Allen Bedenken aus Wirtschaft und von Sachverständigen zum Trotz hat der Deutsche Bundestag mit den Stimmen in der großen Koalition die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro in Deutschland zum 1. Januar 2015 beschlossen.
Der Bundesrat wird das Gesetz bereits am 11. Juli voraussichtlich billigen, so dass es in Kraft treten kann.
Das Gesetzespaket hat in letzter Minute noch einige Änderungen erfahren, wobei diese nicht die gewünschten positiven Auswirkungen auf die Beschäftigung von Saisonarbeitskräften in der Landwirtschaft haben. Im Gegensatz zu den Zeitungsboten wurde die vom Berufsstand geforderte Ausnahmeregelung für Saisonarbeitskräfte nicht umgesetzt.
Neufestsetzung ab 2017 alle zwei Jahre
Neu ist, dass der gesetzliche
Mindestlohn jetzt bereits erstmals zum 1. Januar 2017 neu festgesetzt
wird und dann alle zwei Jahre. Ursprünglich sollte dies erst 2018 der
Fall sein. Da diese Neufestsetzung unter Berücksichtigung der
zurückliegenden Tarifabschlüsse erfolgt, ist damit zu rechnen, dass sich
der Mindestlohn ab 2017 mindestens um 9 € bewegen wird. Der Spielraum
für Ausnahmen in Tarifverträgen wurde erweitert. Solche gelten jetzt
drei Jahre bis Ende 2017, müssen jedoch ab 2017 einen Tariflohn von
mindestens 8,50 € je Zeitstunde vorsehen.
Geringfügige Beschäftigung
Im Gegensatz zu den Zeitungsboten wurde die vom Berufsstand geforderte Ausnahmeregelung für Saisonarbeitskräfte nicht umgesetzt.
Zudem wird die Möglichkeit einer geringfügigen
Beschäftigung für die Jahre 2015 bis 2018 erweitert. In diesem Zeitraum
liegt eine geringfügige Beschäftigung in Form der kurzfristigen
Beschäftigung vor, wenn sie innerhalb eines Kalenderjahrs auf längstens
drei Monate (bis jetzt zwei Monate) oder 70 Arbeitstage (bisher 50
Arbeitstage) nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein pflegt oder im Voraus
vertraglich begrenzt ist. Es sei denn, dass die Beschäftigung
berufsmäßig ausgeübt wird und ihr Entgelt 450 € im Monat übersteigt.
Die Politik sieht dies als Erleichterung dafür, dass geringfügig
Beschäftigte ihren Mindestlohn brutto für netto erhalten und sich so besser stellen als sozialversicherungspflichtig
Beschäftigte.
Anrechenbarkeit von Kost und Logis
Im Rahmen der Sozialversicherungsentgeltverordnung
soll festgelegt werden, dass und inwieweit vom Arbeitgeber gewährte Kost
und Logis auf den gesetzlichen Mindestlohn angerechnet werden können.
Ebenso hat das Bundesfinanzministerium die Möglichkeit, die vom
Berufsstand kritisierten umfangreichen Dokumentationspflichten im Sinne
größerer Flexibilität spezifischen Bedürfnissen der Praxis anzupassen.
Außerdem soll die Bundesregierung prüfen, ob auch die Überweisung der an
die Sozialversicherung des Herkunftslandes zu Unrecht gezahlten
Sozialbeiträge vom dortigen Träger direkt an die deutsche
Sozialversicherung möglich sein könne. Das würde den Verwaltungsaufwand
für landwirtschaftliche Arbeitgeber verringern, wenn ihnen
Saisonarbeitnehmer gefälschte A1–Bescheinigungen vorlegten. In diesen
Fällen müssen landwirtschaftliche Arbeitgeber häufig erneut
Sozialversicherungsbeiträge an die deutsche Sozialversicherung zahlen,
ohne ihren Erstattungsanspruch gegen die Sozialversicherung des
Herkunftslandes vollständig geltend machen zu können. Um es zu betonen –
die drei letztgenannten möglichen Erleichterungen sind keinesfalls
schon beschlossen.
