Politik | 24. März 2022

So will Brüssel die Ukraine-Krise abfedern

Von AgE
EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski hat mit Blick auf den Krieg in der Ukraine einen Plan zur Wahrung der Ernährungssicherheit und zur Milderung der ökonomischen Folgen für die europäischen Landwirte angekündigt.
Die EU-Kommission will unter anderem die Krisenreserve der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) aktivieren.
Bei der Anhörung vor dem Landwirtschaftsausschuss des Europaparlaments am 17. März erklärte Wojciechowski, dass die Krisenreserve der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) von 500Millionen Euro aktiviert werde. Zusammen mit einer möglichen nationalen Kofinanzierung von zusätzlich 200 Prozent könnte so insgesamt ein Betrag von bis zu 1,5 Milliarden Euro mobilisiert werden. Zudem soll es laut dem Agrarkommissar nun doch Beihilfen zur Privaten Lagerhaltung (PLH) von Schweinefleisch geben.
Ausnahmen für ÖVF
Des Weiteren bereite seine Behörde eine Ausnahmeregelung zur Nutzung der ökologischen Vorrangflächen (ÖVF) vor, teilte Wojciechowski mit.  Gleichzeitig stellte der Pole aber klar, dass diese Maßnahmen nur befristet gelten würden, um negative Auswirkungen auf die Biodiversität möglichst niedrig zu halten.
Schließlich arbeitet die Behörde dem Agrarkommissar zufolge an der Einrichtung eines Sonderbeihilferahmens. Dieser habe das Ziel, die Folgen des Ukraine-Krieges für die EU-Landwirte über mögliche nationale Sonderhilfen abzumildern. Alle Maßnahmen befänden sich noch in der Vorbereitung, stellte Wojciechowski fest. Endgültige Entscheidungen seien noch nicht gefallen. Für diesen Mittwoch kündigte er die Vorlage einer Mitteilung zur Sicherstellung der Nahrungsmittelversorgung an.
Darüber hinaus berichtete der Pole aus Gesprächen mit der ukrainischen Regierung, dass die dortigen Landwirte zur Sicherstellung der Frühjahrsbestellung vor allem Treibstoff benötigten.
Deutliche Worte von Norbert Lins
Deutliche Worte wählte der Vorsitzende des Landwirtschaftsausschusses, der CDU-Politiker Norbert Lins. Jede Tonne mehr  Weizen in der EU sei in diesem Jahr nicht nur eine Tonne mehr für die Ernährungssicherheit und die Bekämpfung des Hungers in der Welt. „Es ist auch eine Tonne mehr gegen Putin und für die Stärkung von Demokratie und Freiheit”, konstatierte er. Umso wichtiger sei es, dass Wojciechowski endlich dem Drängen nachgegeben und  Maßnahmen zur Wahrung der Ernährungssicherheit angekündigt habe. Den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine bezeichnete der Ausschussvorsitzende  als eine „Zäsur”.
Sein Fraktionskollege, der Agrarsprecher der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP), Herbert Dorfmann, begrüßte, dass das Thema Versorgungssicherheit wieder auf die Agenda der EU-Agrarpolitik gerückt sei. Er gab zu bedenken, dass der russische Überfall auf die Ukraine noch über mehrere Jahre Folgen nach sich ziehen könne. So hätten viele europäische Saat-guterzeuger Betriebe in der Ukraine. Dadurch bestehe die Gefahr, dass es 2023 zu Engpässen bei der Versorgung mit Saatgut in der EU kommen könne, warnte Dorfmann.
Die spanische Europaabgeordnete Clara Aguilera, Agrarkoordinatorin der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten (S&D), lobte die Kommissionspläne. Darüber hinaus sei es notwendig, den Landwirten angesichts hoher Energiepreise und  drastisch gestiegener Düngemittelpreise unter die Arme zu greifen. Der stellvertretende agrarpolitische Sprecher der liberalen Fraktion Renew Europe (RE), Martin Hlavácek, beklagte, dass sich die gesamte EU in einer zu starken Importabhängigkeit bei wesentlichen Produktionsmitteln  befinde. Er forderte von Wojciechowski, einen Gipfel zu organisieren und vor allem die großen Akteure an ihre Verantwortung für eine faire Preisbildung zu erinnern. Zudem kritisierte er diejenigen Mitgliedstaaten, die jetzt Ausfuhrbeschränkungen für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse erlassen hätten und so die Krise noch verschärften.
Häusling enttäuscht
„Enttäuscht” über die Ankündigungen Wojciechowskis zeigte sich der Agrarsprecher der Grünen/EFA, Martin Häusling. Er kritisierte, dass nun so getan werde, als ob die Klimakrise aufhöre, nur weil es jetzt den Ukraine-Krieg gebe. Zudem seien PLH-Beihilfen für den europäischen Schweinesektor kaum die richtige Antwort auf eine drohende Hungerkrise in Afrika und dem arabischem Raum. Derzeit würden in der EU nur 20Prozent des Getreides unmittelbar für die menschliche Ernährung verwendet, so der Grünen-Politiker. Der niederländische Abgeordnete der RE, Jan Huitema, forderte ein grundsätzliches Umdenken in der europäischen Landwirtschaft. Angesichts der aktuellen Herausforderungen müsse deutlich mehr in Kreisläufen  gehandelt werden. So gibt es nach Einschätzung von Huitema nach wie vor noch ungenutzte Potenziale an organischen Düngemitteln. Als Beispiel nannte er einen stärkeren Einsatz von Klärschlamm.
Die von Wojciechowski angekündigten Pläne hatten Kommissionsvertreter bereits am
14. März im Sonderausschuss Landwirtschaft (SAL) den Mitgliedstaaten vorgestellt. Die Reaktion fiel in Teilen sehr kritisch aus. Beispielsweise bezeichnete Italien die angedachten PLH-Beihilfen für den Schweinefleischsektor als „wirkungslos”. Wichtiger wäre es aus Sicht der Italiener, die Schweinehalter bei den  Kosten  zu entlasten. Auch Spanien und Kroatien erklärten, dass sie die PLH-Beihilfen für Schweinefleisch nicht für die wirkungsvollste Maßnahme halten.
PLH-Hilfen zu spät
Aus Sicht von Polen, das sich in den vergangenen Monaten mehrfach für PLH-Beihilfen ausgesprochen hatte, kommen die  angekündigten Pläne der Kommission angesichts der mittlerweile wieder kräftig gestiegenen Schlachtschweinepreise zu spät.
Im Hinblick auf die Nutzung der Ökologischen Vorrangflächen sprach sich Polen für eine generelle Aufhebung der Beschränkung hinsichtlich der Kulturen aus. Nicht nur der Anbau von Eiweißpflanzen, sondern auch der von anderen Feldfrüchten wie zum Beispiel Getreide sollte erlaubt sein. Zudem müsse diese Ausnahme auch im kommenden Jahr gelten, so die Forderung Warschaus. Lettland und Ungarn schlossen sich dieser an. Tschechien mahnte zudem an, auf den Vorrangflächen auch wieder den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zuzulassen. Spanien bezeichnete die Brüsseler Pläne zur Nutzung der Brachflächen als „geeignet”. Italien pochte darauf, auch auf den Stilllegungsflächen den Anbau von Getreide und Ölsaaten zu erlauben. Darüber hinaus forderte es, die Anforderungen an die Strategiepläne zur Gemeinsamen Agrarpolitik angesichts der Folgen des Ukraine-Krieges entsprechend anzupassen.