Land und Leute | 08. August 2014

Serie: Christliche Symbolpflanzen (1) Kräuterbüschel zu Mariä Himmelfahrt

Von Agnes Pahler
Je nach Jahreszeit schmücken wir mit Blumen und Pflanzen Wohnbereiche und zu religiösen Anlässen Kirchen und Gräber. Die Bedeutung des traditionellen Schmucks ist uns heute nicht immer klar. In loser Folge nimmt sich unsere Autorin Agnes Pahler der Thematik an und zeigt die Symbolik auf.
Zur Kräuterweihe an Mariä Himmelfahrt werden Blumen, Kräuter und mancherorts Getreide aus dem Hausgarten, vom Feld und von der Wiese zu einem Strauß gebunden. Dieser Kräuterstrauß wird mit einem Segensgebet geweiht. In Gengenbach (Bild) wird das Kräuterbüschel in Biedermeierform gebunden und nimmt mit bis zu 1,40 Meter Durchmesser stattliche Ausmaße an.
Zum Fest Mariä Himmelfahrt am 15. August werden Kräuterbüschel  in den Kirchen geweiht. Dieses älteste Marienfest der katholischen Kirche geht auf heidnische Bräuche zurück. Das geweihte und später  getrocknete Kräuterbüschel wurde einst im Stall oder im Herrgottswinkel, neben oder über dem Kreuz, aufgehängt und sollte Unheil abwenden, vor Blitzschlag schützen, Mensch und Vieh gesund erhalten. Ein alter Brauch, der sich bis heute noch vielerorts gehalten hat.
Die Vegetation befindet sich  im August auf dem Höhepunkt. In der heißen Zeit des Sommers blühen viele Heilpflanzen, das hohe Lichtangebot langer Tage und die hohen Temperaturen fördern die Ausbildung von Duft-, Geschmacks- und Wirkstoffen. Die hohe Konzentration an  sekundären Pflanzenstoffen kann man heutzutage wissenschaftlich mittels Gaschromatografie nachweisen, das Prinzip war den Leuten früherer Zeiten längst bekannt. Die wirksamsten Heilkräuter lassen sich am Ende des Sommers sammeln, auch behalten sie ihren Duft länger bis in den Winter hinein als früher gesammelte Pflanzen.
Als Frauendreißiger werden  die Tage von 15. August bis 13. September, dem Tag der Kreuzerhöhung, bezeichnet. Der 15. August hieß früher auch Frauentag. Kräuterkunde, Kräutersammeln und Heilen waren anscheinend schon immer Domänen der Frauen.
Seit jeher hat man duftende Pflanzen mit dem Himmel in Verbindung gebracht, ebenso war Heilkraft mit göttlicher Fügung verknüpft. Somit war es naheliegend, dass das Christentum die verehrte Mutter Gottes mit heilkräftigen, duftenden Pflanzen verband. Dies geht zurück auf eine alte Legende:
Demnach rief man nach dem Tod Marias in Ephesos einst alle Apostel zusammen. Der Apostel Thomas soll – wieder einmal – um drei Tage zu spät eingetroffen sein. Da man die Verstorbene noch einmal sehen wollte, wurde das Grab geöffnet, doch darin befanden sich an Stelle des Leichnams duftende Blumen, denn Maria war in den Himmel aufgefahren.
In Erinnerung daran wird das gebundene Kräuterbüschel bisweilen auch „Maria Bettstroh” genannt. Von dieser Legende gibt es verschiedene Abwandlungen. Die Idee, die dahinter steckt, besagt, dass Maria mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen wurde. Die Weihe in der Kirche bedeutet so viel wie eine Bitte um göttliche Unterstützung. Die Kräuter verweisen auf das Heil des ganzen Menschen, auf das Wirken Gottes in der Schöpfung und auf die Erlösung. Je nach Region und Ort kennt man unterschiedliche Angaben, welche Heilkräuter im Kräuterbüschel enthalten sein müssen:
 
Kamille, Wermut, Lavendel,  Pfefferminze,  Salbei, Ysop und Thymian bilden die sieben Hauptkräuter, ergänzt um

Johanniskraut, Beifuß, Dost, Schafgarbe und  Rainfarn. Es dürfen auch weitere Kräuter enthalten sein wie:

Alant, Arnika, Baldrian, Frauenmantel, Johanniskraut,  Tausendgüldenkraut, Majoran und Ringelblume.

