Tierhaltung | 04. Juni 2020

Schweizer sehen die Grenze erreicht

Von Dr. Michael Götz
Werden die Würfe zu groß, sterben mehr Ferkel, und die Sauen magern stärker ab. Die Schweizer züchten deshalb auf sinkende Ferkelverluste und weniger untergewichtige Ferkel.
Kaum geboren, müssen die Ferkel eine Zitze finden und verteidigen. Bei größeren Würfen kommt es dabei zu mehr kräftezehrenden Auseinandersetzungen, bei denen untergewichtige Ferkel im Nachteil sind.
Sauen können nur so viele Ferkel aufziehen, wie sie Zitzen haben. Auch die Schweizer züchteten deshalb auf mehr Zitzen je Sau. Adrian Albrecht von der Suisag in Sempach – dem zentralen Dienstleistungs- und Kompetenzzentrum der Schweizer Schweinebranche – präsentierte bei einer Tagung in der Schweiz, wie sich die Sauenzucht über die Jahre entwickelt hat: 2001 hatten die Sauen in der Schweiz durchschnittlich 14,6 Zitzen; heute sind es 16. „Damit ist das Ziel aber erreicht, mehr ist nicht sinnvoll”, betont Albrecht. 
Anteil abgesetzter Ferkel zählt
Auch die durchschnittliche Wurfgröße ist angestiegen von etwa 11 lebend geborenen Ferkeln im Jahr 2001 auf etwa 13 im Jahr 2019. Der Anstieg habe sich aber seit 2013 gewollt abgeflacht. Denn das Zuchtziel wurde angepasst: Wichtiger als die Wurfgröße ist im Schweizer Zuchtprogramm die Ferkelaufzuchtrate. Das ist der Anteil abgesetzter Ferkel an den insgesamt gesäugten Ferkeln. Sie wird mit 23 Prozent im Gesamtzuchtwert gewichtet und ist damit das mit Abstand wichtigste Merkmal im Zuchtziel.
Da in der Schweiz alle Sauen gemäß Tierschutzverordnung frei abferkeln, also nicht mehr in Kastenständen gehalten werden, ist es wichtig, Sauen zu züchten, die möglichst wenig Ferkel erdrücken. Deshalb wurde das Merkmal „Saugferkelverluste” aufgenommen. Schweinehalter auf Biobetrieben in Deutschland und Österreich, die auf Schweizer Genetik setzen, haben beobachtet, dass diese Sauen in der freien Abferkelung außerdem auch umgänglicher seien als internationale Sauengenetiken, bemerkt Albrecht.
Züchtet man auf noch größere Würfe, ist nicht nur ein Ausgleich zwischen den Würfen kaum oder nicht mehr möglich, sondern es sterben auch mehr Ferkel. Das hat Roland Weber am Zentrum für tiergerechte Haltung der eidgenössischen Forschungsanstalt Agroscope in Tänikon festgestellt. Der Hauptgrund: Bei großen Würfen kommen mehr leichtgewichtige Ferkel zur Welt, die unter einem Kilogramm wiegen. Von diesen sterben bis zum Absetzen deutlich mehr Tiere als von den normalgewichtigen.
Je größer die Würfe werden, desto länger dauert die Geburt. Der Sau bereite eine lange Geburt mehr Schmerzen und sie sei stärker erschöpft, sagt Weber. Auch das Risiko schmerzhafter Wundliegegeschwüre an der Schulter steige an. Denn je stärker die Sau abmagert, desto mehr reibt ihr Schulterblatt beim Liegen in Seitenlage auf dem Boden.
Außerdem kommt es zu mehr Unruhe am Gesäuge. Die Sau unterbricht das Säugen häufiger und ändert vermehrt ihre Liegeposition. Dadurch nimmt das Risiko zu, dass Ferkel erdrückt werden.
Doch schon vor der Geburt wird es eng für die Ferkel. Weber spricht vom „intrauterinen Crowding”: Mehr Ferkel bedeuten weniger Platz in der Gebärmutter mit der Folge, dass mehr Embryonen absterben. Es kommen mehr tote und unterentwickelte Ferkel zur Welt. Da die Geburt bei großen Würfen im Durchschnitt länger dauert, ersticken mehr letztgeborene Ferkel in den Eihäuten.
Mehr Streit um die Zitze
Kaum geboren, müssen Ferkel eine Zitze finden und diese gegenüber Wurfgeschwistern verteidigen. Die Ferkel erstellen eine feste Saugordnung. Bei größeren Würfen kommt es dabei zu mehr kräftezehrenden Auseinandersetzungen zwischen den Ferkeln und damit auch zu Verletzungen und Schürfungen, die Eintrittspforten für Keime sind. Nicht zuletzt gibt es weniger Kolostralmilch pro Ferkel, das heißt weniger Abwehrstoffe pro Ferkel. Untergewichtige Ferkel sind eher gefährdet, erdrückt zu werden, zu verhungern oder unterernährt zu sein. Diese Kümmerer können teilweise auch in der Mast ihren Wachstumsrückstand nicht kompensieren.
„In der Schweiz züchten wir seit Langem nicht mehr auf größere Würfe, sondern auf sinkende Ferkelverluste und weniger untergewichtige Ferkel”, fasst Adrian Albrecht die Zuchtstrategie der Schweizer Schweinezucht zusammen. Dabei sei man erfolgreich gewesen.
Saugferkelverluste gesunken
Die prozentualen Saugferkel-verluste sind in der Schweiz seit 2009 beim vorherrschenden Edelschwein um rund zwei Prozent auf etwa elf Prozent zurückgegangen. Der Anstieg der Wurfgrößen habe sich als Folge der Zuchtstrategie abgeflacht. Den Vergleich zum Ausland, wo die durchschnittlichen Wurfgrößen bei bis zu 16 lebend geborenen Ferkeln liegen, scheuen die Eidgenossen nicht: „Wir verfolgen in der Schweiz bewusst ein anderes Ziel”, erklärt Albrecht. Nicht in erster Linie mehr lebend geborene Ferkel, sondern weniger Ferkelverluste.
Neu entwickelt die Suisag dazu auch einen Zuchtwert für den Anteil tot geborener Ferkel.
Würden Ferkelverluste bewusst in Kauf genommen, nur weil sich die Leistungssteigerung wirtschaftlich noch ein wenig rechne, widerspreche das den Grundsätzen des Tierschutzes. Deshalb warnt Weber davor, die Wurfgrößen weiter zu steigern. 
Einsatz von Ammen ist problematisch
Je größer die Würfe, umso schwieriger ist der Ferkelausgleich zwischen den Würfen.  Dafür werden entweder technische Ammen eingesetzt oder Ammensauen, deren Ferkel gerade abgesetzt wurden.
Eine Ammensau wird mehrfach belastet. Sie muss fremde Ferkel akzeptieren, länger Milch geben und den Rhythmus des Säugens anpassen. Denn junge Ferkel wollen öfter saugen als ältere.
Bei technischen Ferkelammen gibt es diese Probleme nicht. Doch häufig entwickeln die Ferkel Verhaltensstörungen wie das Belly nosing. Sie massieren sich gegenseitig am Bauch, wie sie es am Bauch der Mutter beim Säugen machen. Diese Verhaltensstörung behalten sie auch während der Mast bei.