Politik | 02. Juni 2016

Schmidt landet begrenzten Gipfel-Erfolg

Nur zum Teil erfüllen konnte der Berliner „Milchgipfel” vom Montag dieser Woche die Erwartungen, die aus den Reihen von Politik und Wirtschaft in ihn gesetzt worden waren. Minister Schmidt bestätigte Hilfszusagen der Bundesregierung für die Milchbauern von „100 Millionen Euro plus x”.
Unterschiedliche Wahrnehmungen: Die positive Bewertung des Milchgipfels von Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt wird in der Branche von vielen nicht geteilt.
Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt, der zu dem Gipfel eingeladen hatte, zeigte sich  mit den Ergebnissen des mehr als vierstündigen Spitzentreffens wichtiger Verbände entlang der Wertschöpfungskette Milch  zufrieden. Ein „Weiter so” in der Milchmarktpolitik könne und werde es nicht geben, betonte der CSU-Politiker. Ziel sei „weniger Milch für bessere Preise”. Schmidt nahm damit Bezug auf den „Branchendialog Milch”, auf den sich die Teilnehmer zuvor verständigt hatten.
Menge runter, Strukturen erneuern
Schwierige Zeiten für Milchviehhalter – wie lange noch?
Der habe das Ziel, Vorschläge zu einer kurzfristigen Reduzierung der Milchmenge und einer langfristigen Neuordnung der Marktstruktur zu erarbeiten. Schmidt sprach von einem notwendigen „Einstieg in eine strategische Rohstoffplanung”, die für alle Seiten Verlässlichkeit mit sich bringe. Er gehe davon aus, dass die Molkereien die vorliegenden Instrumente nutzen werden.
Der Minister bekräftigte die Zusage der Bundesregierung für ein Hilfspaket zugunsten der bedrängten Milcherzeuger, ohne dass er jedoch die bereits vor Wochen getätigte Ankündigung eines Gesamtvolumens von „100 Millionen plus x” konkretisieren konnte. Schließlich legte der Lebensmitteleinzelhandel bei dem Treffen ein Bekenntnis zur heimischen Milcherzeugung ab, die es unbedingt zu sichern gelte. Jedoch geht die Solidarität des Handels nicht so weit, die von ihm geschätzte qualitativ hochwertige und sichere Produktion vor der Haustür in Form eines wie auch immer gearteten finanziellen Beitrages zu unterstützen.
Politik und Wirtschaft hätten das gemeinsame Ziel, die bäuerliche Landwirtschaft und die Erzeugung in vielfältigen Strukturen zu erhalten, unterstrich Schmidt.
Länder und Brüssel sollen mithelfen
Der Minister machte deutlich, dass er für das Hilfspaket auch die Länder ins Boot holen will, deren Agrarminister er für die kommende Woche nach Berlin eingeladen hat. Von der finanziellen Beteiligung der Länder werde das Finanzvolumen des Hilfspakets ebenso abhängen wie von neuerlichen Geldern der Europäischen Union. Mögliche Hilfsmaßnahmen aus Brüssel will der Minister mit dem nationalen Liquiditätsprogramm koppeln. Allerdings erwartet Schmidt noch schwierige Verhandlungen mit der EU-Kommission, nachdem ein beträchtlicher Teil der Mitgliedstaaten die auf sie entfallenden Ausgaben im Rahmen des ersten Hilfspakets bislang nicht verausgabt hat.
Lieferbeziehungen neu gestalten
Der Minister ließ erkennen, dass für ein zweites EU-Hilfsprogramm in allen Mitgliedstaaten  Mengendisziplin gewährleistet werden müsse.
Die Neugestaltung der Lieferbeziehungen muss nach den Worten des Ministers auch die Andienungspflicht im genossenschaftlichen Bereich einschließen. Schmidt redet dabei nicht einer Abschaffung das Wort, sondern einer Aktualisierung und Neuinterpretation der „100 Jahre alten Regelung”.
