Pflanzenbau | 18. September 2014

Lebende Bomber mit Virenfracht im Anflug

Von Dr. Friedrich Merz, Regierungspräsidium Stuttgart
Nach dem Auflaufen im Herbst besteht für die Keimlinge des Wintergetreides die Gefahr, durch verschiedene Vektoren mit Viren infiziert zu werden. Dies kann in Abhängigkeit vom Auftreten der Überträger und der Witterung zu mehr oder weniger großen Ertragsausfällen führen.
Bleiche Getreideblattlaus (Metopolophium dirhodum)
Die ersten Symptome im Herbst sind nicht leicht festzustellen. Zur Abklärung eines Verdachts kann eine Probe an das Landwirtschaftliche Technologiezentrum Augustenberg geschickt werden. Im Getreide kommen insektenübertragbare und bodenbürtige Viren vor. Die Tabelle gibt eine Übersicht.
Insektenübertragbare Viruskrankheiten
Die Gelbverzwergungsviren (Gersten- [BYDV] und Getreidegelbverzwergungsvirus [CYDV]) werden durch verschiedene Getreide-Blattlausarten übertragen. Anhaltend warmes Wetter in dem Zeitraum von Ende September bis Mitte Oktober begünstigt den Blattlausflug und eine Übertragung der Viren auf die Wintergerstenkeimlinge. Auch früh gesäter Winterweizen kann infiziert werden. Die Blattläuse übertragen die Viren von befallenem Ausfallgetreide oder Maispflanzen.
Infiziertes Ausfallgetreide zeigt in der Regel eine gelbe Blattverfärbung. Infizierte Maispflanzen haben rötlich verfärbte Blätter. Befallene Getreidekeimlinge sind gelb verfärbt und bleiben im Wachstum zurück. Dieses Befallsymptom kann schon im Herbst beobachtet werden. Deutlicher ist der nesterartig auftretende Befall im Frühjahr zu sehen. Befallene Pflanzen sind gelb verfärbt, bleiben klein und bestocken sich verstärkt. Sie bilden keine oder nur verkürzte Halme mit tauben Ähren aus.
Die Verzwergungsviren, nach neueren Erkenntnissen unterteilt man sie in ein Weizen- (WDV) und ein Gerstenverzwergungsvirus (BYD), werden durch eine Zwergzikade (Psammotetix alienus) auf Gersten- oder Weizenkeimlinge übertragen. Die Übertragung erfolgt von Ausfallgetreide oder von angrenzenden Grasflächen und ungepflegten Böschungen. Die ersten Befallssymptome ähneln denen der Gelbverzwergungsviren (Vergilbung, grüne bis gelbe Flecken, Verzwergung, verstärktes Bestocken, keine Ähren oder Ähren mit Kümmerkorn). Nach einer Infektion im Herbst sterben die Gersten- oder Weizenkeimlinge oft über den Winter ab.
Bodenbürtige Viruskrankheiten
Zur zweiten bedeutenden Gruppe von Viruskrankheiten des Getreides gehören die Gersten-, Weizen- und Getreidemosaikviren. Diese Viren werden, im Unterschied zu den beiden zuvor genannten Virusarten, durch einen Bodenpilz übertragen. Sie sind also ortsfest über viele Jahre im Boden vorhanden.
Das Schadbild der Gerstenmosaikviren, länglich geformte flächige Befallsherde mit vergilbten Keimlingen in Bearbeitungsrichtung, ist im zeitigen Frühjahr gut zu sehen. Das Ausmaß des Schadens durch diese Krankheit hängt von der Witterung ab. Ein feuchter Herbst begünstigt die Übertragung durch die Bodenpilze. In einem kalten Winter können die durch den Virusbefall geschwächten Pflanzen verstärkt auswintern. Ist das Wetter im Frühjahr anhaltend kühl und feucht, vermehren sich die Viren stark, und die Gerstenpflanzen reagieren deutlich mit geringerem Wurzelwachstum und absterbenden Blättern. Ertragsausfälle bis zu 50 % sind möglich. In einem trockenen und warmen Frühjahr dagegen wachsen die Befallssymptome schnell aus, und die Pflanzen können einen normalen Ertrag bringen.
Insekten als Vektoren sicher ausschalten
Es ist davon auszugehen, dass Quellen für die durch Blattläuse und Zwergzikaden übertragbaren Viren in jedem Jahr vorhanden sind. Auch in diesem Jahr zeigt das Ausfallgetreide Vergilbungserscheinungen, und im Mais können rot verfärbte Blätter beobachtet werden. Gleichzeitig sind im Ausfallgetreide und auch im Mais Blattläuse zu finden. Diese Anzeichen deuten darauf hin, dass in diesem Herbst mit einer Übertragung von Viren auf Getreidekeimlinge gerechnet werden muss. Um Schäden durch diese Viruskrankheiten zu vermeiden, werden die folgenden Maßnahmen empfohlen:
  • Ausfallgetreide rechtzeitig mit geeigneten Bodenbearbeitungsmaßnahmen einarbeiten. Der Einsatz eines Totalherbizides zu diesem Zweck muss so frühzeitig erfolgen, dass das Ausfallgetreide vor der Aussaat oder dem Auflaufen des Wintergetreides sicher abgestorben ist. Dadurch wird den Virusvektoren die Nahrungsgrundlage entzogen.
