Für Baden-Württemberg gibt es im Schuljahr 2014/2015 rund 3,6 Millionen Euro von der EU für Gratis-Obst- und -Gemüsemahlzeiten. 125 Lieferanten beliefern inzwischen Kindergärten und Schulen im Land. Der wichtigste Lieferant ist das Kompetenzzentrum Obstbau Bodensee (KOB).
Es ist Montagvormittag um 9.35 Uhr. Vesperpause an der Ravensburger Weststadtschule. Ein Junge und ein Mädchen aus der Klassenstufe 4 stürmen die Treppe herunter. In der Hand ein Körbchen. Ihre Aufgabe ist es, frische Äpfel zur Zehnminutenpause für alle nach oben ins Klassenzimmer zu holen. „Wir freuen uns über die Äpfel. Das ist toll”, sagen die beiden.
Etwa eine halbe Stunde zuvor hat Stephan Schulte-Vels, Fahrer beim Kompetenzzentrum Obstbau-Bodensee (KOB), die 15 Kilogramm schweren Obstkisten angeliefert. Montags fährt er die Weststadtschule an – in normalen Wochen, ohne Feiertag und ohne Schulferien, gibt es 90 Kilo. Nicht immer hat er Äpfel geladen, aber überwiegend. Manchmal gibt es auch Birnen oder Zwetschgen, im Winterhalbjahr auch mal Mandarinen oder Bananen.
Der Griff in die Obstkiste ist für die Schüler in der Ravensburger Weststadtschule schon Gewohnheit.
Das von der EU geförderte Projekt Schulfrucht gibt es seit über vier Jahren unter Federführung des Stuttgarter Landwirtschaftsministeriums. „Ziel ist es, Kinder möglichst früh an ein gesundheitsförderndes Ernährungsverhalten heranzuführen und zu vermitteln, dass Obst und Gemüse nicht nur gesund ist, sondern auch lecker schmeckt”, heißt es auf der Homepage der MBW Marketinggesellschaft mbH. Zudem soll mit dem Programm der Obst- und Gemüseverzehr insgesamt angekurbelt werden. Die MBW ist die offizielle Schulfrucht-Geschäftsstelle.
800 Tonnen Äpfel jährlich
Ein großer Verteiler im Land ist das KOB. Das KOB ist eine Stiftung, an der das Land, Landkreise, die Universität Hohenheim und die Obstwirtschaft beteiligt sind. Aufgabe des KOB ist
die praxisbegleitende Agrarforschung mit Versuchsanbau und Beratung für die Obstbauern. „Das Schulfruchtprojekt lässt sich hervorragend in unseren Stationsbetrieb integrieren”, erläutert KOB-Chef Manfred Büchele. 80 Prozent der beim KOB angebauten Äpfel werden über das Schulfruchtprogramm vermarktet, jährlich sind das etwa 800 Tonnen Äpfel. Büchele sieht in der Planung und Organisation die große Herausforderung: „Diese Verwaltungsarbeit darf man nicht unterschätzen”, erlebt Büchele.
Eine große Stärke des KOB ist die Lagerung der Äpfel in CA-Lagern. So bleiben die Äpfel das ganze Jahr über frisch und knackig. Das ist Voraussetzung, dass sie von den Kindern angenommen werden. „Einmal mehlige Äpfel und der Ruf ist ruiniert”, erzählt eine Grundschullehrerin vom Essverhalten der Kinder.
„Angefangen haben wir im Kreis Ravensburg und Bodenseekreis. Inzwischen fahren wir das Obst bis Balingen, Tübingen, Ulm, Isny und Stockach”, berichtet Fahrer Schulte-Vels. Über 700 Einrichtungen werden vom KOB angefahren, ein Großteil sind Kindergärten und Grundschulen mit insgesamt fast 100 000 Kindern.
„Wir machen das alles mit vier eigenen Fahrern”, berichtet Andrea Hartmann. Sie ist beim KOB als Koordinatorin für das Programm zuständig. Sie nimmt Bestellungen entgegen, reicht Anträge ein, stellt Lieferscheine aus und stellt die Touren zusammen. „Unser Motto ist regional und saisonal”, sagt sie. Im August zum Beispiel gibt es die ersten Birnen und Zwetschgen. „Die Kinder müssen lernen, was wann bei uns wächst”, findet Hartmann.
