Politik | 10. Juli 2014

Mindestlohn beschlossen – Einigung beim Tarifvertrag

Von Michael Nödl, BLHV
Allen Bedenken aus Wirtschaft und von Sachverständigen zum Trotz hat der Deutsche Bundestag mit den Stimmen in der großen Koalition die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro in Deutschland zum 1. Januar 2015 beschlossen.
Der Bundesrat wird das Gesetz bereits am 11. Juli voraussichtlich billigen, so dass es in Kraft treten kann.
Das Gesetzespaket hat in letzter Minute noch einige Änderungen erfahren, wobei diese nicht die gewünschten positiven Auswirkungen auf die Beschäftigung von Saisonarbeitskräften in der Landwirtschaft haben. Im Gegensatz zu den Zeitungsboten wurde die vom Berufsstand geforderte Ausnahmeregelung für Saisonarbeitskräfte nicht umgesetzt.
Neufestsetzung ab 2017 alle zwei Jahre
Neu ist, dass der gesetzliche Mindestlohn jetzt bereits erstmals zum 1. Januar 2017 neu festgesetzt wird und dann alle zwei Jahre. Ursprünglich sollte dies erst 2018 der Fall sein. Da diese Neufestsetzung unter Berücksichtigung der zurückliegenden Tarifabschlüsse erfolgt, ist damit zu rechnen, dass sich der Mindestlohn ab 2017 mindestens um 9 € bewegen wird. Der Spielraum für Ausnahmen in Tarifverträgen wurde erweitert. Solche gelten jetzt drei Jahre bis Ende 2017, müssen jedoch ab 2017 einen Tariflohn von mindestens 8,50 € je Zeitstunde vorsehen.
Geringfügige Beschäftigung
Im Gegensatz zu den Zeitungsboten wurde die vom Berufsstand geforderte Ausnahmeregelung für Saisonarbeitskräfte nicht umgesetzt.
Zudem wird die Möglichkeit einer geringfügigen Beschäftigung für die Jahre 2015 bis 2018 erweitert. In diesem Zeitraum liegt eine geringfügige Beschäftigung in Form der kurzfristigen Beschäftigung vor, wenn sie innerhalb eines Kalenderjahrs auf längstens drei Monate (bis jetzt zwei Monate) oder 70 Arbeitstage (bisher 50 Arbeitstage) nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein pflegt oder im Voraus vertraglich begrenzt ist. Es sei denn, dass die Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt wird und ihr Entgelt 450 € im Monat übersteigt.
Die Politik sieht dies als Erleichterung dafür, dass geringfügig Beschäftigte ihren Mindestlohn brutto für netto erhalten und sich so  besser stellen als sozialversicherungspflichtig Beschäftigte.
Anrechenbarkeit von Kost und Logis
Im Rahmen der Sozialversicherungsentgeltverordnung soll festgelegt werden, dass und inwieweit vom Arbeitgeber gewährte Kost und Logis auf den gesetzlichen Mindestlohn angerechnet werden können. Ebenso hat das Bundesfinanzministerium die Möglichkeit, die vom Berufsstand kritisierten umfangreichen Dokumentationspflichten im Sinne größerer Flexibilität spezifischen Bedürfnissen der Praxis anzupassen.
Außerdem soll die Bundesregierung prüfen, ob auch die Überweisung der an die Sozialversicherung des Herkunftslandes zu Unrecht gezahlten Sozialbeiträge vom dortigen Träger direkt an die deutsche Sozialversicherung möglich sein könne. Das würde den Verwaltungsaufwand für landwirtschaftliche Arbeitgeber verringern, wenn ihnen Saisonarbeitnehmer gefälschte A1–Bescheinigungen vorlegten. In diesen Fällen müssen landwirtschaftliche Arbeitgeber häufig erneut Sozialversicherungsbeiträge an die deutsche Sozialversicherung zahlen, ohne ihren Erstattungsanspruch gegen die Sozialversicherung des Herkunftslandes vollständig geltend machen zu können. Um es zu betonen – die drei letztgenannten möglichen Erleichterungen sind keinesfalls schon beschlossen.
