Politik | 02. Januar 2020

Mehr Vielfalt und weniger Pflanzenschutz

Von AgE
Einen Wegweiser für die Entwicklung der pflanzlichen Erzeugung in den kommenden Jahren verspricht sich das Bundeslandwirtschaftsministerium von seiner Ackerbaustrategie. Ministerin Julia Klöckner hat sie am 19. Dezember in Berlin vorgestellt.
Hochproduktiv und zugleich ressourcenschonend soll sich der Ackerbau weiterentwickeln: Das betonte Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner bei der Vorstelllung der Ackerbaustrategie ihres Hauses.
„Wir setzen den Rahmen und geben Impulse für einen Ackerbau, der hochproduktiv ist und zugleich ressourcenschonend”, sagte die Ministerin.
Zu den Kernpunkten zählt Klöckner eine Erweiterung der Kulturpflanzenvielfalt auf dem Acker. Ziel sei die Etablierung von mindestens fünfgliedrigen Fruchtfolgen auf jedem Betrieb bis Mitte des nächsten Jahrzehnts.
Fruchtfolgen erweitern
Als eine wesentliche Voraussetzung nannte die Ministerin, Märkte für zusätzliche Ackerkulturen zu erschließen: „Die Vielfalt muss im Supermarkt ankommen.” Der Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel soll laut Klöckner bis 2035 „deutlich reduziert” werden, die Düngung „bedarfsgerecht” erfolgen. Ein Schwerpunkt soll auf den Erhalt und die Erhöhung des Humusgehalts im Boden gelegt werden. Ziel sei es, „auf allen Ackerböden weniger Humus zu verlieren als hinzuzugewinnen”.
Offen für neue Züchtungstechniken
Mit Nachdruck sprach sich Klöckner für Offenheit gegenüber neuen molekularen Züchtungstechniken aus. Diese seien eine Antwort auf die notwendige Lösung von Zielkonflikten, indem sie die Bereitstellung klimastabiler und schädlingsresistenter Sorten erleichterten. „Wir müssen raus aus den ideologischen Gräben”, so Klöckner zu der kontroversen Diskussion über neue Züchtungsmethoden wie CRISPR/Cas.
In Politik und Verbänden löste die Ackerbaustrategie ein unterschiedliches Echo aus. Vertreter der Agrarwirtschaft äußerten sich zufrieden. Umweltverbände kritisierten eine fehlende Verbindlichkeit.
Klöckner setzt auf Freiwilligkeit und Anreize
Klöckner machte indes deutlich, dass sie zur Erreichung der Ziele auf Freiwilligkeit statt auf ordnungsrechtliche Vorgaben setzt. Es gehe es darum, bei der Umsetzung von Maßnahmen Anreize zu geben und Unterstützung zu leisten. Wichtig sei es, im Einzelfall Folgenabschätzungen vorzunehmen.
Mit der Ackerbaustrategie trage die Bundesregierung einem Auftrag aus dem Koalitionsvertrag Rechnung, erläuterte Klöckner und bekräftigte die Federführung ihres Ministeriums. Die Vorlage, die ausdrücklich als Diskussionspapier gekennzeichnet ist, soll in den kommenden Monaten mit den anderen Bundesressorts sowie insbesondere den beteiligten Verbänden beraten werden. Ob das Kabinett im Ergebnis die Ackerbaustrategie beschließen wird, ließ die Ministerin offen.
Sechs Leitlinien, zwölf Handlungsfelder
Neben sechs Leitlinien benennt die Ackerbaustrategie zwölf Handlungsfelder. Neben dem Bodenschutz, einer Erhöhung der Kulturpflanzenvielfalt und einer verbesserten Düngeeffizienz sind dies unter anderem eine Stärkung des Integrierten Pflanzenschutzes, eine Pflanzenzüchtung mit dem Ziel widerstandsfähiger und standortangepasster Sorten, die Nutzung der Digitalisierung, die Sicherung von Biodiversität in der Agrarlandschaft sowie die Entwicklung klimaangepasster Anbaukonzepte. Für jedes Handlungsfeld sind in der Strategie die Ausgangslage, Problemstellung, Zielkonflikte und Ziele benannt. Dazu sind insgesamt rund 50 konkrete Maßnahmen für die Umsetzung beschrieben.
Union zufrieden
Als „ein wichtiges und positives Signal an die Bauern” stufte der agrarpolitische Sprecher
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Albert Stegemann, die  Ackerbaustrategie des Landwirtschaftsminiseriums  ein. Sie zeige, „wie wir eine effiziente, nachhaltige und ressourcenschonende Landwirtschaft in Deutschland erhalten können”, erklärte Stegemann. Die Landwirte erwarteten Antworten und Perspektiven, wie die Politik zur Landwirtschaft stehe. Das liefere Bundesministerin Klöckner mit der Ackerbaustrategie. Stegemann zufolge kommt es im weiteren Prozess darauf an, vor allem die landwirtschaftlichen Praktiker eng einzubeziehen. Das diene nicht zuletzt dazu, dass die Strategie nicht von Institutionen oder Verbänden verwässert werde, „die in der Regel nur wenig Ahnung von Landwirtschaft haben”.
