Die kuhgebundene Kälberaufzucht findet unter Milchviehhaltern zunehmend Beachtung – gerade auch mit Blick auf die Vermarktung. Das Emmendinger Kompetenzzentrum für Ökologischen Landbau (KÖLBW) organisierte kürzlich dazu eine Online-Veranstaltung.
Der Kontakt zur Mutter fördert die Gesundheit des Kalbes.
Schnell zeigte sich, dass die kuhgebundene Kälberaufzucht eine Vielzahl unterschiedlicher Ausprägungen aufweist, mit stark voneinander abweichenden Ansprüchen an Stallbau, Arbeitsaufwand und Milcheinsatz. Es sind vor allem die Biobetriebe, für die diese Aufzuchtart infrage kommt, zumal bei dieser Erzeugungsrichtung ohnehin keine Milchaustauscher Verwendung finden. Deutlich wurde, dass der angestrebte enge Kontakt zur Mutterkuh und der Verzicht auf die Eimertränke erhebliche Veränderungen in der Betriebsorganisation erfordert. Meist steigt der Platzbedarf. Je länger auf die Eimertränke verzichtet wird, um so sorgfältiger muss die Tierbeobachtung sein, um mögliche Mangelsituationen beim Kalb feststellen zu können. Es herrscht Ungewissheit darüber, wie viel das Kalb täglich zu sich nimmt.
Ammen einsetzen
Andererseits kann die Mutterkuh meist viel mehr Milch zur Verfügung stellen, als ein einzelnes Kalb trinken kann. Man sollte deshalb insbesondere den Luxuskonsum beim Kalb vermeiden und an den Umfang der Verkaufsmilch denken. Die Betriebsorganisation sollte dafür sorgen, dass die Euter der kälberführenden Kühe regelmäßig geleert werden, auch aus gesundheitlichen Gründen. Ein erheblicher Teil der Landwirtinnen und Landwirte mit kuhgebundener Kälberaufzucht führt deshalb die Mutterkühe nach drei bis vier Tagen wieder der Herde und dem Melkstand zu. Das Kalb kommt dann in einer gesonderten Bucht zur Amme, wo es gemeinsam mit zwei weiteren Kälbern genährt wird, oft über sechs Wochen. Erst danach wird die Amme durch die Eimertränke ersetzt, bis das Kalb 125 Kilogramm Lebendgewicht (LG) erreicht hat, etwa nach der zwölften Woche.
Gesündere Kälber
Anna Bieber vom Forschungsinstitut für Biologischen Landbau verwies
hierzu auf die Verhältnisse bei halbwilden Rinderherden und bei
Mutterkuhherden, bei denen ein intensives Ausleben der
Kuh-Kalb-Beziehung stattfindet. Nach Beobachtung der Schweizer
Nutztierforscherin gibt es in diesen Herden eine zügige Festigung des
Sozialverhaltens ebenso wie auch eine stabilere Gesundheitsentwicklung.
Gleich nach der Geburt beginne ein zunehmend enger Kontakt zwischen
Mutter und Kalb, der durch das Trockenlecken, den baldigen Euterkontakt
und die Biestmilch induziert wird. Geruch und Berührung sorgen für eine
weitere psychische und körperliche Festigung, auch bei der Mutter. Laut
Bieber ist die Befürchtung unbegründet, dass der enge Kontakt zwischen
Mutter und Kalb das Infektionsrisiko steigert. Sie verwies auf
Untersuchungen, die bei kuhgebundener Kälberaufzucht tendenziell weniger
Durchfall und weniger Atemwegserkrankungen feststellten. Zu der höheren
allgemeinen Vitalität käme ein ausgeprägteres Spielverhalten in der
Kälbergruppe und die schnellere Aufnahme von Weidegras oder Heu.
Bei
den Verbrauchern stößt die kuhgebundene Kälberaufzucht auf viel
Sympathie. In der Bio-branche wächst daher die Hoffnung auf weitere,
konkrete Vermarktungsvorteile sowohl bei den Milchpreisen als auch bei
der Fleischerzeugung und den Preisen für männliche Kälber. Bisher müssen
in Baden-Württemberg 60 Prozent der Biokälber ohne Bioaufschlag im
konventionellen Bereich vermarktet werden, so Dr. Juliane Dentler von
der Universität Hohenheim. Mit der Kombination aus kuhgebundener
Kälberaufzucht und dem Bioweiderind-Programm könnte diese
verlustträchtige Tendenz vermindert werden.
Ein Praktiker berichtet
Demeter-Landwirt Hubert
Blank aus Wolfegg verwies auf die Vorteile der Zweinutzungsrassen: Der
Halter von 82 Braunvieh-Milchkühen ist Mitglied einer
Interessensgemeinschaft für kuhgebundene Kälberaufzucht mit einem
gemeinsamen Absatzkonzept. Zentraler Bestandteil davon ist ein eigenes
Produktsiegel, das die Erzeugnisse für die Konsumenten erkennbar macht. Die Statuten der IG fordern von ihren Mitgliedern die kuhgebundene
Aufzucht von Geburt an und für die Dauer von mindestens 90 Tagen. Die
Ammenkuhhaltung darf frühestens ab der dritten Lebenswoche beginnen.
