Politik | 09. Juni 2022

Özdemir will jetzt einfach mal machen

Von AgE
Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat seine Pläne für eine verbindliche staatliche Tierhaltungskennzeichnung vorgestellt. Die Finanzierung des Umbaus der Tierhaltung bleibt aber weiter ungeklärt.
Agrarminister Cem Özdemir hat die FDP noch nicht mit im Boot.
Landwirtschaftsminister Cem Özdemir hat bei der Vorstellung der Eckpunkte am Dienstag am Dienstag in Berlin seinen Willen bekräftigt, trotz ungeklärter Finanzierung die politischen Voraussetzungen für einen Umbau der Tierhaltung zu schaffen. „Wir machen das jetzt”, sagte er. Er zeigte sich zuversichtlich, noch eine Einigung mit der FDP über ein Finanzierungskonzept zu erreichen. Voraussetzung sei jedoch eine Abkehr von Maximalforderungen: „Es wäre gut, wenn die Beteiligten nicht so hoch auf die Bäume klettern, dass es schwer- fällt, wieder herunterzukommen.” Özdemir ließ erkennen, dass andere Wege denkbar seien, sollten die FDP bei ihrem Nein zu einer Steuerlösung bleiben. Er könne sich vorstellen, dass laufende Kosten der Betriebe für höhere Standards aus dem Agrarhaushalt beglichen werden. Allerdings benötige er dazu eine verbindliche politische Zusage, dass die benötigten Mittel künftig im Etat des Ministeriums eingestellt werden. Mit den vorgesehenen Investitionsfördermitteln von einer  Milliarde Euro ab 2023 sei ein Anfang gemacht, der jedoch nicht ausreiche.
Eigene Stufe für Bio
Die Pläne sehen fünf Haltungsformen für Mastschweine vor (siehe unten). Bio bekommt eine eigene Stufe. Özdemir hat sich zum Ziel gesetzt, die Ressortabstimmung zu dem  Gesetzentwurf vor der Sommerpause abzuschließen. Die parlamentarischen Beratungen sollen in der zweiten Jahreshälfte beginnen. Das Inkrafttreten ist für 2023 geplant.
Die Kennzeichnung soll schrittweise eingeführt werden. Beginnen will man mit frischem Schweinefleisch im Lebensmitteleinzelhandel, Fleischereifachgeschäften, dem Onlinehandel und anderen Verkaufsstellen. Die Gastronomie soll später folgen. Das gilt auch für die Kennzeichnung für  Rinder, Milchvieh und Geflügel. Importe sollen sich freiwillig dem deutschen Kennzeichnungssystem unterwerfen können. Die EU-Notifzierung soll zunächst anhand des Schweinefleischs durchexerziert werden.
Ferkelerzeugung nicht einbezogen
Grundsätzlich positiv wertet der Deutsche Bauernverband (DBV) die Eckpunkte.   Ausdrücklich begrüßte er die Stufe „Stallhaltung+Platz”. Damit hätten die Initiative Tierwohl (ITW) und die vielen an dieser Initiative teilnehmenden Betriebe eine Zukunft.  „Wenn aber für verarbeitete Fleischprodukte, für andere Absatzkanäle als den Lebensmitteleinzelhandel und für Rind und Geflügel kein verbindlicher Zeitplan vorgegeben ist, dann wird es keinerlei Lenkungswirkung geben und das Konzept droht im Markt unterlaufen zu werden”, warnte DBV-Präsident Joachim Rukwied.
Zudem sei die  Ferkelerzeugung nicht einbezogen. „Betäubungslos kastrierte Ferkel aus anderen EU-Mitgliedstaaten mit höheren Haltungsstufen auszuzeichnen, geht gar nicht”, so Rukwied.
Der Verband der Fleischwirtschaft sieht die Finanzierung des Umbaus als Knackpunkt. Die FDP müsse ihre Blockadehaltung aufgeben. Das Thünen-Institut schätze den Finanzbedarf für die Schweinehaltung auf drei bis vier Milliarden Euro pro Jahr. Zur Gegenfinanzierung zeigte sich der Verband  offen dafür, den ermäßigten Mehrwertsteuersatz für tierische Erzeugnisse zu streichen.
Die Bioverbände begrüßten, dass eine eigene Biostufe vorgesehen ist. Bei Bio ende der Tierschutz nicht im Stell, betonte der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft. Bioland zufolge braucht es eine langfristige  Finanzierung, idealerweise über ein Abgabesystem. 
Kein alternativer Finanzierungsvorschlag
CDU-Agrarsprecher Albert Stegemann monierte, dass Özdemir an den  Koalitionspartnern zu scheitern drohe. Unverständlich sei, dass die FDP keine öffentlichen Mittel in Form einer Abgabe oder einer Steuer zur Stallbaufinanzierung bereitstellen wolle. Ein alternativer  Finanzierungsvorschlag werde von der Koalition nicht vorgelegt.
Die ITW  lobte die Stufe Stallhaltung+Platz, weil für viele Schweinehalter ein Stallumbau mit Auslauf oder mehr offenen Wänden auf absehbare Zeit kaum möglich sei. Kritisch sieht die ITW, dass die Pläne eine staatliche Kontrolle vorsähen. Sie regte eine Zusammenarbeit mit bestehenden Kontrollsystemen der Wirtschaft an.
Der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Christian Dürr, bekräftigte bei der Mitgliederversammlung des Deutschen Raiffeisenverbandes, dass es eine Anhebung der Mehrwertststeuer mit der FDP nicht geben werde. Auch einer Abgabenlösung erteilte er eine Absage. Er schlug vor, den Lebensmittelhandel in die Pflicht zu nehmen.  Fraktionskollege Dr. Gero Hocker warf Özdemir vor, er verteile ungedeckte Schecks und locke Bauern in die „Investitionsfalle”.
Die Vorgaben im Einzelnen
Die Pläne sehen fünf Haltungsformen für Mastschweine vor:
  • Die Haltungsform „Stall” entspricht den gesetzlichen Mindestanforderungen.
  • Mit der Haltungsform „Stall+Platz” kommt das Ministerium den Forderungen nach einer Einstiegsstufe in Anlehnung an die Initiative Tierwohl (ITW) nach. Kriterien sollen ein um 20 % über gesetzlichem Mindeststandard liegendes Platzangebot sowie Maßnahmen zur Strukturierung der Buchten sein. Vom Vorhaben, dass die Vorgaben von „Stall+Platz” ab 2028 gesetzlicher Mindeststandard werden sollen, hat das Ressort zunächst Abstand genommen.
  • „Frischluftstall” schreibt dauerhaften Kontakt zum Außenklima vor. Damit soll mindestens eine Seite des Stalls offen sein müssen. Die  Schweine müssen 46 % mehr Platz haben.
  • Bei „Auslauf/Freiland” sollen die Tiere mindestens acht Stunden im Freien ohne festes Stallgebäude gehalten werden. Das zusätzliche Platzangebot  soll mindestens 86 % betragen.
  • Schließlich hält das Ressort an einer eigenen Haltungsform „Bio” fest. Grundlage sind die Anforderungen der EU-Ökoverordnung.