Land und Leute | 04. Februar 2015

„Akzeptiert uns einfach so, wie wir sind”

Von Silke Bromm-Krieger
Max und Jana stottern. Die beiden Schüler sind beim Logopäden Rüdiger Fleischhauer in Behandlung. Mit BBZ-Mitarbeiterin Silke Bromm-Krieger sprachen sie darüber.
Max und Jana wollen anhand ihres eigenen Beispiels zeigen, dass es normal ist, ein Stotterer oder eine Stotterin zu sein. Außerdem möchten sie anderen Jugendlichen und Erwachsenen etwas übers Stottern erzählen. „Leider sind die Kenntnisse über diese Erkrankung in unserer Gesellschaft immer noch gering und häufig gibt es auch Vorurteile”, bedauern sie. Also sitzen die Jugendlichen jetzt mit ihrem Logopäden in seinem Arbeitszimmer. Die beiden sind ziemlich aufgeregt, schließlich ist dies ihr erstes Gespräch mit einer Reporterin. Manchmal dauert es etwas länger, wenn sie auf eine Frage eine Antwort geben. Im Gespräch bleibt Jana beispielsweise am Wortanfang hängen oder sie zieht den ersten Buchstaben weit in die Länge, bis sie das ganze Wort sagen kann.
Sprechblockaden
Teilweise haben Max und Jana „Blocks”. Das sind Sprechblockaden. Das Wort bleibt im Hals stecken und für eine Weile geht dann nichts. Doch sie haben in der Stottertherapie bei Rüdiger Fleischhauer gelernt, wie sie mit solchen Situationen gelassen und angstfrei umgehen können. Dieses Wissen wenden sie an und wenig später kommen sie wieder in einen Redefluss. Zunächst stellen sich die zwei kurz vor. Max erzählt: „Ich bin 15 Jahre alt und gehe in die zehnte Klasse eines Gymnasiums.” Er hat noch zwei ältere Brüder und eine Schwester. „Die stottern nicht”, ergänzt er. Jana berichtet: „Ich bin 17 Jahre alt und habe noch eine jüngere Schwester. Ich besuche eine Berufsfachschule und bin in der Ausbildung zur Sozialpädagogischen Assistentin.” Jana verrät, dass auch ihre Mutter zeitweise stottert.
Wie das Stottern anfing, weiß Max noch genau. „Das begann mit vier oder fünf Jahren im Kindergarten. Deswegen wurde ich dort ausgegrenzt. Ich habe damals gespürt, dass ich anders spreche, aber erst später richtig realisiert, was eigentlich mit mir los ist und wie ich damit klarkommen kann. In meiner Grundschulzeit ging es dann bergauf. Da wurde ich nicht mehr ausgegrenzt. Ich kenne Herrn Fleischhauer seit acht Jahren und habe in dieser Zeit immer wieder für kürzere Phasen seine Unterstützung gebraucht. Manchmal stottere ich ein halbes Jahr kaum und dann gibt es wieder Zeiten, wo es stärker wird”, erläutert er.
Jana ist seit über zwei Jahren in Behandlung. Sie stottert ebenfalls seit Kindertagen, mal mehr, mal weniger. „Eine Arbeitskollegin meiner Mama machte mich auf Herrn Fleischhauer aufmerksam. Vom Arzt bekam ich ein Rezept für die Sprachtherapie. Seitdem bin ich hier.”
In der Schule aufklären
Selbstbewusst und mutig: Jana und Max haben bei Rüdiger Fleischhauer gelernt, sich aktiv mit dem eigenen Stottern auseinanderzusetzen.
Max und Jana finden es wichtig, dass ihre Mitschüler und Lehrer Bescheid wissen. Wegen des Stotterns fällt es ihnen in der Schule teilweise schwer, sich am Unterricht zu beteiligen. Ebenso stellt das Vorlesen oder das Halten von Referaten eine besondere Herausforderung dar. „Muss ich ein Referat in der Schule halten, versuche ich es auf jeden Fall, auch wenn ich dabei stottere”, sagt Jana. Max berichtet, dass er gerade heute erfolgreich einen Vortrag in der Schule gehalten hat. „Ich habe natürlich gestottert, aber ich habe es geschafft”, freut er sich. Wenn er mit Freunden zusammen sei, stottere er übrigens kaum.
Geholfen hat Max, dass sein Logopäde mit ihm in seiner Schule war. „Er hat der Klasse und der Lehrerin Infos zum Stottern gegeben. Reihum musste jeder einmal künstlich stottern. Manchen war das peinlich. Sie haben am eigenen Leib gespürt, wie mutig man sein muss, um trotzdem zu sprechen. Hinterher kamen meine Mitschüler zu mir und sagten, dass sie Respekt vor mir haben”, berichtet Max. Als Jana in der neunten Klasse war, kam Rüdiger Fleischhauer auch zu ihr in den Unterricht. „Er hat meine Mitschüler über das Stottern aufgeklärt. Dann haben wir ein Stotter-Quiz gemacht. Das kam in der Klasse total positiv an.”
Gehänselt wurden Max und Jana wegen ihres Stotterns bisher selten. Viele Stotterer müssen allerdings erleben, dass sie wegen ihrer Sprechstörung regelmäßig angemacht werden. Stottern ist der zweithäufigste Grund für Mobbingattacken nach Übergewicht. Manche  Jugendliche fühlen sich verunsichert, wenn sie mit jemandem sprechen, der stottert. Sie glauben, dass sie sich selbst besser fühlen, wenn sie ihn beleidigen. „Das Hänseln zu ignorieren, eine schlagfertige Antwort zu geben oder Humor ins Spiel zu bringen, ist für Betroffene meist die richtige Strategie, damit umzugehen”, rät Fleischhauer.
Ausreden lassen und Blickkontakt halten
Oft passiert es, dass Menschen sich gegenüber Stotterern unwissentlich falsch verhalten. Spricht ein Stotterer oder eine Stotterin, kann es etwas dauern, bis ein Satz vollständig ausgesprochen ist. Während dieser Zeit schweifen die Blicke mancher Gesprächspartner ab. Sie werden ungeduldig. Hier wünschen sich Max und Jana: „Haltet während wir reden Blickkontakt. Hört gelassen zu und gebt uns die Zeit, die wir brauchen. Lasst uns unsere Sätze auf jeden Fall selbst zu Ende sprechen.” Gerade wenn die Stimme versagt, sei der Augenkontakt für sie wichtig, um die Verbindung zum Gegenüber aufrechtzuerhalten.
Noch ein Tipp: Verkneifen sollte man sich gutes Zureden wie „Nur ruhig” oder „Hol tief Luft”. Das helfe nicht. An die Lehrer appelliert Max: „Wenn sie das Stottern bemerken, sollten sie uns ansprechen, fragen, ob wir in Behandlung sind und die Klasse informieren. Manchmal habe ich schon erlebt, dass Lehrer aus Unwissenheit Sprüche loslassen. Sie sollten bedenken, dass sie bei uns dadurch einen zusätzlichen Druck aufbauen.” Von ihrem sozialen Umfeld wünschen sich Jana und Max vor allem eines: „Akzeptiert uns einfach so, wie wir sind.”