Politik | 22. Juli 2021

Landwirtschaft soll bis 2035 klimaneutral sein

Von AgE
Mit dem von der EU-Kommission vorgestellten Gesetzespaket „Fit für 55” wird auch die Landwirtschaft zur Erreichung der EU-Klimaziele in die Pflicht genommen.
Mit „Fit für 55” sollen in der EU die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 reduziert werden. Instrument dazu ist der „Green Deal”.
Laut dem am 14. Juli in Brüssel vorgelegten Verordnungsvorschlag für Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF) soll der EU-Agrarsektor bereits im Jahr 2035 klimaneutral aufgestellt sein. Neben LULUCF soll über weitere Maßnahmen in den Bereichen Landnutzung, Klima, Energie, Verkehr und Steuern die Reduzierung der Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 ermöglicht werden. Die Verringerung der Emissionen im kommenden Jahrzehnt sei „ein entscheidender Schritt” auf dem Weg Europas, bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent der Welt zu werden, so die Kommission.
Konkret ist für die LULUCF-Verordnung bis 2030 ein EU-Gesamtziel für den CO2-Abbau durch natürliche Senken im Umfang von 310 Millionen Tonnen (Mio.t) an CO2-Emissionen festgelegt. Den Kommissionsbeamten zufolge sind dies rund 15 Prozent mehr als die derzeitige Vorgabe von ungefähr 268 Mio.t.
Dreistufiger Ansatz
Dazu schlägt die Kommission einen dreistufigen Ansatz für die Zeiträume bis 2025, von 2026 bis 2030 und von 2031 bis 2035 mit aufeinander aufbauenden Zielvorgaben für die Mitgliedstaaten vor. Zunächst sollen die derzeitigen Vorschriften bis 2025 in Kraft bleiben. Ab 2026 bis 2030 werden höhere Zielvorgaben zum Erhalt der CO2-Senken in den jeweiligen Mitgliedstaaten für den Netto-CO2-Abbau gemäß dem geforderten Gesamtziel festgesetzt. Außerdem sollen die Compliance-Vorschriften erheblich vereinfacht werden.
Die Brüsseler Behörde erinnert ferner daran, dass die Menge an CO2, die europäische Wälder und Böden aus der Atmosphäre aufgenommen haben, zwischen 2013 bis 2018 um etwa 20 Prozent zurückgegangen ist. Die Kommission zeigt sich aber zuversichtlich, dass die Wiederherstellung und der Ausbau der CO2-Senken in den nächsten zehn Jahren möglich sei; dies setze jedoch ein sofortiges, entschlossenes Handeln voraus.
Daher wird angeregt, die LULUCF-Verordnung zu überarbeiten, um den Mitgliedstaaten stärkere Anreize für die Vergrößerung und Verbesserung ihrer natürlichen CO2-Senken im Einklang mit dem Europäischen Klimagesetz zu bieten und die derzeitigen Vorschriften weniger komplex zu gestalten.
Gutschriften erwerbbar
Dazu sieht der Vorschlag vor, einen stärker integrierten politischen Rahmen für alle Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Landnutzung (AFOLU) in Form eines einzigen klimapolitischen Instruments für die Zeit nach 2030 zu schaffen.
Sollte es einzelnen EU-Staaten nicht möglich sein, ihre Ziele zu erreichen, soll es diesen ermöglicht werden, den Erwerb von Gutschriften aus Senken von Mitgliedstaaten, die ihre Ziele übertroffen haben, zu erwerben. Darüber hinaus soll auch die Löschung eines Teils ihrer jährlichen Emissionszuweisungen im Rahmen der Lastenteilungsverordnung erlaubt sein. Die Lastenteilungsverordnung soll sicherstellen, dass alle Mitgliedstaaten einen gerechten Beitrag zu den Klimaschutzmaßnahmen der EU leisten. Dementsprechend verfolgt die Kommission das Ziel, die nationalen Belastungen so zu verteilen, dass für Mitgliedstaaten mit einem höheren Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf auch höhere Emissionsreduktionsziele gelten. Sollten die jeweiligen Ziele eines Mitgliedstaats nicht erreicht werden, soll auch die Nutzung ihres rechtlich festgelegten Anteils an einem allgemeinen Flexibilitätsmechanismus möglich sein. Dieser bietet den Mitgliedstaaten bis zu einer bestimmten Grenze mehr Freiheiten, sofern das EU-Gesamtziel des Abbaus von 310 Mio. t erreicht wird.
EU-Landwirtschaft braucht Klarheit
Die EU-Ausschüsse der Bauernverbände (COPA) und ländlichen Genossenschaften (COGECA) nahmen das Ziel der Kommission, bis zum Jahr 2030 insgesamt 310 Mio.t CO2-Äquivalente einzusparen, zur Kenntnis. Sie machten aber zugleich deutlich, dass die Land- und Forstwirtschaft Klarheit darüber brauche, wie die Kommission diese Ziele vor Ort erreichen wolle.
Modelle für „Carbon Farming” entwickeln
Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied, forderte, dass konkrete Geschäftsmodelle für ein „Carbon Farming”, also den gezielten Humusaufbau im Boden, entwickelt werden müssten. Um Klimaneutralität erreichen zu können, sei ein gesamtwirtschaftlicher Ansatz für Kohlenstoffsenken und deren Inwertsetzung erforderlich. Im Bereich der Emissionen müsse für Methan aus der Tierhaltung dringend eine Neubewertung seiner Wirkungsweise als kurzlebiges Treibhausgas erfolgen, bekräftigte der Bauernpräsident eine Forderung des Verbandes.
