Betrieb und Wirtschaft | 19. Juni 2019

Stärke statt Stimmung

FamilienbetriebStatt sich von der schlechten Stimmung anstecken zu lassen, sollte man sich auf seine Stärken besinnen. Das gilt für den Einzelnen als Betriebsleiter wie für den Berufsstand insgesamt. Nachfolgend Denkanstöße dazu von Rolf Brauch, Bildungsreferent beim Bildungshaus Neckarelz und Regionalbeauftragter der Evangelischen Landeskirche.
Stimmungen muss man selbstverständlich ernst nehmen, weil sie die Menschen beeinflussen.  Aber  es ist gefährlich, sich – ausschließlich – von Emotionen leiten zu lassen. Das betrifft  eigene unternehmerische Entscheidungen, aber auch die Kommunikationsstrategien gegenüber Politik und Öffentlichkeit.  
Angst  ist eine  unbestimmte Emotion, die  lähmt und handlungsunfähig macht – und Angst ist ein schlechter Ratgeber. Angst wird auch gerne  von Populisten und Scharfmachern ausgebeutet im Sinne  von Verstärkung oder Bestätigung von Feindbildern.
Gelingende Beziehungen sind zentral – egal ob in der Familie, zu Freunden, den Berufskollegen oder den Nachbarn. Beziehungen produktiv zu gestalten, ist daher Kernkompetenz als Unternehmer im Familienbetrieb.

Der Berufsstand  muss die Konsequenzen daraus ziehen, dass bisher gewohnte Automatismen nicht mehr funktionieren – wie beispielsweise:  Es gibt ein Problem, wir  beklagen dies lautstark und die Politik hilft. Die  Diskussion um die Dürrehilfe  in 2018 zeigte dies eindrücklich.  Der Berufsstand  braucht neue Allianzen und Kommunikationsstrategien zur Durchsetzung seiner Interessen.
Jammern macht nicht attraktiv. Es hat auch Folgen in der gesamten Wertschöpfungskette: Es macht den Berufsstand als Partner schwach, wo doch gerade Stärke als Verhandlungspartner angesagt und nötig wäre.

