„Ich will doch niemandem zur Last fallen”
„Dass meine Kinder sich jetzt an den Kosten für das Seniorenheim beteiligen müssen, ist mir ganz schrecklich”, erzählt die 92-jährige Edelgard Jaeger. Auf einem Bauernhof aufgewachsen, wo es selbstverständlich war, dass die alten Eltern zu Hause gepflegt wurden, konnte sie sich lange nicht vorstellen, je in ein Heim zu gehen. Aber die Zeiten ändern sich: Heute sind viele Frauen außer Haus berufstätig und übernehmen die Pflege nicht, ganz zu schweigen von den Männern. So musste Edelgard Jäger ihre kleine Wohnung im Dachgeschoss ihres Hauses, das sie ihrem Sohn überschrieben hatte, aufgeben. Jetzt erlebt sie, dass ihre Rente fürs Seniorenheim nicht ausreicht. Ihr Erspartes hatte sie bis auf eine Summe für ihre Beerdigung schon vor mehr als zehn Jahren an Kinder und Enkel verschenkt, sodass das Sozialamt heute keinen Zugriff mehr auf die Schenkung hat. Dennoch werden ihre Kinder für die Kosten ihres Heimaufenthaltes nach den gesetzlichen Vorgaben herangezogen. „Dass meine Kinder jetzt für mich zahlen sollen, das fällt mir genauso schwer, wie beim Pflegepersonal um alles bitten zu müssen”, gesteht die geistig völlig klare Seniorin. Der Satz, den eine Freundin ihr ans Herz gelegt hat, widerstrebt ihr. „Ich bin berechtigt, Hilfe anzunehmen”, lautet er. „Du musst Einspruch gegen die innere Stimme erheben, die dir einflüstert: ‚Du bist eine Last für die anderen”‘, hatte ihre Freundin sie eindringlich gebeten. „Du warst in deinem Leben viel für deine Kinder da – jetzt sie sie einmal an der Reihe”, argumentierte die Freundin. Dennoch ist es für die 92-Jährige echte Seelenarbeit, das alte Muster „Ich schaff’ das schon alleine” abzulegen und Hilfe anzunehmen. „Morgens, mittags und abends sage ich mir vor, dass ich berechtigt bin, Hilfe anzunehmen. Mal sehen, wann ich es glaube”, sagt sie mit leisem Seufzer.
Das kostet natürlich Geld – genau wie die Inanspruchnahme von Leistungen eines ambulanten Pflegedienstes, der über die von der Pflegekasse bezahlten Dienste hinausgeht. Und auch eine Pflegekraft, die ganztägig ins Haus kommt, ist nicht zum Nulltarif zu haben. Auch wenn es schwerfallen mag, weil man doch den Kindern so gerne etwas vererben wollte, kann es nötig sein, vorhandene Rücklagen anzugreifen, um sich nötige Hilfe „einzukaufen”. Dann kann ein Gespräch mit den Erben Klarheit schaffen. Auch dafür, dass Angehörige die Pflege übernehmen, müssen die Voraussetzungen „stimmen”. Als kommunaler Fachberater für häusliche Pflege kennt Altenpfleger und Diplompsychologe Axel Ganter die Belastungen, die eine häusliche Pflege mit sich bringt. Schon im Vorfeld, wenn die Entscheidung über eine Pflege noch gar nicht akut ist, so rät er, sollte offen über die gegenseitigen Erwartungen gesprochen werden: Besteht eine tragfähige, liebevolle und warmherzige Beziehung oder gibt es alte Konflikte, die angesehen und bearbeitet werden müssen? „Wo das emotionale Fundament nicht in Ordnung ist, wird es mit der Pflege schnell schwierig”, weiß Ganter.
Gibt es Geschwister, die sich an der Pflege beteiligen oder finanziell dazu beitragen, dass bezahlte Hilfe stundenweise Entlastung schafft? Gibt es ein Testament, eine Patientenverfügung und eine Vorsorgevollmacht? Diese Fragen anzusprechen und zu klären, kann helfen, sich nicht ausgeliefert und hilflos zu fühlen, wenn der gefürchtete Fall „Pflegefall” eintritt.