Politik | 06. August 2015

Milch macht müde Europäer munter

Von AgE
Die Milchpreisentwicklung in Europa hat vergangene Woche die agrarpolitische Debatte bestimmt. Es wächst der politische Druck auf Brüssel, etwas zu unternehmen. Anfang September wird ein EU-Sonderagrarrat stattfinden, COPA und COGECA rufen zu einer Demonstration in dessen Umfeld auf.
Die Milchpreise sind europaweit im Rückwärtsgang.
Eine schnelle Erholung des Milchpreisniveaus scheint nicht in Sicht. Wie bei der Sitzung der EU-Milchmarkt-Beobachtungsstelle letzte  Woche festgehalten wurde, betrug der durchschnittliche Ab-Hof-Preis im Mai 30,5 Cent/kg.  Für den Juni gibt es nur  Schätzungen, die bei  30,4 Cent/kg liegen. Das wären 9 % weniger als im fünfjährigen Mittel, wobei Landwirte im Baltikum, Irland, Ungarn, Rumänien und den Niederlanden die größten Rückgänge hinnehmen mussten.
EU-Kommission muss handeln
Die EU-Ausschüsse der Bauernverbände (COPA) und ländlichen Genossenschaften (COGECA)  verlangen  eine Anhebung der Interventionspreise sowie die Nutzung der  Superabgabe für den Milchsektor. Die Interventionspreise seien zuletzt 2008 angepasst worden und spiegelten derzeit nicht  annähernd die Kosten wider. Die Kommission müsse handeln.  Am 7. September soll eine Großkundgebung vor dem Tagungsgebäude der EU-Landwirtschaftsminister stattfinden, zu der COPA/COGECA aufrufen.
Die EU-Kommission  bestätigte   die  Verlängerung der Gewährung von Beihilfen für die private Lagerhaltung sowie die Öffnung der Intervention über den 30. September hinaus. Eine Erhöhung des Interventionspreises sei  vorerst nicht geplant. Allerdings scheint es nicht ausgeschlossen, dass EU-Agrarkommissar Phil  Hogan  beim Sonder-Agrarrat am 7. September Vorschläge für zusätzliche Hilfen machen wird.
„Die derzeitigen Erzeugerpreise machen mir ein Stück weit Sorge”, erklärte Bundeslandwirtschaftsminister Christian  Schmidt. Eine Preisspirale nach unten helfe niemandem.     „Ich appelliere an die Verantwortung aller Beteiligten, insbesondere an die Verantwortung des Handels”, betonte Schmidt. Ferner müsse man die Exportmärkte  weiter im Blick behalten.  Schmidt plädierte für   mehr Erzeugerzusammenschlüsse, um eine bessere Verhandlungsposition zu erreichen.
Frankreich geht derweil eigene Wege, was in Deutschland für Irritationen sorgt. Bei einem Treffen der Milchbranche  auf Einladung von Landwirtschaftsminister Stéphane Le Foll   verpflichtete sich  der Handel,  ab August im Rahmen der  Verhandlungen mit den Molkereien für eine bestimmte Anzahl der billigsten Produkte eines Angebots und für die Eigenmarken des Handels höhere Preise zu gewähren. Dem Milcherzeugerverband (FNPL) zufolge soll erreicht werden, den Auszahlungspreis um 4 Cent auf  34 Cent/kg Milch zu erhöhen. Wobei der Verband der Privatmolkereien  betonte, dass Preiserhöhungen nicht für die gesamte Produktpalette möglich seien.  Die Molkereien sagten zu, die vom Handel gewährten Preiserhöhungen vollständig an die Milcherzeuger weiterzugeben.
Le Foll unterstrich, sich für Maßnahmen auf europäischer Ebene und insbesondere für eine Anhebung des Interventionspreises  stark zu machen. Er  rief  den Einzelhandel  dazu auf, französische Produkte zu bevorzugen.
Angesichts der Aktionen in Frankreich pochte der Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Udo  Folgart, auf ein vernünftiges Zusammenspiel zwischen Brüsseler Hilfsmaßnahmen und  Aktivitäten der Mitgliedstaaten. Über den möglichen Erfolg der französischen Branchenvereinbarung zeigte er sich   skeptisch. Ein Preishochhalten funktioniere auf lange Sicht nicht, wenn die Märkte nicht  mitzögen.  Er appellierte  an die EU-Kommission, die Superabgabe  von  900 Mio. Euro vorrangig zur Überbrückung der Liquiditätsengpässe der Milchbauern zu nutzen, und   sprach sich erneut für eine europäische Exportinitiative aus.
Scharfe Kritik an der politischen Vereinbarung in Frankreich übte der deutsche Milchindustrieverband (MIV). „Wenn unter Leitung eines französischen Ministers Beschlüsse gefasst werden, die einem Handelsboykott für deutsche Waren gleichgestellt sind, stellt man das Prinzip Europa in Frage”, monierte MIV-Hauptgeschäftsführer Eckhard  Heuser. Die getroffenen Vereinbarungen seien wettbewerbswidrig.
Empörung in Spanien
Auch der spanische Bauernverband UPA zeigte sich empört über die französischen Absprachen.  Man verstehe nicht, weshalb Eingriffe in die Preisbildung durchgeführt werden könnten, die in Spanien aus Gründen des EU-Wettbewerbsrechts  unmöglich seien.
Der Vorsitzende des Landwirtschaftsausschusses im Europaparlament, Czesław  Siekierski, forderte  ein dringendes Eingreifen. Einen Anfang könne man mit der Aktualisierung der Interventionspreise machen. Langfristig müsse man über ein reaktionsfähigeres Sicherheitsnetz und neue Marktinstrumente nachdenken.
Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) rief Bundesminister Schmidt  auf, sich auf EU-Ebene für eine kurzfristige und abgestimmte Drosselung der Milcherzeugung einzusetzen.   Nicht finanziert werden sollten mit der Superabgabe eine Ausdehnung der staatlichen Lagerhaltung oder eine Exportoffensive der Molkereien.
Das European Milk Board (EMB) sieht den Auslöser der schwierigen Lage in einer „Milchpolitik, die auf Exportorientierung und Überproduktion setzt.” EMB-Vizepräsidentin Sieta  van  Keimpema  bezeichnete  Forderungen nach einer Anhebung des Interventionspreises   als „halbseiden”.  Wenn zu viel Menge den Milchpreis kaputt mache, dann müsse am EU-Produktionsvolumen angesetzt werden.
Hin und her
Vorläufigen amtlichen Zahlen zufolge importierte Deutschland 2014  aus Frankreich Molkereiprodukte  im Gesamtwert von 959 Millionen  Euro, während sich der Ausfuhrwert der in das Nachbarland gelieferten Waren  auf  677 Millionen  Euro belief.