Politik | 23. Juli 2020

Landtag stimmt Änderung des Naturschutzgesetzes zu

Von Elsner/red
In seiner gestrigen Sitzung hat der baden-württembergische Landtag dem Gesetzentwurf zur Änderung des Naturschutzgesetzes und des Landwirtschafts- und Landeskulturgesetzes zugestimmt.
Der Landtag hat dem Gesetzentwurf zur Änderung des Naturschutzgesetzes und des Landwirtschaft- und Landeskulturgesetzes zugestimmt.

Der Landtag stimmte gestern den von der Landesregierung auf den Weg gebrachten Gesetzesänderungen zur Stärkung der Biologischen Vielfalt zu. Die Erarbeitung des Gesetzentwurfs hatte unter breiter gesellschaftlicher Beteiligung stattgefunden.
Das Biodiversitätsstärkungsgesetz ist aus dem Volksbegehren „Artenschutz - Rettet die Bienen", das im Februar 2019 veröffentlicht wurde, entstanden. Gemeinsam mit den Initiatoren und Unterstützern des Volksbegehrens sowie mit den Bauern- und Naturschutzverbänden wurde ein Eckpunktepapier erarbeitet, welches im Dezember 2019 veröffentlicht wurde. Auch Forderungen des Volksantrags "Gemeinsam unsere Umwelt schützen in Baden-Württemberg" flossen in den Entwurf ein. Es ist der erste Volksantrag in der Geschichte des Landes. Auf Basis dessen entstand das heute verabschiedete Gesetz.

