Tierhaltung | 12. Dezember 2019

Mehr auf die Klauen achten

Von Heinrich von Kobylinski
Mehr als 280 Personen waren nach Kehl gekommen, um an der ersten deutsch-französischen ELENA-Milchviehtagung teilzunehmen. Dem Thema Klauengesundheit wurde breiter Raum eingeräumt. Dazu trugen mehrere Expertinnen vor.
Fünf Punkte sind’s, die man bei der Klauengesundheit beachten muss, so Dr. Andrea Fiedler: externe Biosicherheit (kein Rind mit Klauenkrankheit verkaufen), interne Biosicherheit (kein Rind mit Klauenkrankheit zukaufen), frühzeitige Erkennung (Dokumentation), Verminderung des Keimdrucks, Ziele festlegen und Erfolg überwachen.
In den vergangenen Jahren ist die durchschnittliche Milchleistung der Kühe erheblich gestiegen. In der Folge sind auch die Ansprüche der Kühe gewachsen, vor allem an die Fütterung, das Stallklima und die Hygiene. Prof. Barbara Benz von der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen-Geislingen beschrieb zunächst den Tagesablauf einer gesunden Kuh und zeigte auf, wo im Stall sie sich wie lange aufhält. Rund 50 Prozent ihrer Zeit, also zwölf Stunden pro Tag, verbringt die Kuh normalerweise in der Liegebox. Weitere 25 Prozent entfallen auf den Fressbereich. Das Laufen, der Melkbereich und das „sonstige  Stehen” umfassen zusammen ebenfalls 25 Prozent. Dabei zeigten die Messungen, dass die Kuh im Schnitt nur 43 Minuten geht, über drei Stunden steht und die restlichen zwei Stunden im Melkbereich verbringt.
Die Risikofaktoren
Immer, wenn die Tierzuchtexpertin bei Milchkühen die Ursachen für Klauenerkrankungen finden will, beginnen ihre Untersuchungen im Liegebereich. Neben der Hygiene sind es die mechanischen Überbelastungen, die das Feld für Klauenprobleme vorbereiten.
Im Liegebereich geht es zunächst um das Platzangebot: Kann die Kuh ihre Vorderbeine nicht ausstrecken, muss sie verquer und unbequem liegen. Die Folge ist, dass sie in der Nachbarbox abkotet, weniger lang in der Liegebox liegt und dafür länger steht oder wandert, beides bringt Unruhe und eine zusätzliche Belastung fürs Fundament. Prof. Benz berichtete von Problembeständen, in denen die Kühe jeden Tag doppelt so lange  stehen wie sonst üblich.
Dabei muss die Kuh über ihre Klauen zehnmal mehr Gewicht pro Quadratzentimeter abstützen als der Mensch über seinen Fuß. Das Rind ist kein Ballengänger, sondern ein  Zehengänger. Trotzdem wird die Gewichtslast vom Klauenbein (als Knochen) auf den Hornschuh nicht direkt übertragen. Zwischen den beiden Elementen befindet sich ein anfälliger Dämpfungs- und Dehnapparat. An der Innenseite des Hornschuhs befindet sich die empfindliche Lederhaut, in der sich die meisten Wachstumszellen für die Hornschicht befinden.
Die Abdämpfung des Gewichts übernehmen Fettpolster unterhalb des Klauenbeins. Sie werden unter der Belastung gequetscht. Gleichzeitig kommt es an anderer Stelle zu einer  Dehnung: unterhalb der schrägen Vorderseite des Hornschuhs, der quasi als Tragrahmen ausgestaltet ist. In dem Maß, wie das Haltegewebe dort gedehnt wird, erfolgt ein Druck auf die Fettpolster. Alle Beeinträchtigungen des Zwischenraumes sind problematisch und schmerzhaft.
Hygiene bei Hitze besonders wichtig
Auch im Fressbereich können bauliche Fehler zu erheblichen Zusatzbelastungen für die Kühe führen. Mit Nachdruck forderte Prof. Benz Futtertische oder Fressstände, die 20 bis 40 cm höher liegen als die übrige Standfläche der Rinder. Wird das nicht berücksichtigt, müsste die Kuh zur gleichmäßigen Gewichtsabstützung der Kopf- und Halspartie ein Vorderbein nach vorn stellen (Scherenstellung). Die Länge des Fressstandes kann für die Hinterhand des Rindes von besonderer Bedeutung sein: Ausdrücklich warnte die Tierzuchtexpertin vor fehlendem Stehkomfort, besonders wenn die Hinterhand wegen einer Stufe niedriger steht als die Vorderhand (Perching). 

 
Gerade weil bei den Rindern im Lauf der Züchtung der größere Teil der Belastung von der Vorderhand zur Hinterhand wanderte, sind die Anforderungen für solche Kühe besonders hoch, wenn sie wegen der Ungleichheit ihres Standplatzes eine zusätzliche Gewichtsverlagerung nach hinten ertragen müssen. Ohnehin beginnen Klauenerkrankungen meist an der Hinterhand und an den Außenklauen.
Dazu kommt: Kot, Urin und andauernde Nässe greifen den Hornschuh an und machen ihn porös. Das erleichtert das Eindringen von Keimen. „Viele von ihnen sind anaerob, das heißt sie flüchten vor dem Sauerstoff und dringen immer tiefer ein”, erläuterte dazu die Tierärztin und Klauenspezialistin Dr. Andrea Fiedler aus München.
Ein Weichbodengänger
„Rinder sind Weichbodengänger", sagt Prof. Benz. Das Bild zeigt klar: Die Kalbinnen bevorzugen die weiche, bewachsene Wegmitte zum Gehen.
Ausdrücklich warnte sie vor dem Betrieb des Faltschiebers während der Mahlzeiten. Nicht nur weil die Bewegung die fressenden Kühe stört, sondern wegen der zusammengeschobenen Kotwelle, die dann für die Klauen ein Güllebad verursacht. Trockene Verhältnisse seien ein Beitrag zur Verminderung von Klaueninfektionen und auch von Ammoniakemissionen.
Dr. Fiedler sandte an die Tierhalter den dringenden Appell, den Klimawandel bei der Stallhaltung grundsätzlich noch mehr zu beachten. Mechanische Belastung und fehlende Hygiene führen besonders bei Wärme zur Immunsuppression. Standplätze und Laufgänge mit viel Gülle könnten dann das Befallsrisiko wesentlich erhöhen.
„Die Kuh ist eigentlich ein Weichbodengänger”, betonte Prof. Benz, weshalb sie den Einsatz von nachgiebigem Bodenmaterial empfahl, wo immer möglich. Versuche mit Gummimatten im Melkstand führten schon nach vier Monaten zu verbesserten Klauenausformungen. Stufen an den Laufgängen, zu große Spaltenbodenabstände und hervorstehende Schrauben sind ebenso zu vermeiden wie die Bakterienübertragung durch verschmutzte Stiefel. Wegen der Ansteckungsgefahr, beispielsweise durch Mortellaro, warnte Prof. Benz auch vor dem Viehzukauf.