Mit der anstehenden Novelle des Agrarmarktstrukturgesetzes werde der Gesetzgeber die rechtlichen Voraussetzungen für eine flexiblere Ausgestaltung des Verhältnisses von Erzeugern und Verarbeitern schaffen. „Der Schlüssel zur Lösung der Krise liegt in den Händen der Bauern, der Molkereien und des Einzelhandels”, so Schmidt.  Er begrüßte die Bereitschaft der Molkereibranche zu Gesprächen mit den Erzeugern über eine Neugestaltung der Lieferbeziehungen. Einzelheiten für Modelle einer „zeitgemäßen und flexiblen Mengensteuerung” in den Händen der Wirtschaft sowie für notwendige längerfristige strukturelle Änderungen im Markt würden im Rahmen des „Branchendialogs Milch” beraten, der als feste Einrichtung etabliert und laut Schmidt die Funktion eines „Frühwarnsystems” für Marktentwicklungen und Folgerungen für die Wirtschaftsbeteiligten bekommen soll. Übereinstimmend hätten alle Verbände die Einschätzung vertreten, dass derzeit europaweit zu viel Milch im Markt sei und kurzfristig Handlungsbedarf bestehe.
Der Bauernverband erwartet eine Milliarde
Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied, äußerte die Erwartung, dass die Beschlüsse des Milchgipfels umgehend in konkrete Maßnahmen münden. Das notwendige Finanzvolumen für Hilfen bezifferte Rukwied auf eine Milliarde Euro.
Vereinbarungen über eine Neugestaltung von Lieferbeziehungen müssten innerhalb der nächsten Monate getroffen werden. Einig sei sich der Milchgipfel darin gewesen, dass der Handlungsbedarf vor allem bei den Molkereien bestehe, um gemeinsam mit den Milchbauern neue Wege der vertraglichen Lieferbeziehungen zu gestalten und so eine markt- und wertschöpfungsorientierte Mengenanpassung zu erreichen.
„Diese Vertragsmodalitäten für eine marktorientierte Mengensteuerung müssen unter Einbeziehung des Lebensmitteleinzelhandels gefunden werden”, betonte Rukwied. Den Lebensmittelhandel sieht der Bauernpräsident gefordert, dass er die jüngsten, „völlig unverantwortlichen Kontraktabschlüsse” mit den Molkereien neu verhandele.
Lösungen auf EU-Ebene finden
Sowohl der Vorsitzende des Milchindustrie-Verbandes (MIV), Peter Stahl, als auch der Präsident des Deutschen Raiffeisenverbandes (DRV), Manfred Nüssel, betonten die Notwendigkeit zur Mengenreduzierung auf dem Milchmarkt. Nüssel warnte aber zugleich vor nationalen Alleingängen. Ausdrücklich wandte sich Nüssel gegen Versuche einer externen Einflussnahme oder gar rechtliche Vorgaben zur Änderung der genossenschaftlichen Lieferbeziehungen. Auch Stahl äußerte sich kritisch zu einer Anpassung des Agrarmarktstrukturgesetzes.
Der Vorsitzende vom Handelsverband Deutschland (HDE), Josef Sanktjohanser, erteilte Forderungen nach einem Solidarbeitrag des Handels ebenso eine strikte Absage wie Absprachen über einheitliche Mindestpreise. Sanktjohanser bekräftigte das Interesse des Handels am Erhalt der Milchproduktion in Deutschland. Mit Qualitätsprodukten, regionalen Erzeugnissen und der Bioschiene wolle der Handel den Erwartungen nach mehr Wertschöpfung für die Erzeuger gerecht werden. Für unerlässlich hält der HDE-Vorsitzende eine Reduzierung des Milchangebots.
Der Präsident vom Bundesverband des deutschen Lebensmittelhandels (BVLH), Friedhelm Dornseifer, hob hervor, dass der funktionierende Wettbewerb im Handel für günstige Preise, eine hohe Qualität und ein breites Sortiment bei Lebensmitteln sorge. Die Branche leiste  einen wichtigen Beitrag für den gesellschaftlichen Wohlstand in Deutschland.
Was im Hilfspaket drin sein soll
Als Bestandteile des Hilfspakets nannte Schmidt die bereits seit längerem diskutierten Liquiditätshilfen und Kreditbürgschaften, eine Anhebung des Bundeszuschusses zur Landwirtschaftlichen Unfallversicherung (LUV) im kommenden Jahr in einer ähnlichen Größenordnung wie 2016 sowie steuerliche Entlastungen. Im Gespräch sind ein Freibetrag zur Schuldentilgung und bessere Risikovorsorgemöglichkeiten durch Möglichkeiten der Gewinnglättung über einen Zeitraum von drei Jahren. Die Kosten dafür veranschlagte Schmidt auf 20 Millionen Euro im Jahr.
