Tierhaltung | 03. Juli 2020

Laser statt Zahnbürste

Von Lena Höfer
In der Pferdeklinik Tappendorf, Kreis Rendsburg-Eckernförde, wird von Dr. Jörg-Peter Belz die Pferdezahnheilkunde maßgeblich weiterentwickelt. Der Einsatz von Lasern bei Karies, Frakturen und Entzündungen eröffnet völlig neue Möglichkeiten.
Dr. Jörg-Peter Belz nutzt Laser bei seinen Zahnbehandlungen. Durch den Einsatz von Endoskopen können die Tierärzte heute schon viel mehr Probleme im Pferdemaul behandeln.
Dr. Jörg-Peter Belz ist es wichtig, nicht einfach einmal im Jahr auf die Zähne zu gucken. Manche Pferde brauchen deutlich kürzere Abstände, andere können mit längeren leben. In der Pferdeklinik Tappendorf wird daher für jedes Pferd individuell ein Behandlungsintervall festgelegt. Der Chef selbst arbeitet nur noch stationär, aber seine Kolleginnen führen die einfacheren Behandlungen auch im Stall durch. Wird die Behandlung aufwendiger, führt aber kein Weg an einem Besuch in der Klinik vorbei. Dort gibt es inzwischen viele spezialisierte Geräte, die nicht ins Auto passen, es können auch Behandlungen unter Vollnarkose stattfinden und das nötige Personal ist vor Ort.
Als Belz Anfang der 1990er-Jahre Tiermedizin studierte, war das Thema Zahnheilkunde beim Pferd praktisch nicht existent. Nach und nach wurden dann neue  Behandlungsmethoden entwickelt. Eine wichtige Neuerung war die Einführung der endoskopischen Zahnbehandlung. „Das war ein Quantensprung. Plötzlich konnten wir Sachen sehen, von denen wir vorher nichts geahnt haben”, berichtet  Belz. Konnten seine Kollegen und er bei der herkömmlichen Untersuchung mit Kopflampe und Maulgatter früher nur die vordersten Backenzähne sowie die Flucht der Zahnreihe sehen und den Rest mittels Abtasten beurteilen, gibt es nun die Möglichkeit, mithilfe eines speziellen Maulhöhlenendoskops jeden Zahn und dessen Zahnhals von allen Seiten zu begutachten.
Endoskop zeigt Karies
Der Kiefer des Pferdes ist lang und ohne Endoskop schwer einsehbar.
Sie entdeckten Ursachen für Zahnprobleme, die vorher gar nicht im Bewusstsein gewesen waren. Ein Beispiel dafür sind Zahnfleischtaschen mit Futtereinklemmungen. Pferdezähne stehen nicht in einem geraden Winkel zueinander. Stattdessen sind sie oben an der Kaufläche enger als unten. Dadurch entstehen bei leichten Verschiebungen in der Längsreihe kleine Zahnzwischenräume, sogenannte Diastemen. Durch den großen Druck beim Kauen wird dort Futter hineingeschoben und eingekeilt. Es bilden sich entzündete Zahnfleischtaschen. Im schlechtesten Fall wird das Futter so weit in den Kiefer geschoben, dass dieser angegriffen wird.
Warum manche Pferde diese Verschiebungen in der Längsreihe der Zähne haben, ist noch nicht ganz klar. Eine genetische Veranlagung gibt es auf jeden Fall, daher wäre es sinnvoll, diese in der Zucht zu berücksichtigen. Denn das Ergebnis kann desaströs sein: Das Pferd hat starke Schmerzen und kann nicht richtig kauen. „Früher sind die Tiere daran verhungert”, erzählt Belz.
Heute vergrößert er zunächst mit einer speziellen Fräse die Spalte, sodass die Zähne zur Kaufläche hin nicht mehr enger werden. So kann das Futter zwar rein, aber auch raus. Dann kann man die Stelle reinigen. Oft sind aber bereits entzündliche Prozesse im Gang. Sitzen diese am Ende eines bis zu 10 cm langen Backenzahns oder gar im Kiefer, gab es bisher keine Möglichkeit, diese zu behandeln.  Belz nutzt dafür seit einigen Jahren einen Laser.