Darauf aber zielt Blank nicht ab: Er kann Weidehaltung ebenso anbieten
wie einen Melkroboter. Damit entfallen für seine 82 Milchkühe die festen
Melkzeiten. Bis zum Absetzen führen die Kühe meist nur ein, maximal
zwei Kälber. Was der Nachwuchs nicht trinkt, kommt in den Roboter. Der
Betrieb bietet ein großzügiges Platzangebot und einen ausgeklügelten,
tageszeitlichen Kontaktrhythmus. Die Kälber werden in Gruppen gehalten.
Zweimal täglich werden die Mütter über mehrere Stunden zu den Kälbern
gelassen. Dafür gibt es einen Begegnungsbereich, wenn Weidebetrieb
gerade nicht möglich ist. Blank schätzt, dass er in den ersten drei
Monaten mit seinem System 20 Prozent mehr Milch im Vergleich zur
Eimertränke verbraucht. Hinzu kommt zweimal täglich die Arbeit für das
Trennen der Kälber. Blank beansprucht deshalb für seine Bioverkaufsmilch
einen Aufschlag von drei bis vier Cent je Liter.
Seit 2018, dem
Einführungsjahr seines Systems, ist bei Blank das Problem des
gegenseitigen Kälberbesaugens verschwunden. Nachteil ist dafür jetzt der
Trennungsschmerz zwischen Kuh und Kalb beim Absetzen. Nur durch eine
schrittweise Kontaktreduzierung kann hier eine Milderung erreicht
werden. Nach dem Absetzen bekommen die Kuhkälber nur noch Festfutter.
Für die Bullenkälber steht nach dem Absetzen eine Gruppenbucht bereit,
in der sie für weitere drei Monate feste Vollmilchgaben erhalten, bis
sie mit einem Gewicht von rund 250 kg geschlachtet werden. Nach Dentlers
Angaben nimmt der Trennungsschmerz zwischen Kalb und Mutter mit der
Intensität und Dauer der Kontakte zu, die in der Aufzuchtphase
entstanden sind.
Trennungsschmerz verringern
In der Veranstaltung beschrieb die Expertin weitere Varianten von kuhgebundener Kälberaufzucht mit weniger Trennungsschmerz. So beispielsweise auf dem Hofgut Rengoldshausen bei Überlingen, wo das Kalb nach einer zwölfwöchigen Tränkephase bei der eigenen Mutter für weitere vier Wochen bei einer Amme trinken kann, zusammen mit zwei weiteren Kälbern. Das Absetzgewicht liegt dann bei 200 kg. Dafür wird ein Milchverbrauch von 1080 Litern kalkuliert. Demgegenüber sind bei der klassischen dreimonatigen Eimertränke nur 499 Liter Vollmilch pro Kalb erforderlich.
Mit 1700 Litern deutlich mehr Milch als die bisherigen Verfahren beansprucht die „verlängerte Kälberaufzucht”, bei der die Mutterkühe (und Ammen) saisonal im Frühjahr abkalben. Kurz nach der Geburt werden je drei Kälber einer Amme zugeteilt. Während der Vegetationsperiode befinden sie sich mit ihr meist auf der Weide. Die Mutterkühe werden wieder im Melkstand gemolken. Als Amme dienen Kühe, die milchleistungsmäßig (noch) nicht top sind. Dennoch reicht ihr Aufkommen aus, um die Kälber zum Saisonende auf 300 kg LG zu bringen. Die Vorteile dieses Systems liegen insbesondere im geringen Arbeitsaufwand. In größeren Beständen, wo die verfügbaren Ammen mit der Anzahl an neu geborenen Kälbern gut vereinbar sind, kann die „verlängerte Kälberaufzucht” auch asaisonal betrieben werden. Laut Dentler bleiben dort je drei Kälber nur über vier Monate bei ihrer Amme bis zu einem Lebendgewicht von rund 240 kg, was einen kalkulatorischen Milchverbrauch von 1300 Litern je Kalb erfordert. Die asaisonale Aufzucht ist ebenfalls arbeitssparend. Wegen ihres geringeren Absetzgewichtes ist sie milchsparenderer als die saisonale Variante. Gleichzeitig kann die Vermarktung unabhängig von dem saisonalen Rinderpreistief im Herbst betrieben werden.
Direkter Erfolgsvergleich
Mit einer Zusammenstellung der Verfahrenskosten regt Dentler zu einem direkten Erfolgsvergleich an. Entscheidend für eine Beurteilung sind immer die Rahmenbedingungen vor Ort. Bei den drei Verfahren mit (zeitweiser) Eimer-tränke wird Kraftfutter eingesetzt. Bei ihnen ist zudem der Arbeitszeiteinsatz relativ hoch (4 bis 8,5 Stunden/Kalb). Diesem Mehraufwand steht ein verhältnismäßig geringer Einsatz von teurer, verkaufsfähiger Milch gegenüber (379 bis 504 Liter/Kalb). Bei den übrigen Verfahren ohne Eimer-tränke ist der Milcheinsatz deutlich höher. Der Arbeitseinsatz hingegen ist tendenziell geringer. Das höhere Absetzgewicht (200 bis 300 kg LG) eröffnet bei den männlichen Kälbern die direkte Schlachtverwertung und bildet damit einen Ausweg aus dem Vermarktungsproblem bei männlichen Biokälbern. Zu beachten ist allerdings auch der hohe Kostenbedarf, der durch erweiterte Stallkapazitäten verursacht wird, insbesondere bei saisonalen Abkalbungen.