Wesentliche Punkte der Novellen sind:
  • Ausbau des Anteils der ökologischen Landwirtschaft auf 30 bis 40 Prozent bis zum Jahr 2030
  • Reduktion der chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmittel um 40 bis 50 Prozent bis 2030
  • Umsetzung des Verbots von Pestiziden in ausgewiesenen Naturschutzgebieten und Einhaltung der landesspezifischen Vorgaben des Integrierten Pflanzenschutzes in den übrigen Schutzgebieten
  • Aufbau eines landesweiten Biotopverbunds auf 15 Prozent der Landesfläche bis 2030
  • Erhalt von Streuobstbeständen
  • Verbot von Schottergärten auf Privatgrundstücken
  • Minimierung der Lichtverschmutzung
  • Schaffung von Refugialflächen auf 10 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen 
Betriebe brauchen Zukunftsperspektive
Schlussetappe zum erfolgreichen Volksantrag: Minister Peter Hauk bekam am 7. Februar bei der Landesversammlung des BLHV symbolisch 84.128 Unterschriften überreicht. Am Ende wurden es noch fast 6000 mehr.
„Mit unserem Volksantrag haben wir einen der schwierigsten Konflikte der Verbandsgeschichte geschlichtet”, erklärt das Präsidium des BLHV. Spitzenvertreter des BLHV würdigten den Volksantrag als wegweisende Initiative: „Als die Unstimmigkeiten zwischen Landwirtschaft und Naturschutz aufgrund des Volksbegehrens von Pro Biene zu eskalieren drohten, konnte der Volksantrag wieder zusammenführen und verhinderte so einen Gesetzentwurf, der das Aus für zahlreiche landwirtschaftliche Familienbetriebe bedeutet und unsere Gesellschaft gespalten hätte.”
Für Verbandspräsident Werner Räpple ist jedoch klar, dass man jetzt noch keinen Strich unter den Volksantrag machen kann: „Wir haben einen Gesinnungswandel herbeigeführt, denn die Landwirtschaft ist jetzt nicht mehr nur ein Teil des Problems, sondern ein fester Teil der Lösung.” Lösungen, so betont Räpple, können aber nur auf wissenschaftlicher Grundlage entwickelt und mit einer starken Beratung in die Praxis gebracht werden. „Wir erwarten daher, dass die mit dem Volksantrag erkämpfte Zusage, mehr in die praxisorientierte Forschung zu investieren, zeitnah umgesetzt wird”, so Räpple.
Auch der 1. Vizepräsident des BLHV, Bernhard Bolkart, sieht in dem Volksantrag den Beginn eines neuen Weges und betont, dass man die heimische Landwirtschaft schützen müsse, indem man den Import von Lebensmitteln erschwere, die unter niedrigen Umweltstandards erzeugt worden seien. „Und weil letztendlich der Verbraucher entscheidet, woher unsere Lebensmittel kommen, müssen wir in die Allgemeinbildung investieren. Jeder muss von der Pike auf lernen, was gute, nachhaltige Lebensmittel ausmacht und woher man sie bekommt”, so Bolkart.
„Wir haben erreicht, dass jetzt beim Artenschutz gesamtgesellschaftlich gehandelt wird. Mit Gesetzentwürfen zur Stärkung der Biodiversität wird nun auch, wie wir im Volksantrag forderten, die Lichtverschmutzung angegangen, unnötige Schottergärten sollen verboten und landwirtschaftliche Flächen besser geschützt werden”, erklärt BLHV-Präsident Werner Räpple und fügt hinzu, dass es entscheidend für das Gelingen einer Biodiversitätsstrategie sei, ob man den Betrieben eine sichere Zukunftsperspektive bieten könne oder nicht.
„Leider finden wir in der aktuellen Biodiversitätsstrategie noch zu viele existenzgefährdende Risiken, insbesondere bei dem Reduktionsziel für Pflanzenschutzmittel. Trotz aller Warnungen des BLHV gibt es hier immer noch juristische Auslegungsfragen. Deren Offenlassen darf jedenfalls nicht dazu führen, dass das Land zur Abkehr vom kooperativen und somit gemeinsamen Weg mit der Landwirtschaft gezwungen werden kann”, so Räpple.
Hauk: Last auf die gesamte Gesellschaft verteilen
Nicht nur die Landwirte haben einen Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt zu leisten, sagte Landwirtschaftsminister Peter Hauk.
Der Minister für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, Peter Hauk, bedankte sich im Nachgang zur Plenarsitzung bei den Bauern und ihren Berufsständen, die sich mit Engagement und guten Argumenten an dem Prozess beteiligt hätten und nicht zuletzt mit ihrem Volksantrag wichtige Impulse geliefert hätten.
Ein wichtiger Punkt der Gesetzesänderungen sei die Lastenverteilung auf praktisch alle gesellschaftlichen Bereiche. Es seien eben nicht nur die Landwirte, die einen Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt zu leisten hätten. Vielmehr sei jeder gefordert, sich einzubringen. „Mit Blick auf die Landwirtschaft arbeiten wir nicht mit Druck und Ordnungsrecht, sondern setzen gezielt Anreize, um die gesetzten Ziele zu erreichen”, erklärte Hauk.
Das gemeinsame Vorgehen von Landwirtschafts- und Umweltministerium in Baden-Württemberg sei bislang bundesweit einmalig. „Der Weg, wie wir unsere Ziele erreichen wollen, könnte auf Bundesebene ein Vorbild sein. Ich schlage dem Bund vor, unserem Beispiel zu folgen, sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen und gemeinsam nach tragfähigen Lösungen zu suchen, die auf gemeinsamen Zielvereinbarungen und nicht auf Geboten und Verboten beruhen”, betonte Hauk.
 „Mit Blick auf den Klimawandel steht die Gesellschaft und mit ihr die Landwirtschaft vor großen Herausforderungen. Fragen des 21. Jahrhunderts erfordern auch Antworten des 21. Jahrhunderts. Wir müssen weiter offen sein bei Fragen des integrierten Pflanzenschutzes, der Digitalisierung und der Forschung. Auch, wenn es um neue Züchtungstechniken geht, müssen wir die Chancen ausloten, die sich dort bieten”, betonte der Minister.
Untersteller: Gesetz alleine verändert nicht die Situation
Im Einklang mit Naturschutz- und Landwirtschaftsverbänden haben wir heute ein Gesetzespaket beschlossen, das sich wirklich sehen lassen kann”, sagte Umweltminister Franz Untersteller. Er sei froh und auch stolz auf den erzielten gesamtgesellschaftlichen Konsens und die Bereitschaft aller Beteiligten, die Herausforderungen des Artensterbens im Dialog miteinander anzugehen. „Doch es muss jedem klar sein, dass allein die Verabschiedung des Gesetzes die bestehende Situation nicht ändert”, betonte der Umweltminister. „Erst die tagtägliche praktische Umsetzung und Anwendung der neuen gesetzlichen Regelungen bewirkt eine Stärkung der Biodiversität in unserem Land.” Auch wenn heute ein ganz wichtiges Etappenziel erreicht wurde, sei es für eine erfolgreiche Trendwende beim Artensterben immer noch erst der Anfang.
Hahn: Starkes Zeichen
„Mit den heutigen Beschlüssen ist es uns gelungen; ein starkes Zeichen für Artenschutz, Biodiversität sowie eine zukunftsorientierte Landwirtschaft zu setzen”; erklärte Martin Hahn, agrarpolitischer Sprecher der Grünen und Vorsitzender im Ausschuss für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz. Beim Artenschutz und der Stärkung der Biodiversität sei Baden-Württemberg Vorreiter und setze europaweit einen neuen Maßstab. „Wir haben bessere Voraussetzungen für das Überleben von Insekten und Vogelarten geschaffen und wir haben die Landwirtinnen und Landwirte als Partnerinnen und Partner für unser großes gesamtgesellschaftliches Projekt gewonnen”, so Hahn. Der nächste Schritt werde sein, einen neuen Gesellschaftsvertrag zu erarbeiten, der Ernährung, Konsum, Landwirtschaft und Naturschutz zukunftsfähig miteinander verbindet.
Naturschutzverbände: Wandel ist Konsens
Mit dem neuen Gesetz habe das Land einige große Rettungsringe für Insekten, Agrarvögel und andere bedrohte Arten ausgeworfen und die nötigen Finanzmittel gleich mit beschlossen, lobte der NABU-Landesvorsitzende Johannes Enssle. Gemeinsam begrüßen die Landesverbände von BUND, NABU, Demeter, Naturland, Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), Slow Food Deutschland und Bäuerliche Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall die jetzt vom Landtag verabschiedeten Änderungen des Naturschutzgesetzes sowie des Landwirtschafts- und Landeskulturgesetzes. „Das Land investiert mit diesem Gesetz in eine artenreiche Zukunft”, sagte die BUND-Landesvorsitzende Brigitte Dahlbender. Die Verbände betonen aber auch, künftig sehr genau darauf zu achten, ob den geschriebenen Worten auch Taten folgen und die Förderpolitik sich weg von Größe und Masse hin zu kleineren, regionalen und nachhaltigen Strukturen verschiebe. Mit dem Gesetz hätten Politik, Gesellschaft und Landwirtschaft sich nach intensivem Dialog in historischer Deutlichkeit zu einem Wandel in der Landwirtschaft bekannt.  Das sei ein starkes Signal, auch in Richtung Handel.