Die Ampelkoalition hat erste Pflöcke für den angestrebten Umbau der Tierhaltung eingeschlagen. Mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP beschloss der Bundestag am 16. Juni das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz sowie eine Änderung des Baurechts, um Tierwohlumbauten zu erleichtern.
Die Regelungen gelten zunächst nur für Mastschweine. Sie sollen aber auf Ferkel und Sauen sowie auf weitere Tierarten und Verkaufswege ausgeweitet werden.
In einer Entschließung kündigt die Koalition weitere Schritte für diese Legislaturperiode an. Insbesondere soll die verbindliche Tierhaltungskennzeichnung auf Ferkel und Sauen sowie auf weitere Tierarten und Verkaufswege ausgeweitet werden.
Während Abgeordnete der Ampelfraktionen die Beschlüsse als Meilensteine lobten, kam aus der Opposition harsche Kritik. Zufrieden äußerte sich Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir. „Mit der verpflichtenden Tierhaltungskennzeichnung und den Erleichterungen für den Stallumbau gehen wir heute gleich zwei ganz zentrale Bausteine an, die für eine zukunftsfeste Tierhaltung notwendig sind”, erklärte der Grünen-Politiker im Anschluss an die Beschlussfassung im Parlament.
DBV: Fortschritt mit Nachbesserungsbedarf
Der Deutsche Bauernverband
(DBV) wertet die Gesetze als Fortschritt, verlangt aber Nachbesserungen.
Für den Deutschen Raiffeisenverband (DRV) sind die beschlossenen
Regelungen „unvollständiges Stückwerk”. Enttäuscht zeigten sich
Tierschutzverbände.
Redner der Koalition wiesen in der teilweise hitzig geführten
Bundestagsdebatte darauf hin, dass die Vorgängerregierung an beiden
Vorhaben trotz mehrjähriger Anläufe gescheitert sei. Für
SPD-Berichterstatterin Susanne Mittag ist die Verabschiedung der
Tierhaltungskennzeichnung „ein wichtiger Schritt, dem weitere Schritte
folgen müssen”.
Der agrarpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Gero Hocker,
bezeichnete das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz als „riesigen Gewinn”
für Landwirte und Verbraucher. Damit habe die Koalition ein zentrales
Versprechen erfüllt. Die FDP habe sowohl bei der Kennzeichnung als auch
bei den baurechtlichen Änderungen wesentliche Verbesserungen für die
Landwirte erreicht, sagte Hocker, der in der Debatte nicht selbst das
Wort ergriffen hatte.
Anfang des Umbaus
Das gilt auch für Minister Özdemir. Aus seiner Sicht
ist mit den Gesetzesbeschlüssen der Umbau der Tierhaltung nach Jahren
der Krise und vielen Anläufen bei Kennzeichnungen eingeleitet. Özdemir
sprach von einem „großen und gemeinsamen Erfolg der Koalition für unsere
Landwirtschaft”. Sein Ziel sei, dass auch in Zukunft gutes Fleisch aus
Deutschland komme. Er bekräftigte seinen Willen, die Kennzeichnung nach
und nach auszuweiten. Mit den Änderungen im Baurecht schaffe man
Erleichterungen für einen tiergerechten Umbau von Ställen.
Auch nach den Worten von Renate Künast markieren die Gesetze „den Anfang
des Umbaus der Tierhaltung”. Die Kennzeichnung schaffe Transparenz für
Verbraucher und Verlässlichkeit für Bauern. Mit den noch anstehenden
Vorhaben bis hin zu einer Ernährungsstrategie werde man ein
zukunftsweisendes Paket schnüren, an dem sich alle Beteiligten
orientieren könnten.
Schulnote sechs
Als vertane Chance kritisierte dagegen
CDU/CSU-Agrarsprecher Albert Stegemann die Beschlüsse der Ampel. „Eine
Tierhaltungskennzeichnung, die nur für frisches Schweinefleisch gilt und
damit nur ein Drittel des Schweines vermarktet, ist ein Rückschritt”,
so Stegemann. Aufgrund ihrer gravierenden Unzulänglichkeiten und Lücken
verdiene die Kennzeichnung der Ampel die Schulnote sechs. Zur
Finanzierung von mehr Tierwohl sei im Gesetz gar nichts geregelt. „Ohne
langfristige Verträge zwischen Staat und allen Landwirten über 20 Jahre
wird aber kein Landwirt einen Stall umbauen können”, warnte der
CDU-Politiker. CSU-Kollege Artur Auernhammer kritisierte die
beschlossene Kennzeichnung als Etikettenschwindel und
Verbrauchertäuschung. Für die AfD warf deren Agrarsprecher Stephan
Protschka der Koalition vor, sie betreibe eine bauernfeindliche Politik.
Insbesondere den Grünen gehe es darum, die Tierhaltung nicht um-,
sondern abzubauen. Die Obfrau der Linken im Ernährungsausschuss, Ina
Latendorf, bezeichnete das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz als
Armutszeugnis.
Als ersten wichtigen Schritt zur Weiterentwicklung der
landwirtschaftlichen Tierhaltung wertet DBV-Generalsekretär Bernhard
Krüsken die beschlossenen baurechtlichen Neuregelungen. Dies könne aber
nur ein erster Schritt sein, dem weitere folgen müssten. Krüsken
erinnerte daran, dass die Bauern seit nunmehr zehn Jahren auf
Erleichterungen beim Tierwohl-stallumbau warteten. Dem trage die jetzige
Gesetzesänderung zumindest teilweise Rechnung.
Fünf Haltungsformen
Die Haltungskennzeichnung umfasst fünf Haltungsformen. Die Regelungen gelten zunächst nur für Mastschweine. Diese müssen in der Haltungsform „Stall” nach den gesetzlichen Mindestanforderungen gehalten werden. In „Stall plus Platz” stehen den Tieren 12,5 Prozent mehr Platz zur Verfügung als vorgeschrieben. Im „Frischluftstall” muss den Schweinen ein dauerhafter Kontakt zum Außenklima ermöglicht werden. In der Haltungsform „Auslauf/Weide” muss den Schweinen ganztägig ein Auslauf zur Verfügung stehen. „Bio” erfordert die Einhaltung der Vorgaben in der EU-Ökoverordnung.
Mit der Baurechtsnovelle soll der Stallum- und -neubau zur Verbesserung des Tierwohls erleichtert werden. Das Gesetz sieht eine baurechtliche Privilegierung für Unternehmen vor, die ihre Stallanlagen umbauen wollen, um ihre vorhandene Tierhaltung auf die Haltungsformen „Frischluftstall”, „Auslauf/Weide” oder „Bio” umzustellen. Einbezogen sind aber lediglich Ställe, die mit der Baurechtsänderung von 2013 ihre baurechtliche Privilegierung verloren haben und die sie nun wieder zurückerhalten.
Bei Um- oder Neubauten müssen Tierbestände nicht verringert werden. Möglich wird zudem, dass ein Ersatzneubau an anderer Stelle erfolgen kann als das Altgebäude. Allerdings muss das Altgebäude zurückgebaut werden. Beide Gesetze werden aller Voraussicht nach am 7. Juli den Bundesrat passieren.