Am wichtigsten sind demnach Kräuter, mit denen man Husten und Katarrh lindert oder andererseits leichte Magen- und Darmbeschwerden behandelt. Somit finden sich vorwiegend Heilpflanzen, die in den Wintermonaten häufig gebraucht werden. Auf jeden Fall kommt es auf die Anzahl der Kräuter an, es muss  beim Büschelbinden eine magische Zahl von 7-9-12-15 oder  mehr Kräutern in einer Vielzahl von drei sein. Kundige Kräutersammlerinnen binden auch Sträuße mit 77 oder 99 verschiedenen Kräutern.
Heilkräuter, die im Hochsommer blühen, machen den Großteil der Pflanzen aus, doch das Büschel wird ergänzt um reifende Getreideähren, blühenden Faser-Lein und Rosenblüten. Auch Blumen vom Wegrand oder aus dem Bauerngarten dürfen dabei sein.  Die Mitte eines Kräuterbüschels nimmt ein Blütenstand der Königskerze ein, der symbolisch als Zepter für die Himmelskönigin Maria steht. Geschmückt wird das Kräuterbüschel mit Bändern und Schleifen. Frauen und Mädchen eines Dorfes sammeln gemeinsam, die älteren wissen, an welchen Stellen bestimmte Arten zu finden sind.
Traditionell holte man die Pflanzen am 14. August vor Sonnenuntergang zusammen. Dem alten Volksglauben nach muss man sie pflücken, darf sie nicht schneiden, denn Eisen würde die Kräfte entziehen.Wegen ihrer vielfältigen Heilkräfte gehört die Großblütige Königskerze (Verbascum densiflorum) im Mittelpunkt des Kräuterbüschels ohnehin zu den Marienblumen. Die Hauptblüte der zweijährigen Pflanze fällt in den Juli, einzelne Exemplare blühen bis in den Herbst. Oft wird die Königskerze durch den zierlicheren Kleinen Odermennig (Agrimonia eupatoria) ersetzt.
Zum Trocknen hängt man das Kräuterbüschel kopfüber an einen trockenen, dunklen Platz. Im Laufe des Jahres maß man ihm in früheren Zeiten allerhand Abwehrzauber zu: Bei Gewitter warf man zum Schutz vor Blitzschlag eine Handvoll getrockneter Kräuter ins Herdfeuer, krankem Vieh mischte man ein wenig davon unters Futter, und auch an Heiligabend streute man geweihte Pflanzen unters Heu. Ebenso mischte man erkrankten Familienmitgliedern etwas Kräuter in den verabreichten, heilenden Tee.  Verstorbenen legte man einen Teil des Kräuterbüschels unter dem Kopf in den Sarg. Und natürlich maß man den Kräutern die Kraft zu, Hexerei und böse Zaubersprüche abzuwehren. Damit hängt der Brauch zusammen, am Dreikönigstag das ganze Haus mit Kräutern auszuräuchern.
Erfreulicherweise lebt der Brauch, Kräuterbüschel zu binden, in vielen Gemeinden bis heute fort oder wird neu belebt. Nur müssen wir uns eines bewusst sein: Aufgrund der Klimaerwärmung blühen viele Pflanzenarten mittlerweile früher, bis Mitte August sind viele gängige Heilkräuter verblüht und auch ihr Wirkstoffgehalt nimmt wieder ab.
Wer Kräuter sammelt, um sie im Winter für heilende Tees zu verwenden, muss etwas früher sammeln. Gerade die Lippenblütler wie Salbei, Majoran, Thymian weisen den höchsten Gehalt an ätherischen Ölen kurz vor der Blüte auf, bei der Kamille sollten sich gerade die ersten Kreise der gelben Röhrenblüten in der Mitte des Blütenköpfchens öffnen.