Dieser wird schon lange auch in der Veterinärmedizin eingesetzt, aber eben nicht in der Zahnheilkunde. Der Diodenlaser arbeitet auf der Pigmentebene – er greift alles an, was dunkel ist. In diesem Fall die entzündlichen Prozesse. Nachdem der Bereich gelasert wurde, setzt der Tierarzt eine Füllung. Allerdings funktioniert dies nur bei jüngeren Pferden, denn bei älteren sind die Zähne meist schon zu kurz und die Füllungen fallen wieder heraus. In einem solchen Fall wird der Zahn mit der Fräse zur Kaufläche hin nur abgerundet, damit an dieser Stelle der Druck reduziert wird. Wie in der Humanmedizin nutzt auch der Tierarzt für Füllungen einen Zweikomponenten-Kunststoff.
Ziehen möglich, aber nicht wünschenswert
Der Backenzahn eines Pferdes kann bis zu 10 cm lang werden.
Ähnliche Probleme entstehen auch bei fehlenden Zähnen. Nach Ansicht von Belz ist die Extraktion alles andere als wünschenswert, denn fehlt ein Zahn, wird das Zahnfach zusammengedrückt. So entsteht eine kürzere Kauleiste mit stark gewinkelten Zähnen, die dann wieder zu entzündeten Diastemen neigen.
Die Möglichkeit, einen Pferdezahn zu ziehen, ist noch relativ jung. Das Problem bestand darin, im richtigen Winkel zu arbeiten. Pferdezähne sind sehr groß, und lange Zeit war die einzige Möglichkeit, durch den Kiefer zu gehen und die Zähne nach oben herauszuhauen. Manchmal hat das geklappt, manchmal ist dabei der ganze Kiefer gebrochen. Heute gibt es effektive Zangen, für jeden Zahn eine passende. Die Werkzeuge sind zwar sehr teuer – etwa 40000 Euro kostet der ganze Satz –, doch nun ist es möglich, eine Extraktion durchzuführen. Dafür schiebt der Tierarzt die Zähne ein paar Millimeter auseinander und setzt dann die Zange an. Nun folgt Geduldsarbeit, denn es muss etwa eine Stunde lang am Zahn gewackelt werden, bis er sich herausziehen lässt.
Bei Zähnen im Oberkiefer geht es allerdings nicht so „einfach”. Dort gibt es pro Zahn drei Wurzeln, die gespreizt im Kiefer liegen. Daher geht Belz hier mit wassergekühlten Fräsen an die Arbeit. So wird der Zahn in seinem Fach zerteilt und kann in einzelnen Fragmenten gezogen werden. Noch relativ neu ist auch die Möglichkeit, eine kleine Hülse durch die Wange zu schieben, sodass direkter Druck ausgeübt werden kann. 
"Bohren" mit dem Laser
Doch  Belz sieht die Zukunft an einer anderen Stelle. „Man muss früher ansetzen, damit Zähne gar nicht mehr gezogen werden müssen”, erklärt er.  Der häufigste Grund für das Ziehen sind Frakturen. Früher dachte man, dass die Pferde auf etwas Hartes beißen und die Zähne dabei brechen. „Das stimmt aber nicht”, weiß Belz und erklärt: „Pferde sind sehr sensibel im Maul und merken, wenn sie auf etwas Hartes beißen. Karies ist der wahre Grund.” Ohne Endoskop konnte man das gar nicht sehen, und vielen Fachleuten ist bis heute nicht klar, dass Pferde Karies haben können.
Dabei ist der Unterkiefer deutlich seltener als der Oberkiefer betroffen. Es gibt Pferde, bei denen sich mit sechs oder sieben Jahren schon Probleme zeigen, im klassischen Fall ist das Tier aber schon 17 oder 18 Jahre alt. Karies kann sich festsetzen und bis zur Zahnwurzel fressen. Im schlechtesten Fall zerspringt der Zahn. Hier will  Belz eingreifen – was bisher unmöglich war und immer noch nicht einfach ist, denn im Zahn ist es eng. Die  Nerven dürfen nicht verletzt werden, denn sonst geht der ganze Zahn kaputt. Mit einem Bohrer kann also nicht gearbeitet werden. Doch bevor eine Füllung gemacht werden kann, muss die Karies entfernt werden.