Tarifvertrag zum Mindestlohn
Am 3. Juli fand die zweite Verhandlungsrunde über einen
Tarifvertrag Mindestentgelt zwischen Gesamtverband, AgA (Gartenbau) und
der Gewerkschaft IG BAU in Kassel statt. Nach intensiven und harten
Verhandlungen, die zeitweise kurz vor dem Abbruch standen, erzielte man
eine Verständigung (siehe nebenstehenden Kasten). Bekanntlich brauchen
wir aufgrund der Vorgaben des Mindestlohngesetzes einen neuen,
bundesweit geltenden Lohntarifvertrag für Erntehelfer, da nur dieser
allgemeinverbindlich erklärt werden kann.
Ohne Abschluss eines solchen Mindestlohntarifvertrages müsste für
Erntehelfer ab 1. Januar 2015 der gesetzliche Mindestlohn von 8,50
Euro/Stunde und ab 1. Januar 2017 von geschätzt circa 8,93 €/Stunde
gezahlt werden (erstmalige vom Gesetz vorgesehene Erhöhung des
Mindestlohns).
Tarifverhandlungen: die Ergebnisse
In den Tarifverhandlungen verständigte man sich nun auf Erntehelferlöhne von 7,40 € ab 1. Januar 2015, von 8,00 € ab 1. Januar 2016, von 8,60 € ab 1. Januar 2017. Ab 1. November 2017 soll ein tariflicher Mindestlohn von 9,10 € gelten, also voraussichtlich über dem gesetzlichen Mindestlohn, jedoch nur für die Monate November und Dezember 2017. Da dann der Tarifvertrag endet, gilt ab 2018 wieder der gesetzliche Mindestlohn von geschätzt rund 9 Euro/Stunde.Der ausgehandelte, aber noch nicht beschlossene Tarifvertrag enthält für die Betriebe, bis auf die 9,10 € Ende 2017, bessere Bedingungen als der gesetzliche Mindestlohn. Nun müssen sich die Verbände zwischen der gesetzlichen Lösung oder diesem Mindestlohntarifvertrag entscheiden. Der Landwirtschaftliche Arbeitgeberverband für Südbaden prüft derzeit intensiv mit dem BLHV den Entwurf des Tarifvertrages unter Berücksichtigung der Folgen bei Anwendung des Mindestlohngesetzes. Der endgültige Mindestlohntarifvertrag bedarf der Zustimmung aller Mitgliedsverbände des GLFA (Gesamtverband der Deutschen Land- und Forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände) beziehungsweise der AgA (Arbeitsgemeinschaft der gärtnerischen Arbeitgeberverbände).
„Mogelpackung”
Scharfe Kritik am Mindestlohngesetz kam vom Deutschen Bauernverband (DBV). Verbandspräsident Joachim Rukwied bezeichnete die Sonderregelungen für Saisonarbeiter als „Mogelpackung”. Seiner Einschätzung nach bleibt da-mit das grundsätzliche Problem der Benachteiligung der landwirtschaftlichen Sonderkulturbetriebe in Deutschland gegenüber anderen europäischen Anbauregionen ungelöst.
Rukwied hatte zuvor wiederholt eine dauerhafte Übergangsregelung für Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft und im Gartenbau angemahnt. Der DBV hatte vorgeschlagen, für diesen Personenkreis einen Mindestlohn in Höhe von 80 Prozent des allgemeinen Mindestlohns festzulegen. Die Bundesregierung hatte dies jedoch abgelehnt und zudem keine Bereitschaft gezeigt, eine Übergangslösung, wie sie das Gesetz für Zeitungszusteller enthält, auf die Land- und Forstwirtschaft zu übertragen. Der DBV-Präsident
befürchtet, dass das Mindestlohngesetz zur Existenzgefährdung landwirtschaftlicher Sonderkulturbetriebe führt, Arbeitsplätze im ländlichen Raum und in der Lebensmittelkette vernichtet und die Erzeugung in das europäische Ausland verlagert.
Ebenfalls enttäuscht vom Gesetz zeigte sich der Präsident des BLHV, Werner Räpple. Er rechnet eigenen Angaben zufolge mit verheerenden Folgen für die auf Saisonarbeitskräfte angewiesenen Sonderkulturbetriebe in Südbaden. Der
beschlossene Mindestlohn führe zu steigenden Kosten für die landwirtschaftliche Erzeugung. „Wir gehen davon aus, dass diese Kosten nicht beim Endverbraucher ankommen, da der globalisierte Markt unsere Produkte austauschbar für günstigere Importe macht”, so der BLHV-Präsident. (AgE)