Politik | 29. Oktober 2014

Steigende Ansprüche von mehreren Seiten

Von AgE
Der deutsche Agrarsektor muss sich auf weiter steigende gesellschaftliche Ansprüche, aber auch auf einen zunehmenden globalen Wettbewerb einstellen. Das ist bei der Berliner Tagung „Trends in der Landwirtschaft - quo vadis Agrarwissenschaften” des Dachverbandes Agrarforschung (DAF) deutlich geworden.
Der zunehmende globale Wettbewerb ...
Nach Einschätzung von Professor Michael  Schmitz  von der Universität Gießen bietet der zunehmende Handel an den weltweiten Agrarmärkten unter dem Strich mehr Chancen als Risiken für alle Beteiligten. Der Gießener Agrarökonom warb daher für den weiteren Abbau von Handelshemmnissen und riet dazu, die Ursachen von Armut, Hunger und Umweltzerstörung statt mit einer weiteren Reglementierung des Agrarhandels besser mit einer zielgerichteten Sozial- und Umweltpolitik zu bekämpfen.
Megatrend Regionalisierung
... befeuert in der Gesellschaft einen Gegentrend: Regionalität wird vielen wichtiger.
Für Professor Roland  Herrmann, ebenfalls von der Universität Gießen, stellt auch die Regionalisierung von Erzeugung und Verbrauch einen Megatrend auf den Agrarmärkten dar. Er geht davon aus, dass Regionalität für Verbraucher und Handel in Zukunft noch wichtiger werden, warnt allerdings die Politik davor, die Entwicklung mit zu viel staatlicher Beteiligung abzuwürgen.
Professor Matthias  Gauly  von der Fakultät für Naturwissenschaften und Technik der Freien Universität Bozen warf ein Schlaglicht auf die zunehmenden ethischen und politischen Herausforderungen in der Tierhaltung.
Der Agrarwissenschaftler sieht vor allem im Schweine- und Geflügelsektor noch erheblichen Nachholbedarf bei den Haltungssystemen und beim Tierwohl.
Transparenzoffensive
Er forderte unabhängig davon aber für den gesamten Sektor eine Transparenzoffensive und einen engen Dialog mit Verbrauchern und Politik.
Schmitz wies darauf hin, dass der internationale Güteraustausch – auch im Agrarbereich – den Wohlstand von heute überhaupt erst möglich gemacht habe. Ein weitgehend unreglementierter Außenhandel sei somit die Grundvoraussetzung für wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt sowie bezahlbaren Umweltschutz. Den oft geäußerten Vorwurf, freie Märkte sorgten für zunehmende Preisvolatilitäten, ließ der Gießener Agrarökonom dabei nicht gelten. Nach seiner Darstellung hat sich bei Untersuchungen in afrikanischen Staaten vielmehr gezeigt, dass die Preisschwankungen bei einheimischen Produkten deutlich größer waren und dass international gehandelte Agrarerzeugnisse damit sogar einen dämpfenden Effekt auf volatile Märkte ausüben.
Die Politik sollte deshalb nach der Empfehlung von Schmitz Barrieren an den globalen Agrarmärkten möglichst abbauen und die Handelspolitik nicht als weitgehend ungeeignetes Instrument zur Bewältigung von Umweltproblemen oder sozialen Fragen benutzen.
Nach Angaben von Herrmann bevorzugen drei von vier Verbrauchern Produkte aus der Region, und fast genauso viele wären auch bereit, dafür mehr zu bezahlen. Den Grund dafür sieht der Agrarwissenschaftler vor allem in der zunehmenden Komplexität im Lebensmittelbereich. So habe allein zwischen 2000 und 2009 die Zahl der Waren bei Discountern um gut 54 Prozent und bei klassischen Supermärkten um fast 40 Prozent zugelegt. Viele Verbraucher seien dadurch verunsichert und tendierten deshalb zu überschaubaren Kreisläufen und Herkünften.  Herrmann zufolge hat auch die Politik diesen Trend erkannt und ihn beispielsweise mit dem Regionalfenster aufgegriffen.
Bei einem zu starken staatlichen Engagement sieht er jedoch die Gefahr, dass private Initiativen und der eigentlich wünschenswerte Qualitätswettbewerb auf diesem Gebiet ausgehebelt werden. Herrmann empfiehlt der Politik daher, in dem Sektor eine stärkere Autonomie und privatwirtschaftliche Organisation zuzulassen. Im unternehmerischen Wettbewerb sieht der Gießener Agrarwissenschaftler das bessere Regulativ für ein qualitativ hochwertiges regionales Lebensmittelangebot.
Landwirtschaft im Zugzwang
„Massentierhaltung”  beginnt laut dem Bozener Agrarwissenschaftler Matthias Gauly für viele Menschen bei Kühen ab 500 Tieren, obwohl die durchschnittliche Herdengröße in Deutschland bei 48 Tieren liege. Dies zeige, so Gauly, dass „Massentierhaltung” zwar kaum definiert, gesellschaftlich aber trotzdem etabliert sei. Die Landwirtschaft steht nun nach seinen Worten im Zugzwang, beim Bürger um Akzeptanz für ihr Tun zu werben.
Hier sieht er weniger im Rinderbereich als vielmehr bei Schweinen und Geflügel Nachholbedarf, da die Produktion hier weitgehend hinter verschlossenen Türen stattfinde und daher medial und damit meist negativ geprägt sei.
Der richtige Weg liegt für Gauly in der Schaffung von Transparenz und der Öffnung von Ställen, aber auch in einer an gesellschaftlichen Forderungen orientierten Veränderung der Haltungssysteme. Auch für die Agrarwissenschaften sieht er hier noch wesentlichen  Forschungsbedarf bei Zucht, Fütterung und Technik, um die moderne Haltung in den Augen der Gesellschaft wieder akzeptabel zu machen.