SPD vermisst „regulatorische Ideen”
Unzufrieden zeigte sich hingegen der Koalitionspartner. SPD-Agrarsprecher Rainer Spiering vermisst in der Ackerbaustrategie „regulatorische Ideen und zukunftsweisende Vorschläge für ein Mehr an klima- und umfeldfreundlicher Landwirtschaft”. Ein strategischer Ansatz sei kein Wunschkonzert, sondern ein Maßnahmenkatalog, wie man ein definiertes Ziel erreichen wolle. Für die SPD-Bundestagsfraktion sei klar, „wir machen eine ausschließlich auf Freiwilligkeit basierende Hochglanzpolitik des Ministeriums nicht mit”, betonte Spiering.
Kritisch  äußerte sich auch der landwirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Gero Hocker. Ministerin Klöckner fordere schonende Bodenbearbeitung und Humusaufbau, halte aber gleichzeitig am wissenschaftsfernen Glyphosat-Ausstieg fest. Für Hocker ist das keine Strategie, sondern Wunschdenken nach dem Motto: „Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt.” Die Landwirte seien es leid, „für Fachleute auf den ersten Blick als unsinnig und widersprüchlich erkennbare Vorgaben zu erfüllen”.
Grüne enttäuscht
Enttäuscht reagierten auch die Grünen. Nach Auffassung der zuständigen Sprecher der Bundestagsfraktion, Friedrich Ostendorff und Harald Ebner, fehlt es der Ackerbaustrategie an verbindlichen Zielen und konkreten Maßnahmen. Hart gingen sie mit der von Klöckner geforderten Offenheit gegenüber neuen Züchtungstechniken ins Gericht. Damit gehe die Ministerin „völlig unverblümt auf Lobbykurs”.
Unzulänglich ist die vorgelegte Ackerbaustrategie  nach Auffassung von Umweltverbänden. „Keine verbindlichen Ziele, keine konkreten Maßnahmen, kein Zeitplan”, kritisierte der Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Olaf Bandt.
Für den Naturschutzbund Deutschland (NABU) ist die Ackerbaustrategie zu unkonkret, um den Ackerbau in Deutschland entscheidend zu verbessern. NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger bescheinigte dem Bundeslandwirtschaftsministerium, die Probleme richtig analysiert und die Handlungsbereiche erkannt zu haben. Weitgehend offen bleibe jedoch, wie die Probleme konkret gelöst werden sollen.
Zustimmung in der Agrarbranche
Zustimmung findet das Papier des Bundeslandwirtschaftsministeriums  in der Agrarbranche. Die Ackerbaustrategie sei Dank der Vielfalt der Maßnahmen „ein guter Weg, um den Ackerbau moderner, effizienter und nachhaltiger zu gestalten”, erklärte der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied. Die Strategie zeige Perspektiven und Optionen zur Weiterentwicklung des Ackerbaus auf, „die auch wir als zielführend und zukunftsfähig erachten”. Unterstützung signalisierte der DBV-Präsident für die vorgesehene Verringerung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln. Diese müsse allerdings „mit Augenmaß und unter Berücksichtigung der guten fachlichen Praxis” vorgenommen werden.
Die Erweiterung des Kulturpflanzenspektrums nannte Rukwied begrüßenswert. Die Umsetzung erfordere flankierende Maßnahmen wie die Verbesserung des Ertragspotenzials und der Widerstandskraft von Leguminosen, das Vorhandensein entsprechender Pflanzenschutzmittel und der Absatzmärkte.
Der Deutsche Raiffeisenverband (DRV) unterstrich die Bedeutung marktwirtschaftlicher Lösungen für eine zukunftsfähige Agrarwirtschaft. DRV-Hauptgeschäftsführer Dr. Henning Ehlers begrüßte die Deutlichkeit, mit der Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner die Zielkonflikte aufzeige. Es reiche eben nicht aus, immer neue Maßnahmen per Verordnung durchzusetzen, wie vom Bundesumweltministerium gefordert werde, betonte Ehlers.
Es sei vermessen zu erwarten, dass sich die Landwirtschaft binnen kürzester Zeit umstellen könne, so der Hauptgeschäftsführer zu den unlängst vorgestellten Eckwerten des Bundesumweltministeriums für eine Ackerbaustrategie. Wenn beispielsweise eine fünfgliedrige Fruchtfolge angestrebt werde, müssten Pflanzenzüchter in die Lage versetzt werden, attraktive und leistungsfähige Sorten zu züchten, die am Markt vergleichbare Erlöse wie Weizen und Raps ermöglichten.
Wichtige Anliegen sieht der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter (BDP) in der Ackerbaustrategie berücksichtigt. „Wir halten es für den richtigen Schritt, dass der Pflanzenzüchtung in diesem Papier eine wichtige Rolle zuerkannt wird und unter anderem der Anwendung neuer Züchtungsmethoden und der Forschungsförderung hohe Bedeutung zukommt”, sagte BDP-Geschäftsführer Dr. Carl-Stephan Schäfer.
Der Präsident des Industrieverbandes Agrar (IVA), Dr. Manfred Hudetz, bescheinigte dem Bundeslandwirtschaftsministerium, sowohl Zielkonflikte als auch begrenzende Faktoren offen anzusprechen und konkrete Maßnahmen zur Lösung zu benennen.