Auf eine ähnliche Größenordnung belaufen sich die Einnahmeverluste für den Bundeshaushalt, sollte es zur Einführung eines Freibetrages im Zusammenhang mit der Veräußerung von Flächen und deren Rückpacht kommen. Schmidt stellte klar, dass Einzelheiten der vorgesehenen Maßnahmen noch innerhalb der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und mit dem Bundesfinanzministerium geklärt werden müssten.
Überwiegend kritische Stimmen zum Milchgipfel
Die Reaktionen auf den „Milchgipfel” fielen überwiegend kritisch aus. Als enttäuschend wertete der agrarpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Wilhelm Priesmeier, die Ergebnisse. Offensichtlich sei es Minister Schmidt nicht gelungen, ein tragfähiges Konzept mit den Beteiligten abzustimmen, so Priesmeier.
Von einer vertanen Chance sprach Grünen-Agrarsprecher Friedrich Ostendorff. Man habe es verpasst, die in Aussicht gestellten Mittel an eine Reduzierung der Milchmenge zu binden.
Auch von Seiten der grünen Landesminister hagelte es Kritik. Für Schleswig-Holsteins Landwirtschaftsminister  Robert Habeck gehen die Beschlüsse an den Erfordernissen auf dem Milchmarkt vorbei. Er warf dem Bundesminister vor, die Überproduktion als Kernproblem nicht anzugehen. Aus Sicht von Nordrhein-Westfalens Landwirtschaftsminister Johannes Remmel hat das Spitzentreffen keinen Durchbruch gebracht. Als „Pseudogipfel” kritisierte Niedersachsens Ressortchef Christian Meyer die Zusammenkunft. Die Beschlüsse tragen seiner Einschätzung nach nicht zur Problemlösung auf dem Milchmarkt bei. Demgegenüber sieht sein baden-württembergischer CDU-Amtskollege Peter Hauk die Vereinbarungen als „einen ersten guten Schritt”.
Zurückhaltend fielen auch die Stellungnahmen aus den Reihen der Verbände aus. Dem Bauernverband Sachsen-Anhalt zufolge werden die Beschlüsse zu keiner positiven Wende für die Milchviehhalter führen. Für den Landesbauernverband (LBV) Brandenburg sind die in Aussicht gestellten Finanzhilfen allenfalls „ein Tropfen auf den heißen Stein”. Der Bauernverband Schleswig-Holstein plädierte bei einer Mitgliederversammlung in Rendsburg für eine europaweite Reduzierung der Milchmengen, wobei überwiegend freiwilligen Maßnahmen der Vorzug gegeben werden müsse. Dieses Ziel müsse nicht zuletzt über Ausstiegshilfen für aufgabewillige Betriebe erreicht werden.
„Man muss ihn als Gipfel der Verantwortungs- und Hilflosigkeit bezeichnen”, erklärte Romuald Schaber, Vorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter (BDM), zum Ergebnis des Berliner Milchgipfels. Wie berichtet, war der BDM von Bundesminister Christian Schmidt nicht zu dem Gipfel eingeladen worden. „Wir hatten bei dieser Besetzung der Gipfelteilnehmer ohnehin keine hohen Erwartungen. Dass aber derart wenig dabei rauskommt, ist selbst für uns schockierend. Die Ursache der Krise und entsprechende Problemlösungen werden wieder nicht angegangen, sondern verlagert und damit auf Zeit gespielt”, lautet Schabers Kommentar zum Ergebnis.
Der BDM schätzt, dass die verkündeten Maßnahmen zur weiteren Bezuschussung der Unfallversicherung, der Installierung eines Bürgschaftsprogramms und Möglichkeiten zur Steuerglättung  „genauso verpuffen werden wie das EU-Hilfspaket, das Ende letzten Jahres aufgelegt wurde”. Ohne eine schnelle Markterholung werde es aber Schaber zufolge nicht gelingen, die Milcherzeugerpreise deutlich nach oben zu bringen.
Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) warf Bundesminister Schmidt vor, er scheue den Konflikt mit der Molkereiwirtschaft. Sie müsse unter Druck gesetzt werden, kurzfristig Anreize zur Verminderung der Milcherzeugung zu geben.
Als nicht ausreichend wertete der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) die Ergebnisse des „Milchgipfels”. Die Devise für einen „Systemumbau” müsse lauten „weniger Milch, mehr Qualität, mehr Einkommen”. Der Schlüssel dazu liege in einer Extensivierung der Produktion.