderten Thurspitz zu machen, wo die Thur in den Rhein fließt. Zudem führt der Weg noch an einer Beobachtungshütte vorbei, in der durch Klappluken die Tierwelt der Thurauen aus allernächster Nähe beobachtet werden kann. Das letzte Stück der Tour verläuft auf dem Hochwasserschutzdamm bis nach Ellikon, wo Fährmann Hans mit einem „Wänner wieder übere?” grüßt.