Betrieb und Wirtschaft | 31. August 2017

Multitasking ist schlicht hausgemachter Stress

Von Rolf Leicher
Es gibt verschiedene Arbeitstypen: Mancher arbeitet besonders schnell, andere sind Perfektionisten – man hat sich so seine Arbeitsweise angewöhnt. Und dann gibt es noch den Multitasker: das Genie, das alles auf einmal erledigt und sich wenig Gedanken über die möglichen Folgen macht.
Fluch und Segen: Das Smartphone verführt       gerne mal zum Multitasken. Wie ist es denn bei Ihnen: Haben Sie Ihr Handy im Griff   – oder hat Ihr Handy Sie im Griff?
Manchmal muss man das Arbeitstempo erhöhen, um Termine einzuhalten. Es ist wie beim Autofahren, das Gaspedal wird durchgetreten. Hohes Tempo verkürzt zwar die Fahrzeit, erhöht aber das Unfallrisiko.
Bei der Arbeit gibt es kein exakt messbares Tempo wie im Straßenverkehr. „Tempoholiker” nennt man diejenigen, die schneller arbeiten als normal. Wer schneller arbeitet, riskiert Fehler, weil man gedanklich schon beim nächsten Arbeitsschritt ist, während der jetzige noch nicht abgeschlossen ist.
„Das Gras wächst nicht schneller, wenn du daran ziehst”, sagt ein afrikanisches Sprichwort. Manche glauben, die natürlichen Grenzen des Arbeitstempos überschreiten zu können. Auf Dauer geht das Gefühl für ein normales Tempo verloren. Der Tempoholiker ist schneller erschöpft und stresst sich selbst und sein Umfeld.
Andererseits verschafft sich der Tempoholiker auch Anerkennung, er wird bewundert, weil er so schnell fertig ist. Schnell sein wird mit Intelligenz gleichgesetzt und mit Erfolg.
Der verachtete Rat
Dass man mit Langsamkeit oft weiter kommt, wusste schon Johann Peter Hebel. In seiner Geschichte „Der verachtete Rat” erzählt er, wie ein Fuhrmann auf dem Weg nach Basel einen Fußgänger fragt, ob es ihm wohl noch vor Toresschluss in die Stadt reiche. „Schwerlich, doch wenn Ihr recht langsam fahrt, reicht es noch. Ich will auch noch in die Stadt hinein”, lautet die merkwürdige Antwort.
Der Fuhrmann treibt also die Pferde an, damit er ganz sicher rechtzeitig ankommt. Aber die Eile fordert ihren Tribut: Die Hinterachse des Wagens bricht, der Fuhrmann muss im nächsten Dorf übernachten. Der Fußgänger, der eine Stunde später durch das Dorf geht und den Wagen erblickt, meint: „Hab ich Euch nicht gewarnt, hab ich nicht gesagt: Wenn Ihr langsam fahrt!”
Der Tempoholiker macht alles auf einmal und nichts gründlich. Fehlerkorrekturen kosten nicht nur Zeit und Geld, sondern schaffen auch Frust. Andere müssen Fehler, die in der Eile entstehen, wieder ausbaden.
Hohes Tempo nicht zum Maßstab machen
Manchmal will man sich beweisen, dass man mit hohem Tempo klarkommt. Bei einfachen Arbeiten lässt sich Tempoerhöhung vorübergehend rechtfertigen. Hohes Tempo darf nicht zum Maßstab für das Arbeitstempo der Saisonhilfen und Teilzeitmitarbeiter werden. 
Ein normales Arbeitstempo anderer darf nicht automatisch mit Unfähigkeit, Trägheit oder Inkompetenz gleichgesetzt werden. Geschwindigkeit ist nicht grundsätzlich schlecht, und Langsamkeit nicht immer die Lösung für alle Tätigkeiten.
Manche versuchen, selbst die eigene Schmerzgrenze zu testen, und setzen sich enge Termine mit der Einstellung „Das kriege ich irgendwie hin”. Und so nimmt man einen externen Termin an, der sehr kurzfristig ist, und setzt sich damit selbst unter Druck.
Mit kleinen Pufferzeiten zwischen den Terminen verschafft man sich Luft. Wird die Pufferzeit nicht benötigt, werden „Arbeiten ohne Termin” erledigt oder Rückstände aufgearbeitet.
Arbeit in Prioritäten einteilen
Viele arbeiten nach dem „Spaßprinzip”: Arbeiten, die man gerne macht, beanspruchen einen viel größeren Zeitanteil, an seinen Lieblingsarbeiten hält man sich gerne länger auf. Dann  kommt man mit ungeliebten Arbeiten schnell in Zeitnot und das Arbeitstempo muss erhöht werden.
Die richtige Arbeitseinteilung erfolgt in drei Stufen:
  • A-Prioritäten sind wichtige und eilige Dinge, die termingebunden sind.
  • B-Prioritäten sind wichtig, aber nicht eilig, und
  • C-Prioritäten sind Arbeiten, die man auch später erledigen kann.

Bei der Erledigung hat A immer Vorrang, aber C kann auch auf Dauer zu A werden, wenn die Sache immer wieder aufgeschoben wird. Mit der richtigen Einteilung lässt sich ein gleichmäßiges Arbeiten realisieren.