  • Frühsaaten von Wintergerste, vor dem 20. September, in wärmeren Gebieten vor dem 30. September, sind zu unterlassen.  In Jahren mit starkem Virusbefall konnte immer festgestellt werden, dass die später ausgesäte Wintergerste keinen oder einen deutlich geringeren Virusbefall aufwies. Die neueren Gerstensorten reagieren auf eine Spätsaat in der Regel nicht mit Mindererträgen. Vor allem in der Nachbarschaft von noch stehendem Ausfallgetreide, Mais oder Grünland oder ungepflegten Grasflächen ist es ratsam, sich an diese bewährte Regel zu halten.
  • Aus denselben Gründen sind auch Frühsaaten von Weizen nicht ratsam.
  • Nach dem Auflaufen des Wintergetreides muss bei anhaltend warmem Herbstwetter verstärkt auf Blattläuse und Zikaden kontrolliert werden.
Auch in diesem Jahr stehen keine Beizmittel mit einem insektiziden Wirkstoff gegen die Virusvektoren zur Verfügung. Eine direkte Bekämpfung der Blattläuse als Virusvektoren ist im Herbst nur noch im Spritzverfahren möglich. Für diese Spritzungen gibt es noch keinen gesicherten Bekämpfungsschwellenwert. Als Richtwert kann jedoch angenommen werden, dass ab 20 % von Blattläusen besiedelten Pflanzen eine Bekämpfung sinnvoll ist. Bei Frühsaat und besonders in gefährdeten Lagen kann schon ab 10 % besiedelten Pflanzen eine Behandlung notwendig werden. Für die Bekämpfung der Zwergzikade ist kein Bekämpfungsschwellenwert bekannt.
Zugelassen für die Bekämpfung von Blattläusen als Virusvektoren im Herbst ab dem Zwei-Blatt-Stadium des Getreides sind zum Beispiel die bienenungefährlichen B1-Mittel Fastac SC Super Contact, Kaiso Sorbie, Karate Zeon, Mavrik und Trafo WG, sowie die B2-Mittel Bulldock, Decis flüssig, Decis forte und Sumicidin Alpha EC.
Die Schwierigkeit bei der Anwendung von Insektiziden gegen Virusvektoren besteht darin, den richtigen Bekämpfungstermin zu ermitteln. In einem jungen Getreidebestand ist ein Befall durch Blattläuse nur schwer festzustellen. Am besten können die Blattläuse bei warmer Witterung an den Getreidekeimlingen beobachtet werden. Zu beachten ist, dass nur gezielte Bekämpfungsmaßnahmen gegen einen festgestellten Befall erfolgversprechend sind. Routinebehandlungen in Tankmischung mit anderen Pflanzenschutzmitteln können wegen der begrenzten Wirkungsdauer der Insektizide im Feld ohne Wirkung bleiben und fördern das Auftreten von resistenten Blattläusen. Deshalb ist es ratsam, auch den örtlichen Warndienst des Pflanzenschutzdienstes zu beachten.
Wie bereits erwähnt, werden die Mosaikviren durch einen Bodenpilz übertragen.
Infektionen durch Bodenpilze vorbeugen
Es ist davon auszugehen, dass dieser Pilz und die Gerstenmosaikviren fast überall dort vorhanden sind, wo Wintergerste angebaut wird. Eine direkte Bekämpfung ist nicht möglich. Deswegen können Infektionen nur vermieden werden, wenn, insbesondere auf schweren Böden, eine weite Fruchtfolge eingehalten und nicht zu früh gesät wird, sowie wenn resistente Gerstensorten zum Anbau kommen. Die resistenten Sorten können jedoch seit einigen Jahren, insbesondere im Norden Baden-Württembergs, durch ein neues Virus, den sogenannten Typ 2, befallen werden. Dieser breitet sich langsam weiter aus. Er ist weniger aggressiv und verursacht keine so großen Ertragsausfälle. Wenn Pflanzen einer resistenten Sorte beim letzten Anbau auf der Fläche Symptome gezeigt haben, muss in diesem Jahr eine Sorte mit Resistenz auch gegen den Typ 2 gewählt werden.
Die neuesten Informationen über geprüfte und empfohlene Wintergerstensorten stehen  im Internet unter www.ltz-augustenberg.de > Pflanzenbau >  Sorteninformationen. Danach sind alle empfohlenen zwei- und mehrzeiligen Wintergerstensorten resistent gegen den Typ 1, ausgenommen die Sorten „Anisette” und „Matros”.