Politik | 25. Juni 2020

Schlachtbranche erneut am Pranger

Von AgE
Der massive Corona-Ausbruch bei Deutschlands größtem Schweineschlachter Tönnies hat die Diskussionen um die Arbeitsbedingungen und Strukturen in der deutschen Fleischwirtschaft nochmals angeheizt.
Die hohen Corona-Infektionszahlen bei der Belegschaft im Großschlachthof von Tönnies in Rheda-Wiedenbrück erschüttern nicht nur den Landkreis Gütersloh.
Nach zahlreichen Corona-Nachweisen bei Mitarbeitern hat der Fleischkonzern Tönnies am 17. Juni seine Schlachtungen am Standort in Rheda-Wiedenbrück einstellen müssen; andere Unternehmensbereiche sollten bis zum Wochenende heruntergefahren werden.
Laut Angaben von Anfang dieser  Woche stieg die Zahl positiver Corona-Tests bei Tönnies auf über 1500. Dem Landkreis Gütersloh zufolge waren es wenige Tage zuvor, am Freitag voriger Woche, erst 803 Mitarbeiter  mit Befund coronapositiv nach Reihentests.
Bei einer Pressekonferenz mit dem Fleischhersteller am Mittwoch voriger Woche hatte Landrat Sven-Georg Adenauer mitgeteilt, dass er „die Schließung des Betriebs angeordnet” habe. Auch Schulen und Kitas im Kreis müssten geschlossen werden. Alle Mitarbeiter und die direkten Kontaktpersonen müssten jetzt in Quarantäne, wobei es sich um rund 7000 Personen handle.
Der massive Corona-Ausbruch bei Deutschlands größtem Schweineschlachter hat die Diskussionen um die Arbeitsbedingungen und Strukturen in der deutschen Fleischwirtschaft nochmals angeheizt. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil sieht sich durch die Vorkommnisse bestätigt, die Arbeitsschutzregeln in Schlachtbetrieben zügig zu verschärfen und Werkverträge und Leiharbeit in der Fleischindustrie zu verbieten. „Wir werden hier aufräumen und für menschenwürdige Arbeitsbedingungen sorgen”, erklärte der SPD-Politiker und kündigte für den Sommer eine  Gesetzesvorlage an.
Kritik an Billigfleisch
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner betonte, dass Hunderte von Infektionen in einem Betrieb nicht haltbar seien. Sie sicherte Heil ihre Unterstützung beim Gesetzentwurf zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Fleischwirtschaft zu. „Für mich ist klar, dass wir das Thema Schlachthöfe auch einbetten müssen in die Nutztierstrategie – es geht um Qualität vom Stall bis an die Theke”, so die Ministerin. Dabei gehe es um Tierwohl, die Vorschläge der Borchert-Kommission, die Situation von Schlachthöfen, aber auch um die Preise an der Ladentheke.
Der Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen,  Anton Hofreiter, warf den Schlachtfabriken vor, „riesige Ansteckungsherde aufgrund der miserablen Unterbringung von Beschäftigten sowie der schlechten hygienischen und klimatischen Bedingungen” zu sein. Die angekündigten gesetzlichen Regelungen zum Werkvertragsverbot, bessere Wohnbedingungen und mehr Kontrollen müssten sofort ins Parlament.
DBV sieht Handlungsbedarf
Dem Deutschen Bauernverband (DBV) bereitet die Entwicklung bei Tönnies Sorge. Dessen Generalsekretär Bernhard Krüsken erläuterte vergangenen Mittwoch gegenüber der Presse, dass es eine Konzentration in der Schlachtbranche gegeben habe; bei Ausfall eines großen Unternehmens werde „die Kehrseite” für die Erzeuger sichtbar, die jetzt Schwierigkeiten hätten, ihre schlachtreifen Tiere zu vermarkten. „Aus Größe und Systemrelevanz wächst Verantwortung”, betonte Krüsken. Im ZDF-Morgenmagazin am vergangenen Freitag hob der Generalsekretär hervor, dass es viele Bemühungen gebe, das Thema Tierhaltung und Fleisch in den Standards nach vorne zu bringen. Dies sei jedoch schwierig, „wenn das an einigen Stellen der Kette nicht gut funktioniert”. Es bestehe Handlungsbedarf bei dem System der Werksbeschäftigung mit Sub- und Subsubunternehmern; es dürfe nicht die ganze Kette in Misskredit gebracht werden.
Die Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN) befürchtet wegen des Wegfalls der Schlachtkapazität am Standort Rheda-Wiedenbrück, wo wöchentlich rund 140000 Schweine geschlachtet und zerlegt werden, einen Angebotsstau am Lebendmarkt. „Es wird kurzfristig schwierig, einen solch großen Standort vollständig zu kompensieren, die Kapazitäten anderer Schlachthöfe haben aber vermutlich Spielraum”, so ISN-Marktexperte Matthias Quaing.
Bis nach Brüssel reicht  die Diskussion um die Zustände in deutschen Schlachtbetrieben. Am Montag voriger Woche erklärte EU-Sozialkommissar Nicolas Schmitt vor einem Online-Bürgerdialog mit Heil, dass er die „Missachtung von Arbeitnehmerrechten in deutschen Fleischbetrieben” stoppen wolle. „Es kann nicht sein, dass es in Europa eine ganze Kategorie von Arbeitern gibt, die jenseits von allen Rechten sind”, so der Kommissar. Das Problem gebe es nicht nur in Deutschland, sondern beispielsweise auch bei Saisonarbeitern in Südeuropa.
Ruf nach dezentralen Schlachtstrukturen
Für die Förderung dezentraler Schlachtstrukturen spricht sich eine Gruppe von Unionsabgeordneten unter Federführung des agrarpolitischen Sprechers der CSU im Bundestag, Artur Auernhammer, aus. „Strategisch brauchen wir langfristig eine Regionalisierung der Schlachtstruktur”, heißt es bei den Parlamentariern, zu denen neben Auern-hammer  Hermann Färber, Alois Gerig, Hans-Georg von der Marwitz, Max Straubinger und Kees de Vries zählen. Ihrer Auffassung nach bieten dezentrale Strukturen die Chance, die Systemanfälligkeit in der Schlachtindustrie zu reduzieren. Bei einer Vielzahl von regionalen Betrieben sei der Ausfall von einzelnen Kapazitäten wesentlich leichter zu verkraften und gewährleiste ein höheres Maß an Versorgungssicherheit.
Zudem kämen dezentrale Schlachtstrukturen der gesellschaftlichen Forderung nach regionaler Lebensmittelerzeugung entgegen und seien wichtiger Bestandteil des von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner auf den Weg gebrachten Tierwohllabels. Schließlich verweisen die Parlamentarier auf das Problem der Tiertransporte, die auf diese Weise verkürzt werden könnten.
Die Europäische Union sehen die CDU/CSU-Abgeordneten gefordert, den dezentralen Ansatz zu unterstützen. Auflagen müssten so gestaltet werden, dass auch kleinere Schlachthöfe sie erfüllen und finanzieren könnten. Die Farm-to-Fork-Strategie wäre den Parlamentariern zufolge eine gute Möglichkeit, diese dezentralen Strukturen zu schaffen.