Starke Konstruktion
Familienbetriebe sind eine starke Konstruktion. Dazu müssen aber die Beziehungen als Voraussetzung des ökonomischen Erfolgs stark und belastbar gestaltet werden. Sie sind der Humus, auf dem Unternehmen ökonomisch wachsen, blühen und Früchte bringen. Männer delegieren aber gerne Beziehungsaufgaben an die Frauen, weil diese es ja so viel besser können ...
Wer Ehe bzw. Partnerschaft aber ernst nimmt als die Ankerbeziehung im Familienbetrieb, der muss darin mehr sehen als „der Partner schafft”. Gelingende Beziehungen sind die Gestaltungsausgabe schlechthin auch was die Generationenbeziehung und die Nachbarschaftsbeziehungen anbelangt. Aber das haben manche  nie gelernt oder als notwendig erachtet. Beziehungen produktiv zu gestalten, ist daher Kernkompetenz als Unternehmer im Familienbetrieb.
Landwirtschaft ist oft ein Bereich der Einflüsterungen und Fremdbestimmung: Wenn der Landwirt einen ordentlichen   Gewinn gemacht hat, soll er etwas tun,   sagt der Steuerberater – und zwar investieren. Wenn er bauen will, sagt der Berater, wie groß man das heute macht ... Nein;  Landwirte müssen die unternehmerische Regie in ihrem Beruf zurückgewinnen. Sie setzen die Werte und Ziele in der Ökonomie  und Lebensqualität, für die sie arbeiten und leben wollen. Beratung hilft „nur”, diese zu erreichen. Bildung ist dafür der wichtigste Erfolgsfaktor,  sie macht stark und handlungsfähig.  Fachbildung ist in der Unternehmensführung genauso wichtig wie Persönlichkeitsbildung.
Kosten kennen
Für den Bereich der Unternehmensführung heißt das: Du musst der Beste sein, nicht unbedingt der Größte. Die Margen sind entscheidend – und die gilt es zu optimieren, nicht einfach nur die Stückzahlen oder Umsätze zu maximieren. Doch dazu muss ich meine Vollkosten ganz  kennen und wissen, wie man daran „dreht”. Und ich muss ein Marketingmensch sein.  Die Differenz von Preis minus Kosten ist der Gewinn – das ändert keine Politik. Und von dieser Differenz muss man leben und investieren.
Um stärkenorientiert sein Unternehmen zu entwickeln, muss man sich selber gut kennen mit allen Stärken und Schwächen. Dazu muss man sich  ehrlich und offen selber und von anderen den Spiegel vorhalten lassen. Es ist  ganz wichtig zu wissen, was man wirklich selber will und auch kann – und wie  man bei anderen ankommt und von ihnen wahrgenommen wird.
 Voraussetzung dafür sind Offenheit, Kritikfähigkeit und die Bereitschaft, sich von anderen –  vor allem auch in der eigenen Familie – Rückmeldung zu holen. Gut ist es,  die eigene Komfortzone – das gewohnte Umfeld – zu verlassen, um sich neuen Personen und neuen Erfahrungen auszusetzen. Fremderfahrungen wie das Weggehen von zu Hause vor der Betriebsübergabe sind  heute nötiger denn je.  Auch die „Älteren” können sich immer wieder bei Fortbildungen, Arbeitskreisen, Studienfahrten den Spiegel vorhalten lassen und ihre Haltungen und Handlungen kritisch bedenken. Es stärkt das Selbstwertgefühl und schafft  persönliche Reife.
   Diese Klärungsprozesse  schaffen Klarheit – so schmerzhaft sie auch sein können – über eigene  Ziele, Werte  und Stärken und wie ich sie dann ganz individuell umsetzen kann im Leben und Arbeiten. Nach meinen Erfahrungen in der Seelsorge  und in der Beratungsarbeit wissen Landwirte  zu wenig über sich selbst. Gerade  jetzt, wo es keine Pauschalrezepte mehr  zum Erfolg  gibt, ist das notwendiger denn je, um seine Ressourcen zu kennen und zielführend  einzusetzen.
Nötig ist auch  die Fähigkeit,    aus Krisen zu lernen. Was gab es schon in Krisensitzungen für Absichtserklärungen und Versprechen, was man  alles anders  oder besser machen will: Die Arbeitswirtschaft  optimieren, die  Kosten  senken, auf die Lebensbalance achten, mehr Marktmacht aufbauen, mehr kooperieren, kompetenter in Gremien mitarbeiten, mehr tun im Risikomanagement. Aber sobald die  Krise vorbei ist, ist fast alles vergessen ... bis die  nächste Krise  kommt.
Das gilt auch für  andere Aufgaben – nicht nur einzelbetriebliche  –, wo es darum geht,  Lösungen zu finden wie im Tierschutzbereich oder bei der Nitratbelastung. Nichts zu tun oder zu wenig, wird in Zukunft härter „bestraft” und zwar politisch, ökonomisch und auch, was die Beziehungen anbelangt.
Es gibt für  jeden einen Weg der Stärke, der ganz anders sein kann als der des Nachbarn oder Kollegen, dessen Betriebsportrait  im Wochenblatt steht. Dazu braucht es Mut und Selbstwertgefühl und Menschen, die  mich begleiten –   auch jenseits  fachlicher Fragen.
 Auch der Wechsel in den Nebenerwerb oder die Betriebsaufgabe  kann für einige eine „starke Alternative”  sein,  statt sich bei weiterem Wachstum im Betrieb ökonomisch, aber auch gesundheitlich oder in den Beziehungen zu ruinieren. Der Betrieb soll uns dienen  – nicht umgekehrt.

Weder überhöhen noch schlechtreden
Landwirt sein ist ein erfüllender Beruf, über den wir  vor anderen  entsprechend  reden sollten. Weder  mit  ideologischer Überhöhung noch mit  jammervollem Schlechtreden.  Seine Stärken können aber auch zu Fallen werden: Wenn Selbständigkeit bedeutet, selbst und ständig zu arbeiten, oder die Selbstvermarktung zur Folge  hat, dass der Kunde der König ist – und ich der „Bettler”. Oder wenn die Bindungen in der Familie („Blut ist dicker als Wasser”) etwa dazu führen, dass die zweite Abnabelung des Hofnachfolgers  von der Mutter im Hotel Mama nicht gelingt, und der junge Unternehmer immer der „Bub” bleibt. Oder die Turbolader-Haltung des dynamischen Hofnachfolgers  – aufgrund einer hohen Motivation – im Sinne schneller großer Wachstumsschritte zur Vernachlässigung der Beziehungspflege  in der Familie führt.
Was uns  erhalten bleibt in der Landwirtschaft, sind drei V:
- Veränderungen,
- Volatilität,
- Verschiedenheit.
Wer stark ist, damit umzugehen, für den bleibt Landwirt ein attraktiver Beruf. Und darüber darf man – stark – auch öffentlich bei allen Gelegen