Politik | 16. Februar 2023

SUR bedroht die regionale Versorgung

Von Silvia Rueß
Der Entwurf der EU-Kommission zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln, bekannt als Sustainable Use Regulation, kurz „SUR”, schlägt nicht nur im Berufsstand hohe Wellen. Vergangene Woche wurde darüber in einer öffentlichen Anhörung im Landtag diskutiert.
Bei der öffentlichen Anhörung im Landtag zu SUR wurde als Alternative mehrfach der baden-württembergische Wegdes kooperativen Naturschutzes beschworen.
Michael Glaser vom Referat Pflanzenschutz am Landestechnologiezentrum in Augustenberg hat eine klare Meinung zu den Vorschlägen aus der EU. Werde das Papier wie geplant umgesetzt, dann sieht er große Nachteile für die regionale Landwirtschaft. Ein pauschales Pflanzenschutzmittelverbot führe zu solch massiven Einschränkungen, dass die regionale Versorgung nicht mehr sichergestellt werden könne.
Ein Treiber des Strukturwandels
Zudem sei es ein Treiber des Strukturwandels. Das Gesetz fördere große spezialisierte Betriebe und koste die kleinen, diversifizierten Höfe ihre Existenz, da die kulturspezifischen Vorschriften, Berichtspflichten und Dokumentation ein großes bürokratisches Monster seien, das weder Familienbetrieb noch Agrarverwaltung aktuell stemmen könnten.
Für die Arbeitsgemeinschaft der baden-württembergischen Bauernverbände, also den Landesbauernverband in Baden-Württemberg (LBV) und den BLHV,  erklärte Elisabeth Böhnlein vom LBV, dass auf keinen Fall der für Baden-Württemberg erarbeitete Weg aus dem Biodiversitätsstärkungsgesetz (BiodivStärkG) aufgegeben werden darf. „Pauschale Reduzierungen sind nicht zielführend”, so die klare Meinung der Umweltreferentin. Pflanzenschutz sei nötig, um die Kulturen angemessen zu schützen. ISPplus sei hier eine intelligente Lösung. Zudem wäre auch der Kompromiss, der in den heimischen Schutzgebieten mit dem BiodivStärkG getroffen worden sei, für die Landwirte gangbar. Der vorgeschlagene Weg der EU sei es dagegen nicht.
Joachim Rukwied, Präsident des  LBV und des Deutschen Bauernverbandes (DBV), erklärte im offiziellen Pressestatement: „Der baden-württembergische Weg des kooperativen Naturschutzes ist gesellschaftlich anerkannt, stärkt den Artenschutz und gibt unseren landwirtschaftlichen Familienbetrieben eine Zukunftsperspektive. Mit diesem kooperativen Ansatz im Biodiversitätsstärkungsgesetz ist Baden-Württemberg Vorreiter in Deutschland und Europa. Das von der EU-Kommission vorgeschlagene pauschale Verbot von Pflanzenschutzmitteln in Schutzgebieten bedroht unsere regionale Landwirtschaft existenziell. Anstatt Ordnungsrecht zu verschärfen, muss gemeinsam mit der Landwirtschaft der Artenschutz und die Erzeugung regionaler Lebensmittel gestärkt werden. Wir erwarten, dass die EU-Kommission diesen richtungsweisenden  Weg für Baden-Württemberg nicht gefährdet und ihren ungeeigneten Vorschlag zum Pflanzenschutzmitteleinsatz zurücknimmt.”
Aus Sicht der Forschung nicht gangbar
Professor Ralf Vögele von der Universität Hohenheim erinnerte daran, dass die „grüne Revolution, die in den 1960er-Jahren angestoßen wurde, ohne Pflanzenschutz nicht möglich gewesen wäre. Er registriert zugleich den Rückgang der Insekten seither sowie zunehmend mangelnde Akzeptanz der Bevölkerung. Für Vögele steht allerdings fest, sollte das Gesetz in der ersten Fassung kommen, dann müsse Baden-Württemberg „den Trollinger von anderswo importieren”. Ein komplettes Verbot von Pflanzenschutzmitteln sei aus Sicht der Forschung nicht gangbar. An der Universität laufe derzeit ein Forschungsprojekt, bei dem auf den Einsatz von chemisch-synthetischen Mitteln verzichtet werde und das auch die kompletten Auswirkungen erfasse.
Erste Ergebnisse zeigen, dass auf jeden Fall biologische Mittel beziehungsweise Mineraldünger im Einsatz bleiben müssten. Hoffnung versprechen auch neue Verfahren aus der Gentechnik, allerdings ein in Deutschland derzeit unerwünschtes Verfahren.
Selbst Naturschützer haben Einwände
Johannes Enssle, der für die Umweltverbände NABU, BUND und LNV gesprochen hat, begrüßte grundsätzlich „die Einführung einer direkt wirksamen Verordnung der EU zur besseren Regelung von Pestiziden in Europa”. Er kritisiert die mangelnde Transparenz über den Mitteleinsatz in Europa. Enssle räumt jedoch ein, dass der Entwurf der EU-Kommission an entscheidenden Stellen noch Nachbesserungen benötige. Er kritisiert das Totalverbot sämtlicher Mittel, also auch solcher Mittel, die im Ökolandbau zugelassen sind. Hier sieht er die Gefahr, dass Betriebe aufgeben würden und damit auch für den Naturschutz wichtige Kulturlandschaften gefährdet sind.
Sonderkulturen stark gefährdet
„Das Land Baden-Württemberg sollte sich in Brüssel und Straßburg dafür einsetzen, dass die Verordnung überarbeitet und dann zügig verabschiedet wird”, so Enssle. Andreas Ganal, Geschäftsführer Obst vom Bodensee, machte nochmals deutlich, dass aktuell jeder vierte deutsche Apfel vom Bodensee stammt.
Bei einem pauschalen Verbot von Pflanzenschutzmitteln (PSM) in Deutschland, wären aktuell  3500 Hektar nicht mehr mit Sonderkulturen bewirtschaftbar. Das würde für etliche Familienbetriebe das „Aus” bedeuten. Eine Reduktion von zehn Prozent betrachtet Ganal als unrealistisch.
Ökonomische Folgen nicht berücksichtigt
Auch Hermann Hohl vom  Weinbauverband Württemberg sieht die heimische Erzeugung massiv in Gefahr. Er fordert die komplette Rücknahme des Komplettverbots von PSM in empfindlichen Gebieten. „Eine Zulassung von Biomitteln und Mitteln mit niedrig eingestuftem Risiko reicht nicht aus”, stellt er fest. Zu viele im Weinbau wichtige Wirkstoffe würden so verloren gehen. Aus diesem Grund unterstützt der Weinbauverband den Vorschlag einer umfangreichen Folgenabschätzung.  Im ursprünglichen Vorschlag seien weder die aktuellen Preisentwicklungen betrachtet noch die bürokratische Belastung für kleine und mittlere Betriebe. „Die ökonomischen Folgen für alle Betriebe sind nicht berücksichtigt”, konstatiert Hohl.