„Gala ist schön rot und süß, das ist der Lieblingsapfel der Kinder”, erzählt Hartmann. Zu große Äpfel seien nicht so beliebt. Für viele Kinder, so Hartmann, sind Apfelschnitze morgens in der Schule die erste Mahlzeit am Tag. In vielen Familien werde kein Vesper vorbereitet oder gemeinsam gefrühstückt.
Einen persönlichen Kontakt zu den einzelnen Kindergärten und Grundschulen kann Andrea Hartmann leider nur wenig pflegen. Dazu fehlt ihr schlichtweg die Zeit. Eine Ausnahme sind gemeinsame Begegnungen auf speziellen vom Land geförderten Veranstaltungen wie die sogenannten BEKI-Zertifizierungen (Bewusste Kinderernährung). Hier wird den Fachkräften in Schulen und Kindergärten vermittelt, worauf es bei einem guten Essen ankommt. Die BEKI-Fachfrauen ihrerseits führen praxisorientierte Einsätze mit den Kindern zum Thema Obst und Gemüse durch.
EnBW ist kein Sponsor mehr
Vom Schulfruchtprogramm übernimmt die EU 50 % der Kosten. Die anderen 50 % setzen sich aus Sponsorengeldern zusammen. Kalkuliert wird beim KOB im Schnitt mit 8 Euro
pro Kind und Jahr, mal 100 000 Kinder macht jährlich rund 800 000 Euro.
Nachdem die EnBW als Hauptsponsor mit 200 000 Euro plus 60 000 Euro für Fahrzeuge und Marketing zum 1. Juli dieses Jahres wegen eigener wirtschaftlicher Schwierigkeiten ausgeschieden ist, sucht man jetzt händeringend neue Förderer. „Wir arbeiten heute in Sachen Schulfrucht auf einem sehr professionellen Niveau. Ohne die EnBW-Unterstützung wäre das so nicht möglich gewesen”, meint Büchele. Die EnBW hatte die erste Portion gesponsert, also den ersten Tag in der Woche, den Montag. Für viele Einrichtungen war das schon ausreichend. Wer zwei- oder dreimal die Woche bestellt, bekommt diese zusätzlichen Portionen durch weitere Sponsoren bezahlt. Dazu gehören die Marktorganisation Obst vom Bodensee, Firmen aus der Region sowie das KOB selbst.
„Als bekannt wurde, dass die EnBW als Sponsor aussteigt, haben wir sämtliche Bürgermeister in der Region angeschrieben und darum gebeten, nach Sponsoren Ausschau zu halten oder aus dem Gemeindehaushalt Gelder bereitzustellen”, erzählt Büchele. Viele Landwirte sitzen im Gemeinderat. Sie seien aufgefordert, bei den Gemeinden nachzuhaken, findet Büchele. Gerade aus dem Biberacher und Ulmer Raum sucht das KOB weitere Einrichtungen und Sponsoren. Klasse wäre es, wenn jede Gemeinde ihren Beitrag leisten würde. Ein Kindergarten mit 100 Kindern koste im Jahr rund 600 Euro.
„Wir haben ein so ausgeklügeltes und effizientes System aufgebaut, dass wir es mit EU-Geld plus Sponsoring schaffen können.” Er kennt jede Menge Vorschläge, wer als Unterstützer in Frage kommen könnte – zum Beispiel Krankenkassen, Eltern, Gemeinden, Obstwirtschaft, Lebensmittelhandel.
Büchele kann sich gut vorstellen, dass ein Landmaschinenhändler, dessen Tochter oder Sohn in den örtlichen Kindergarten geht, das Sponsoring für ein oder zwei Jahre übernimmt. „Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf”, greift Büchele ein afrikanisches Sprichwort auf und fügt hinzu: „Ich denke, da ist unsere Gesellschaft gefordert.”