Unrealistische Zielsetzung
Der Kommissionsvorschlag zu LULUCF mit dem Ziel, Kohlenstoffsenken über 310 Mio.t CO2 für die gesamte EU ab dem Jahr 2026 vorzusehen, würde laut DBV für Deutschland ein Senkenziel von etwa 25 Mio.t CO2 jährlich bedeuten. Diese Zielsetzung werde von Fachexperten für unrealistisch gehalten, weil der deutsche Wald aufgrund von Klimaschäden und Altersstruktureffekten nach 2025 keine große Senke mehr bilden könne, so der Bauernverband.
Die EU-Kommission schlage zudem vor, die Emissionen aus LULUCF und der Landwirtschaft ab 2031 gemeinsam zu bilanzieren. Ab 2035 solle dieser gesamte Sektor klimaneutral sein und danach negative Emissionen aufweisen. Zur Neubewertung von biogenem Methan als Treibhausgas stellte der DBV fest, dass dieses innerhalb von etwa zwölf Jahren zu CO2 abgebaut werde. Dieses CO2, das sich aus Methan aus der Tierhaltung bilde, sei aber zuvor über das Pflanzenwachstum aus der Atmosphäre entnommen worden. Durch biogenes Methan entstehe demnach kein zusätzlicher Treibhausgaseffekt. Somit sei laut DBV eine langfristige Stabilisierung der landwirtschaftlichen Methanemissionen hinreichend, um dem Ziel der Klimaneutralität zu entsprechen.
Von der Leyen wirbt für „Fit für 55”
Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, hat bei der Vorstellung des EU-Klimapakets „Fit für 55” erneut die Bedeutung des Green Deal zur Erreichung der Klimaziele der EU hervorgehoben. Das Maßnahmenpaket enthalte essenzielle Vorschläge, wie man die Wirtschaft dekarbonisieren und somit die Klimaziele bis 2030 erreichen könne, erklärte die Behördenchefin am 14.Juli  in Brüssel. Mit wesentlichen Teilen von „Fit für 55” ist unter anderem über den Verordnungsvorschlag für Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF), die Überarbeitung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED III) sowie die neue EU-Forststrategie auch die Land- und Forstwirtschaft in der Europäischen Union betroffen.
Der für den Green Deal zuständige Exekutiv-Vizepräsident Frans Timmermans unterstrich, dass die Gemeinschaft im Kampf gegen die Klima- und die Biodiversitätskrise vor einer alles entscheidenden Dekade stehe. Die Europäische Union habe sich unter anderem mit der Farm-to-Fork-Strategie und der Biodiversitätsstrategie „ehrgeizige Ziele” gesteckt. Jetzt habe man dargelegt, wie man die Ziele erreichen wolle.
Auch Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner hob die große Bedeutung eines effektiven Klimaschutzes hervor. Dieser sei im Sinne der Land- und Forstwirtschaft, die unter den Auswirkungen der Wetterextreme leide, betonte die Ministerin in einer ersten Reaktion auf die Brüsseler Pläne. Klöckner stellte klar, dass sie das Engagement der Kommission zur Realisierung des „Fit für 55”-Gesetzespakets anerkenne. Die Ministerin will sich das Papier im Detail „konstruktiv-kritisch” anschauen und sich in die Diskussion darüber einbringen. Klöckner unterstrich, dass eine stabile Land- und Forstwirtschaft und eine nachhaltige Ernährungssicherung im Sinne aller seien. Deshalb sei auch die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) auf europäischer Ebene hin zu mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz ausgerichtet worden.
Auch in Deutschland sei die Regierung mit dem Klimaschutzprogramm bereits eine Reihe von Maßnahmen angegangen. Die CDU-Politikerin nannte hier den stärkeren Humuserhalt und -aufbau im Ackerland, den Erhalt von Dauergrünland, den Schutz von Moorböden sowie den Erhalt und die nachhaltige Bewirtschaftung der Wälder. „Speziell für den Wald, dem Klimaschützer Nummer eins, habe ich in kürzester Zeit
das größte Unterstützungsprogramm der Geschichte auf die Beine gestellt”, hob die Ministerin hervor. In den Wäldern liege „ein enormes Klimaschutzpotential”. Sie seien „einzigartige CO2-Speicher”, die jährlich die Atmosphäre um etwa 62 Mio.t Kohlenstoff entlasteten. Die langfristige CO2-Bindung in Holzprodukten und die nachhaltige Waldbewirtschaftung spielen nach Auffassung der Ministerin eine wichtige Rolle. „Klar ist aber auch: Man kann noch mehr Tempo in Brüssel machen, aber biologische Vorgänge und zeitliche Abläufe müssen wir beachten, können sie nicht ignorieren.” Deshalb müsse man auch die Praktiker in die politischen Diskussionen einbeziehen.
Unterstützung für die Kommissionsvorhaben kam auch von EU-Parlamentspräsident David Sassoli. „Um die Welt zu retten, brauchen wir einen ehrgeizigen Green Deal”, sagte der Italiener.