Hier kommt wieder der Laser zum Einsatz. Diese Methode hat Belz etwa zeitgleich mit einem Kollegen in England entwickelt. Der Laser wird am Pferd bisher überwiegend zur Tumorbehandlung und in der Augenheilkunde genutzt. In der Humanzahnmedizin wird er bereits für schmerzfreies „Bohren” eingesetzt. Da Nerven hell und Karies dunkel sind, ist der Einsatz ungefährlich möglich. Die Nerven werden nicht angegriffen. „Soweit es vertretbar ist, wird gefräst und dann eben gelasert. Das machen wir seit zwei Jahren so, mit sehr gutem Erfolg”, freut sich Belz.
Wenn viele Zähne befallen sind, kann eine Behandlung bis zu 1000 Euro kosten. Dann ist der Tierarzt aber auch zwei Tage lang beschäftigt. „Bei den Pferdehaltern wächst die Bereitschaft, für einen alten Patienten aufwendigere Maßnahmen durchzuführen. Dadurch haben wir erst die Möglichkeit, die Behandlung zu machen”, sagt  Belz. Andererseits sind innovative Methoden auch ein Grund, warum die Pferde inzwischen so alt werden. Heute ist ein Zahnproblem im seltensten Fall ein Grund, ein Pferd einzuschläfern. Früher war das anders.
Vor zwei Jahren hat Belz mit dieser Methode die ersten Füllungen gemacht. Seitdem musste er nur zwei dieser Zähne doch noch ziehen. Diese waren schon zu zersetzt, um sie zu retten. „Daher habe ich bei zu kaputten Zähnen ein Ausschlusskriterium eingeführt”, berichtet er, denn eine Füllung kann keine Stabilität erschaffen.
Zahnprobleme können heute gelöst werden
Mit dem innovativen Einsatz von Lasern kann Belz auch Wurzelentzündungen behandeln, die durch Infektionen oder Karies entstanden sind. In diesem Fall geht er durch die Pulpenhöhlen und zieht den entzündeten Nerv. Das geht allerdings erst bei einem älteren Pferd, denn dann sind die Pulpenhöhlen nicht mehr miteinander verbunden. Liegt die Entzündung an der Wurzelspitze, kann er auch durch den Kiefer gehen und von unten lasern. Eine gängige Methode ist heute auch, den Zahn zu ziehen, zu präparieren und wieder einzusetzen. Diese Reimplantation geht aber wieder nur bei manchen Zähnen und oft wachsen sie nicht wieder an.
Kommen Kunden zur Zahnbehandlung, schlägt der Chef der Tierklinik seine innovativen Behandlungsmethoden vor. „Die meisten sagen ja, viel zu verlieren gibt es nicht. Denn die Alternative ist meist der Verlust des Zahns”, erzählt Belz und fügt hinzu: „Wir haben einen Ansatz gefunden, mit dem ich die Extraktionen verhindern kann. Den möchte ich nun gerne weiterentwickeln.” Dafür plant er, Veröffentlichungen, Vorträge und Weiterbildungen anzubieten. Damit es bald mehr Pferde mit einem voll funktionstüchtigen Gebiss gibt.
Einmal jährlich Zähne kontrollieren
Dass die Zähne eines Pferdes einmal im Jahr kontrolliert und gegebenenfalls geraspelt werden, ist inzwischen Standard. Der Bedarf nach regelmäßiger Behandlung ist durch den Aufbau der Kauflächen bedingt. Diese sind nämlich im Bereich der Backenzähne beim Ober- und Unterkiefer nicht gleich groß. Der Unterkiefer ist etwas schmaler. Außerdem sind die Kauflächen nicht gerade, sondern von oben innen nach unten außen geneigt. Das stört das Pferd natürlicherweise nicht, denn es kaut anders als der Mensch mit einer drehenden Mahlbewegung. Dabei werden die Zähne allerdings abgeschliffen und es entstehen Zahnspitzen. Diese werden dann zum Problem, wenn durch Gebiss und Nasenriemen die Schleimhäute an die Zähne gedrückt werden. Verletzungen können die Folge sein.
Bei der Routineuntersuchung der Zähne wird überprüft, ob sich Zahnspitzen gebildet haben. Ist das der Fall, werden sie weggeraspelt. Manche Tierärzte bieten diese Behandlung in ihrem Alltag mit an, andere haben sich darauf spezialisiert. Viele dieser Spezialisten sind in der TFZP (tierärztliche Fachgruppe für Zahnheilkunde des Pferdes) organisiert.