Politik | 02. Dezember 2021

Mit Özdemir gemeinsame Lösungen finden

Von AgE
Seine Bereitschaft zur Kooperation mit dem designierten neuen Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied, betont. Es gehe darum, gemeinsam Lösungen für die anstehenden Herausforderungen zu entwickeln.
Cem Özdemir, designierter Landwirtschaftsminister der künftigen Ampel-Koalition.
Der Bauernpräsident kündigte am 26. November gegenüber Journalisten in Berlin an, kurzfristig das Gespräch mit dem Grünen-Politiker zu suchen. Özdemirs Prominenz wertet er positiv, weil dies auch der Landwirtschaft und ihren Anliegen zugutekommen werde.
Rukwied bezeichnete Özdemir als pragmatischen Politiker. Verbunden mit dessen schwäbischer Herkunft sei dies eine gute Grundlage für eine gedeihliche Zusammenarbeit, so der DBV-Präsident, der auch  Präsident des Landesbauernverbandes in Baden-Württemberg (LBV) ist. Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) nannte den Personalvorschlag der Grünen für das Agrarressort eine „interessante Herausforderung”.
Özdemir hatte sich in einer parteiinternen Auseinandersetzung gegen Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter durchgesetzt, der dem neuen Kabinett nicht angehören wird. Das neu zugeschnittene Ministerium für Umwelt und Verbraucherschutz soll von der langjährigen Bundestagsabgeordneten der Grünen, Steffi Lemke, geleitet werden. Parteichef Robert Habeck soll das um den Klimaschutz erweiterte Wirtschaftsministerium übernehmen. Über ihre Ministerkandidaten und den Koalitionsvertrag lassen die Grünen die Parteimitglieder abstimmen.
Die Beibehaltung eines eigenständigen Bundeslandwirtschaftsministeriums war zunächst unklar. Es hatte  Hinweise auf Pläne für ein gemeinsames Umwelt- und Landwirtschaftsministerium mit Lemke an der Spitze gegeben. Nachdem die Grünen das begehrte Verkehrsministerium im Zuge der Verhandlungen der FDP überlassen mussten, nahm man offenbar von einem Doppelressort Abstand. Gleichzeitig wurde entschieden, den gesundheitlichen Verbraucherschutz dem Umweltressort zuzuordnen. Die Grünen werden in der neuen Bundesregierung insgesamt fünf Ministerien besetzen, die FDP vier. Auf die SPD entfallen sechs Ressorts, darunter das Innenministerium, das weiterhin auch für das Thema „Heimat” zuständig sein soll.
Enge Abstimmung erwartet
Rukwied begrüßte ausdrücklich die Beibehaltung des Bundeslandwirtschaftsministeriums. In der Vorwoche  hatte er sich über anderslautende Information alarmiert gezeigt und gemeinsam mit Raiffeisenpräsident Franz-Josef Holzenkamp an die Spitzen von SPD, Grünen und FDP appelliert, am Landwirtschaftsministerium festzuhalten. Beide Präsidenten begründeten das in einem Schreiben zum einen mit der besonderen Bedeutung des Agrarsektors für die ländlichen Räume. Zum anderen verwiesen sie auf den tiefgreifenden strukturellen Umbruch, den die Land- und Ernährungswirtschaft im Spannungsfeld zwischen gesellschaftlichen Anforderungen, den Aufgaben rund um den Klima- und Umweltschutz sowie den ökonomischen Rahmenbedingungen zu bewältigen habe. Rukwied äußerte nach der Entscheidung die Erwartung, dass sich beide grün-geführten Ressorts künftig eng abstimmen werden. Erster Ansprechpartner für den Bauernverband bleibe das Landwirtschaftsministerium. Der DBV-Präsident kritisierte zugleich die Ampelpläne, den gesundheitlichen Verbraucherschutz vom Agrar- in das Umweltressort zu übertragen.
PolitischesSchwergewicht
„Mit Cem Özdemir würde ein politisches Schwergewicht ins Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft einziehen”, stellte AbL-Bundesgeschäftsführer Georg Janßen fest. Dass Özdemir bislang nicht als „Sprecher der Landwirtschaft” aufgefallen sei, will Janßen nicht als Kritik gelten lassen: „Weder Frau Künast, Herr Seehofer, Frau Aigner, Herr Schmidt noch Frau Klöckner waren als Expertinnen und Experten des Ackerbaus und der Tierhaltung bekannt.” Viel wichtiger sei, „ob die verantwortliche Person für das Ministerium mit den Bäuerinnen und Bauern zusammen die zweifellos großen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Herausforderungen anpacken wird”.
Höfesterben ausbremsen
Dass die Ministerien für Landwirtschaft und Umwelt künftig in der Hand der gleichen Partei liegen, lässt die Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN) hoffen, „dass die Grabenkämpfe zwischen den beiden Häusern, die in der Vergangenheit das Handeln gelähmt haben, endlich vorbei sind”. Für die Schweinehalter in Deutschland und ihre Familien gehe es aktuell und in den kommenden Jahren um ihre Existenz, erklärte ISN-Geschäftsführer  Torsten Staack. Die neuen Minister stünden vor der Herausforderung, „das rasante Höfesterben auszubremsen”. Ziel muss es laut ISN sein, die bereits erhebliche Abwanderung der Tierhaltung ins Ausland zu stoppen.  
Schwäbischer Grüner des „Realo-Flügels”
Der 55-jährige Cem Özdemir hatte bei der Bundestagswahl im September mit fast 40 Prozent erstmals ein Direktmandat in Stuttgart gewonnen. Dem Bundestag gehörte der gebürtige Uracher von 1994 bis 2002 an. Von 2004 bis 2009 war Özdemir Abgeordneter des Europaparlaments. Den Bundesvorsitz der Grünen hatte er von 2008 bis Anfang 2018 inne. 2013 kehrte er in den Bundestag zurück. Bei der Bundestagswahl 2017 war der gelernte Erzieher und Diplom-Sozialpädagoge Spitzenkandidat der Grünen und einer der Verhandlungsführer seiner Partei bei den letztlich erfolglosen Jamaika-Verhandlungen in Berlin. In der abgelaufenen Legislaturperiode fungierte der voraussichtliche künftige Bundeslandwirtschaftsminister als Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur. Özdemir, der dem „Realo-Flügel” seiner Partei zugerechnet wird, ist Mitglied im Politischen Beirat des Bundesverbandes Mittelständische Wirtschaft (BVMW) sowie der überparteilichen Theodor-Heuss-Stiftung.
Bisherige politische Schwerpunkte waren insbesondere die Außenpolitik, Wirtschafts- und Verkehrspolitik sowie die Integrationspolitik. Als erster Grüner war Özdemir 2014/2015 „Botschafter des Bieres” des Deutschen Brauer-Bundes (DBB). 2017 ernannte der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks den Sohn türkischer Gastarbeiter zum „Botschafter des Deutschen Brotes”.