Konzentration bleibt auf der Strecke
Innerhalb der Einarbeitungszeit eines neuen Mitarbeiters darf das Tempo nicht erhöht werden. Es ist wie in der Fahrschule, wo ein Schüler in der ersten Zeit bewusst langsam fährt, um Fehler zu vermeiden. Nur hohe Konzentration macht es möglich, etwas schneller zu werden, zum Beispiel im Leistungshoch.
Wer diese Stunden am Vormittag nutzt, kann schnell arbeiten ohne großes Fehlerrisiko.  Arbeiten und gleichzeitig an etwas anderes denken, etwa an die nächste Aufgabe, ist riskant, denn man tut eigentlich nichts von beiden zu 100 Prozent. Man nennt das „Multitasking”.
Multitasking bezeichnet die Fähigkeit des Hirns, mehrere Aufgaben gleichzeitig zu erfüllen. Dabei wird der Informationsaustausch verschiedener Bereiche in so kurzen Abständen immer wieder abwechselnd aktiviert, dass der Eindruck der Gleichzeitigkeit entsteht. Dabei trainiert man sich eine Aufmerksamkeitsstörung an und kann sich nach einiger Zeit nicht mehr voll konzentrieren. Man hat weniger Kontrolle über seine Aufmerksamkeit und kann sich später nicht mehr an alles erinnern.
Beides gleichzeitig, aber nichts richtig
Wer versucht, vieles gleichzeitig zu tun, tut nichts richtig, weil er sich auf nichts voll konzentriert. Multitasker stressen sich selbst und sie kommen schnell am Leistungslimit an.
Besonders jüngere Landwirte halten es für völlig normal, zwei Dinge auf einmal zu erledigen. Die Risiken werden schnell vergessen: Es schleichen sich Pannen ein, denn wenn sich Tätigkeiten überkreuzen, sinkt nicht nur die Aufmerksamkeit, sondern es steigt auch die Fehlerhäufigkeit. Alles gleichzeitig zu tun, reduziert alles zur Bedeutungslosigkeit, nichts ist wirklich wichtig.
Multitasking ist hausgemachter Stress, der auch das Umfeld beeinflusst. Schon das gedankliche Abschweifen von der augenblicklichen Arbeit verringert die Konzentration.  Es ist eine Frage der eigenen Disziplin, sich voll und ganz auf den Augenblick zu konzentrieren.
Eins nach dem anderen
Multitasking ist für anspruchsvolle Arbeiten ungeeignet, eher bei einfachen Routinetätigkeiten einsetzbar und auch nur kurzzeitig. Für anspruchsvolle Arbeiten hat sich Monotasking bewährt. Selbst ein Multitasking-Genie findet zur Gelassenheit und Entspannung zurück, wenn der eigene Aktionismus zeitlich begrenzt wird.
Wer eines nach dem anderen tut, kann kreativer arbeiten, erhöht den eigenen Zufriedenheitsgrad bei der Arbeit und verringert den Verschleiß der Ressourcen. Es ist  eine Frage der Gewöhnung.
Eines nach dem anderen zu erledigen, verringert Missverständnisse. Dadurch werden Rückfragen vermieden. Und auch für die Arbeitspause gilt: Den Kaffee genießt man besser, wenn man sich nicht gleichzeitig mit dem Handy befasst. In der multimedialen Gesellschaft ist Konzentration nicht einfach, aber nötiger denn je.
Besser als der Beste?
Erfolgreiches Arbeiten funktioniert bei voller Konzentration auf eine Sache. Multitasker und Tempoholiker treten oft in einer Person vereinigt auf. Wollen Sie besser sein als der Beste? Jeden Tag Spitzenleistung? Muss alles 120 Prozent sein? Warum genügen nicht 100 Prozent?
Wer immer mehr, immer besser, immer schneller werden will, setzt sich selber unter Druck. Spitzenleistungen sind nicht immer erreichbar und können nicht zum Arbeitsziel erklärt werden. Nur ein schmaler Grat trennt gesunden vom krankhaften Perfektionismus.
Wenn das Erfüllen höchster Ansprüche dauerhaft zum Muss wird, ist das ein Problem. Weil die hohen Ziele nicht voll erreicht werden, ist der Perfektionist schnell unzufrieden. Perfektionisten wollen alles möglichst alleine schaffen und lehnen oft Unterstützung ab.
Der Teufelskreis beginnt: Sie verlieren durch Überlastung die Kontrolle und möchten das durch noch mehr Perfektion kompensieren. So kann Arbeitssucht entstehen. Durch übermäßiges Engagement nimmt man dann Erfolge und Anerkennung gar nicht mehr wahr.
Süchtig nach Spitzenleistung
Geht es bei jeder Tätigkeit um die Weltmeisterschaft? Dann ist der kleinste Fehler eine Katastrophe. Der Druck der Fehlervermeidung ist belastend – und er führt gerade dann zu Fehlern.
Für Perfektionisten ist Schwarz-weiß-Denken typisch. Sie denken: „Wenn ich einen Fehler mache, dann mache ich überall Fehler.” Perfektionisten kommen aus einem leistungsorientierten Umfeld, in dem hohe Leistungsstandards normal sind. Um nicht „abzustürzen”, bemüht man sich um Übererfüllung der Aufgaben.
Es beginnt eine Spirale des „Immer-besser-Werdens”, auch um Anerkennung zu erfahren. Hier hilft nur, die überhöhten Standards zu kappen und zu lernen, mit  99 Prozent konstruktiv umzugehen. Beruflich kann das in Arbeitssucht ausarten oder auch Ursache für einen Burnout sein.
Die Gefahr des „Ausgebranntwerdens” ist immer dann hoch, wenn man den Erfolg seiner Arbeit nicht sieht oder wenn es keine Anerkennung zum Beispiel von der Familie oder von Kunden gibt. Perfektionisten sind dabei besonders gefährdet, sich dauerhaft zu überlasten.