Tarifvertrag zum Mindestlohn
Am 3. Juli  fand die zweite Verhandlungsrunde über einen Tarifvertrag Mindestentgelt zwischen Gesamtverband, AgA (Gartenbau) und der Gewerkschaft IG BAU in Kassel statt. Nach intensiven und harten Verhandlungen, die zeitweise kurz vor dem Abbruch standen, erzielte man eine Verständigung (siehe nebenstehenden Kasten). Bekanntlich brauchen wir aufgrund der Vorgaben des Mindestlohngesetzes einen neuen, bundesweit geltenden Lohntarifvertrag für Erntehelfer, da nur dieser allgemeinverbindlich erklärt werden kann.
Ohne Abschluss eines solchen Mindestlohntarifvertrages müsste für Erntehelfer ab 1. Januar 2015 der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro/Stunde und ab 1. Januar 2017 von geschätzt circa 8,93 €/Stunde gezahlt werden (erstmalige vom Gesetz vorgesehene Erhöhung des Mindestlohns).
Tarifverhandlungen: die Ergebnisse
In den Tarifverhandlungen verständigte man sich nun auf Erntehelferlöhne von  7,40 € ab 1. Januar 2015, von 8,00 € ab 1. Januar 2016, von 8,60 €  ab 1. Januar 2017. Ab 1. November 2017 soll ein tariflicher Mindestlohn von  9,10 € gelten, also voraussichtlich über dem gesetzlichen Mindestlohn, jedoch nur für die Monate November und Dezember 2017. Da dann der Tarifvertrag endet, gilt  ab 2018 wieder der gesetzliche Mindestlohn von geschätzt rund 9 Euro/Stunde.Der ausgehandelte, aber noch nicht beschlossene Tarifvertrag enthält für die Betriebe, bis auf die 9,10 € Ende 2017, bessere Bedingungen als der gesetzliche Mindestlohn. Nun müssen sich die Verbände zwischen der gesetzlichen Lösung oder diesem Mindestlohntarifvertrag  entscheiden. Der Landwirtschaftliche Arbeitgeberverband für Südbaden prüft derzeit intensiv mit dem BLHV den Entwurf des Tarifvertrages unter Berücksichtigung der Folgen bei Anwendung des Mindestlohngesetzes. Der endgültige Mindestlohntarifvertrag bedarf der Zustimmung aller Mitgliedsverbände des GLFA (Gesamtverband der Deutschen Land- und Forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände) beziehungsweise der AgA (Arbeitsgemeinschaft der gärtnerischen Arbeitgeberverbände).
„Mogelpackung”
Scharfe Kritik am Mindestlohngesetz kam  vom Deutschen Bauernverband (DBV). Verbandspräsident Joachim  Rukwied  bezeichnete die Sonderregelungen für Saisonarbeiter als „Mogelpackung”. Seiner Einschätzung nach bleibt da-mit das grundsätzliche Problem der Benachteiligung der landwirtschaftlichen Sonderkulturbetriebe in Deutschland gegenüber anderen europäischen Anbauregionen ungelöst.
 Rukwied hatte zuvor wiederholt eine dauerhafte Übergangsregelung für Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft und im Gartenbau angemahnt. Der DBV hatte vorgeschlagen, für diesen Personenkreis einen Mindestlohn in Höhe von 80 Prozent des allgemeinen Mindestlohns festzulegen. Die Bundesregierung hatte dies jedoch abgelehnt und zudem keine Bereitschaft gezeigt, eine Übergangslösung, wie sie das Gesetz für Zeitungszusteller enthält, auf die Land- und Forstwirtschaft zu übertragen.  Der DBV-Präsident
befürchtet, dass das Mindestlohngesetz zur Existenzgefährdung landwirtschaftlicher Sonderkulturbetriebe führt, Arbeitsplätze im ländlichen Raum und in der Lebensmittelkette vernichtet und die Erzeugung in das europäische Ausland verlagert.
Ebenfalls enttäuscht vom Gesetz zeigte sich der Präsident des BLHV, Werner  Räpple. Er rechnet eigenen Angaben zufolge mit verheerenden Folgen für die auf Saisonarbeitskräfte angewiesenen Sonderkulturbetriebe in Südbaden. Der
beschlossene Mindestlohn führe zu steigenden Kosten für die landwirtschaftliche Erzeugung. „Wir gehen davon aus, dass diese Kosten nicht beim Endverbraucher ankommen, da der globalisierte Markt unsere Produkte austauschbar für günstigere Importe macht”, so der BLHV-Präsident. (AgE)