Der Entwurf der EU-Kommission zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln, bekannt als Sustainable Use Regulation, kurz „SUR”, schlägt nicht nur im Berufsstand hohe Wellen. Vergangene Woche wurde darüber in einer öffentlichen Anhörung im Landtag diskutiert.
Bei der öffentlichen Anhörung im Landtag zu SUR wurde als Alternative mehrfach der baden-württembergische Wegdes kooperativen Naturschutzes beschworen.
Michael Glaser vom Referat Pflanzenschutz am Landestechnologiezentrum in Augustenberg hat eine klare Meinung zu den Vorschlägen aus der EU. Werde das Papier wie geplant umgesetzt, dann sieht er große Nachteile für die regionale Landwirtschaft. Ein pauschales Pflanzenschutzmittelverbot führe zu solch massiven Einschränkungen, dass die regionale Versorgung nicht mehr sichergestellt werden könne.
Ein Treiber des Strukturwandels
Zudem sei es ein Treiber des Strukturwandels. Das Gesetz
fördere große spezialisierte Betriebe und koste die kleinen,
diversifizierten Höfe ihre Existenz, da die kulturspezifischen
Vorschriften, Berichtspflichten und Dokumentation ein großes
bürokratisches Monster seien, das weder Familienbetrieb noch
Agrarverwaltung aktuell stemmen könnten.
Für die Arbeitsgemeinschaft der baden-württembergischen Bauernverbände,
also den Landesbauernverband in Baden-Württemberg (LBV) und den BLHV, erklärte Elisabeth Böhnlein vom LBV, dass auf keinen Fall der für
Baden-Württemberg erarbeitete Weg aus dem Biodiversitätsstärkungsgesetz
(BiodivStärkG) aufgegeben werden darf. „Pauschale Reduzierungen sind
nicht zielführend”, so die klare Meinung der Umweltreferentin.
Pflanzenschutz sei nötig, um die Kulturen angemessen zu schützen.
ISPplus sei hier eine intelligente Lösung. Zudem wäre auch der
Kompromiss, der in den heimischen Schutzgebieten mit dem BiodivStärkG
getroffen worden sei, für die Landwirte gangbar. Der vorgeschlagene Weg
der EU sei es dagegen nicht.
Joachim Rukwied, Präsident des LBV und des Deutschen Bauernverbandes
(DBV), erklärte im offiziellen Pressestatement: „Der
baden-württembergische Weg des kooperativen Naturschutzes ist
gesellschaftlich anerkannt, stärkt den Artenschutz und gibt unseren
landwirtschaftlichen Familienbetrieben eine Zukunftsperspektive. Mit
diesem kooperativen Ansatz im Biodiversitätsstärkungsgesetz ist
Baden-Württemberg Vorreiter in Deutschland und Europa. Das von der
EU-Kommission vorgeschlagene pauschale Verbot von Pflanzenschutzmitteln
in Schutzgebieten bedroht unsere regionale Landwirtschaft existenziell.
Anstatt Ordnungsrecht zu verschärfen, muss gemeinsam mit der
Landwirtschaft der Artenschutz und die Erzeugung regionaler Lebensmittel
gestärkt werden. Wir erwarten, dass die EU-Kommission diesen
richtungsweisenden Weg für Baden-Württemberg nicht gefährdet und ihren ungeeigneten Vorschlag zum Pflanzenschutzmitteleinsatz zurücknimmt.”
Aus Sicht der Forschung nicht gangbar
Professor Ralf Vögele von der
Universität Hohenheim erinnerte daran, dass die „grüne Revolution, die
in den 1960er-Jahren angestoßen wurde, ohne Pflanzenschutz nicht möglich
gewesen wäre. Er registriert zugleich den Rückgang der Insekten seither
sowie zunehmend mangelnde Akzeptanz der Bevölkerung. Für Vögele steht
allerdings fest, sollte das Gesetz in der ersten Fassung kommen, dann
müsse Baden-Württemberg „den Trollinger von anderswo importieren”. Ein
komplettes Verbot von Pflanzenschutzmitteln sei aus Sicht der Forschung
nicht gangbar. An der Universität laufe derzeit ein Forschungsprojekt,
bei dem auf den Einsatz von chemisch-synthetischen Mitteln verzichtet
werde und das auch die kompletten Auswirkungen erfasse.
Erste Ergebnisse zeigen, dass auf jeden Fall biologische Mittel
beziehungsweise Mineraldünger im Einsatz bleiben müssten. Hoffnung
versprechen auch neue Verfahren aus der Gentechnik, allerdings ein in
Deutschland derzeit unerwünschtes Verfahren.
Selbst Naturschützer haben Einwände
Johannes Enssle, der für die Umweltverbände NABU, BUND
und LNV gesprochen hat, begrüßte grundsätzlich „die Einführung einer
direkt wirksamen Verordnung der EU zur besseren Regelung von Pestiziden
in Europa”. Er kritisiert die mangelnde Transparenz über den
Mitteleinsatz in Europa. Enssle räumt jedoch ein, dass der Entwurf der
EU-Kommission an entscheidenden Stellen noch Nachbesserungen benötige.
Er kritisiert das Totalverbot sämtlicher Mittel, also auch solcher
Mittel, die im Ökolandbau zugelassen sind. Hier sieht er die Gefahr,
dass Betriebe aufgeben würden und damit auch für den Naturschutz
wichtige Kulturlandschaften gefährdet sind.
Sonderkulturen stark gefährdet
„Das Land Baden-Württemberg sollte sich in Brüssel und
Straßburg dafür einsetzen, dass die Verordnung überarbeitet und dann
zügig verabschiedet wird”, so Enssle. Andreas Ganal, Geschäftsführer
Obst vom Bodensee, machte nochmals deutlich, dass aktuell jeder vierte
deutsche Apfel vom Bodensee stammt.
Bei einem pauschalen Verbot von Pflanzenschutzmitteln (PSM) in
Deutschland, wären aktuell 3500 Hektar nicht mehr mit Sonderkulturen
bewirtschaftbar. Das würde für etliche Familienbetriebe das „Aus”
bedeuten. Eine Reduktion von zehn Prozent betrachtet Ganal als
unrealistisch.
Ökonomische Folgen nicht berücksichtigt
Auch Hermann Hohl vom Weinbauverband Württemberg sieht die heimische Erzeugung massiv in
Gefahr. Er fordert die komplette Rücknahme des Komplettverbots von PSM
in empfindlichen Gebieten. „Eine Zulassung von Biomitteln und Mitteln
mit niedrig eingestuftem Risiko reicht nicht aus”, stellt er fest. Zu
viele im Weinbau wichtige Wirkstoffe würden so verloren gehen. Aus
diesem Grund unterstützt der Weinbauverband den Vorschlag einer
umfangreichen Folgenabschätzung. Im ursprünglichen Vorschlag seien
weder die aktuellen Preisentwicklungen betrachtet noch die bürokratische
Belastung für kleine und mittlere Betriebe. „Die ökonomischen Folgen
für alle Betriebe sind nicht berücksichtigt”, konstatiert Hohl.