Sponsorenmodell in der Kritik
Dass Baden-Württemberg auch nach der verbesserten Kofinanzierung aus Brüssel kein Landesgeld für das Schulfruchtprogramm in die Hand nehmen will, stößt manchen am Schulobstprogramm teilnehmenden oder an einer Teilnahme interessierten Erzeugern im Land sauer auf. Die EU gibt künftig 150 Millionen Euro jährlich für das Programm aus, bisher waren es 90 Millionen. Als einziges unter den neun teilnehmenden Bundesländern, so wird moniert, fahre das Land mit seinem Sponsoren-Modell weiter, obwohl die EU seit dem laufenden Schuljahr mit 75 % statt vorher mit 50 % kofinanziert. In den anderen Bundesländern zahlen nun die EU 75 % und die Länder die verbleibenden 25 %. Manche Lieferanten in Baden-Württemberg treten selbst als Mitsponsoren auf, weil die Sponsorensuche vor Ort sich mühsam gestaltet. Dies sei aber längerfristig finanziell nicht zu stemmen. Andere haben mehr Glück, weil die von ihnen belieferten Schulen findiger sind und selbst für Sponsoren sorgen. Beklagt wird auch eine gewisse Wettbewerbsverzerrung durch die bisher immens hohe Förderung des KOB über die EnBW. Die Folge sei eine regional stark unterschiedliche Beteiligung am Programm. Das Stuttgarter Landwirtschaftsministerium verweist auf Nachfrage darauf, dass sich das Sponsorenmodell bewährt habe. Mit der gleichbleibenden Förderquote sei es möglich, möglichst viele zusätzliche Kinder zu erreichen. Es bestehe nach wie vor eine hohe Nachfrage auf Seiten der Schulen. bos
Fast 300000 Kinder kamen 2013/14 in den Genuss
Seit Februar 2010 läuft das EU-Schulobst- und -gemüseprogramm in Baden-Württemberg mittlerweile. Da sich das Programm sehr gut entwickelt hat, müssen Einrichtungen, die neu in das Programm einsteigen möchten, seit dem laufenden Schuljahr 2014/15 die Teilnahme beim Regierungspräsidium Tübingen beantragen. Teilnahmeberechtigt sind Schulen im Primarbereich, Kindertagesstätten, Kindergärten und Ganztagsschulen mit besonderer pädagogischer und sozialer Aufgabenstellung.
Die EU stellt Baden-Württemberg im Schuljahr 2014/15 etwa 3,6 Millionen Euro für das Programm zur Verfügung, bisher waren es 2,6 Millionen. Maximal die Hälfte der Kosten für die Obst- und Gemüselieferungen werden durch die EU-Gelder finanziert. Für die andere Hälfte suchen sich die Einrichtungen Sponsoren. Dies können Gemeinden, Fördervereine oder Firmen vor Ort sein. Das Land trägt die Kosten für die Verwaltung und für flankierende Maßnahmen wie die Einsätze von Fachfrauen der Landesinitiative BeKi – Bewusste Kinderernährung.
Landesweit gibt es etwa 130 aktive Lieferanten, davon sind ungefähr die Hälfte Obst- und Gemüseerzeuger. Die andere Hälfte sind Lebensmitteleinzelhändler und Großhändler. Im Schuljahr 2013/14 kamen durch das EU-Schulobst- und -gemüseprogramm etwa 290 000 Kinder an rund 2300 Schulen und vorschulischen Einrichtungen regelmäßig in den Genuss von frischen Früchten. Die Beteiligung innerhalb Baden-Württembergs war bisher sehr unterschiedlich. Die höchste Teilnahmedichte gab es im letzten Schuljahr rund um den Bodensee, im Rhein-Neckar-Kreis, in Böblingen und im Ostalbkreis. Dort haben sich gute Netzwerke zwischen Einrichtungen, Lieferanten und Sponsoren gebildet.
Wie sich die räumliche Beteiligung am Programm entwickelt, bleibt abzuwarten. Die erste Zulassungsphase für neue Einrichtungen ist abgeschlossen, am 15. Oktober 2014 endet die zweite Antragsphase. Sofern die von der EU zur Verfügung gestellten Finanzmittel es zulassen, wird es eine dritte Anmeldefrist geben, die am 15. Februar 2015 endet. Alle Informationen zum Programm sind auf der Homepage
www.schulfrucht-bw.de aufgeführt. Laura Stricker, LEL Schwäbisch Gmünd