Der Mindestlohnvorschlag des Bundeskanzlers löst in der Agrarbranche schärfste Kritik aus. DBV-Präsident Rukwied warnt vor einer Abwanderung des Sonderkulturanbaus in andere EU-Staaten und Drittländer. Arbeitgeberpräsident Wichert wirft dem Kanzler Wortbruch vor.
Die SPD hatte 12 Euro Mindestlohn zu einem wichtigen Thema im vorigen Bundestagswahlkampf gemacht. Als Bundeskanzler hat Olaf Scholz jetzt einen Vorstoß für 15 Euro gestartet.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat vorgeschlagen, den gesetzlichen Mindestlohn in zwei Schritten zunächst auf 14 Euro und dann auf 15 Euro anzuheben. Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied, warnte daraufhin vor einem Kahlschlag für den heimischen Anbau von Sonderkulturen wie Obst, Gemüse und Wein. „Dieser Vorschlag verdrängt landwirtschaftliche Erzeugung ins Ausland”, erklärte Rukwied. Die deutschen Bauern könnten nicht im europäischen Wettbewerb bestehen, wenn in vielen Nachbarländern ein deutlich geringerer Mindestlohn gelte.
Wortbruch vorgeworfen
Der Präsident des Gesamtverbandes der Deutschen
Land- und Forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände (GLFA), Hans-Benno
Wichert, warf dem Bundeskanzler Wortbruch vor: „Der Kanzler hat noch im
vergangenen Jahr zugesagt, nicht mehr in die Arbeit der
Mindestlohnkommission einzugreifen.” Nach Einschätzung des
Arbeitgeberpäsidenten würde eine willkürliche Erhöhung des Mindestlohns
auf 15 Euro die ohnehin schon unter massivem Druck stehende Obst- und
Gemüseproduktion in Deutschland noch stärker gefährden und zu einer
Verdrängung des Anbaus in europäische und nichteuropäische Regionen mit
deutlich niedrigeren Löhnen und Sozialstandards führen. Wichert
erinnerte daran, dass die SPD bereits 2022 ihr bei Einführung des gesetzlichen Mindestlohns gegebenes Versprechen
gebrochen habe, die Entwicklung des Mindestlohns mit der
Mindestlohnkommission allein in die Hände der Sozialpartner zu legen.
Auch Baden-Württembergs Wirtschafts- und Arbeitsministerin Nicole
Hoffmeister-Kraut kritisierte gegenüber der Presse das Vorgehen von Olaf
Scholz. „Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit sind gerade in der
Politik ein hohes Gut. Dazu zählt zweifelsohne, sich an Versprechen zu
halten. Insofern rate ich dem Bundeskanzler, sich an sein Versprechen
nach der Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro zu erinnern: sich nicht
mehr in die Arbeit der Mindestlohnkommission einzumischen”, sagte sie.
Branchenlösung unabdingbar
Über den Mindestlohn entscheiden im Normalfall die Tarifpartner. In
diesem Fall die mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern paritätisch besetzte
Mindestlohnkommission. Für GLFA-Präsident Hans-Benno Wichert ist indes
klar: Sollte der Mindestlohn politisch auf 15 Euro angehoben
werden, müsse es für die Landwirtschaft eine Branchenlösung geben, die
eine Unterschreitung des gesetzlichen Mindestlohns gestattet.
Anderenfalls werde deutsches Obst und Gemüse von ausländischer Ware
verdrängt.
Der Bundestag hatte am 1.Oktober 2022 den Mindestlohn mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen von SPD, Grünen und FDP per Gesetz auf 12Euro
angehoben. Die Initiative dazu war von den Sozialdemokraten ausgegangen,
die im Wahlkampf mit dem Thema intensiv geworben hatten. Der Kanzler
begründete seine Forderung nach einer Erhöhung auf 15 Euro auch damit,
dass sich alle Warnungen vor Jobverlusten im Zusammenhang mit der
damaligen Anhebung auf 12 Euro als haltlos erwiesen hätten.