Tierhaltung | 10. Juni 2021

Klauen, Klima, Kälber

Von Katharina Kurz
Um diese drei Stichworte ging es bei einer virtuellen Veranstaltungsreihe von Ende April bis Anfang Mai. Die Expertinnen und Experten referierten zu den Themen Mortellaro, Kälberkokzidiose und darüber, wie sich Hitzestress im Milchviehstall reduzieren lässt.
Neben der Lüftung können auch Hochdruckvernebelung und Kuhduschen die Tiere abkühlen.
Den Start machte die Tierärztin Dr. Andrea Fiedler aus München mit dem Thema Mortellarosche Krankheit – auch Dermatitis digitalis genannt. Zunächst sprach sie die vielfältigen Risikofaktoren an: Angefangen bei der Problematik des Harnstoffs in der Gülle über ein lang anhaltendes, hohes Stresslevel, das die Immunität der Tiere senkt, bis hin zu Fütterungsfehlern, die zum Beispiel zu einem Biotinmangel führen können. Fiedler sensibilisierte die Zuhörerinnen und Zuhörer für eine durchdachte und vorsichtige Klauenpflege. Denn hoch aggressive Substanzen in Klauenbädern und Verletzungen an der Klaue können die Krankheit zusätzlich befeuern.
Der Haupttreiber von Mortellaro ist laut Referentin der Zukauf von neuen Tieren. Die Leitkeime der Dermatitis digitalis sind die sogenannten Treponemen. Diese Bakterien dringen von oben in die Haut bis in die Unterhaut ein und verursachen massive Wunden. Um die Schwere der Krankheit einordnen und Maßnahmen ergreifen zu können, gibt es ein Kategorisierungssystem, das von M0 (frei von Mortellaro) bis M4 (chronisch) reicht.
Fünfpunkteplan zur Kontrolle von Mortellaro
Für die Kontrolle von Mortellaro stellte Fiedler einen Fünfpunkteplan vor:
  • Externe Biosicherheit: Eindringen von Mortellaro durch Zukauf von Tieren, Arbeitsgeräte und Besucher vermeiden.
  • Interne Biosicherheit: Kuhkomfort erhöhen sowie Krankheitsübertragung zwischen Tieren vermeiden durch Desinfektion und Hygienemaßnahmen.
  • Frühe Erkennung, Dokumentation und Einzeltierbehandlung: Im Melkstand beobachten.
  • Mit regelmäßigen Maßnahmen die Bakterienmenge an den Klauen verringern, zum Beispiel durch sinnvolle Klauenbäder.
  • Ziele festlegen und Erfolg überwachen, zum Beispiel mit der „DD Check App”.
Als vorbeugende Maßnahmen empfahl Fiedler Biotin zu verabreichen und bei Bedarf Pflanzenkohle zu füttern. Letzteres verbessere die Kotkonsistenz und senke dessen Aggressivität. Bei der Behandlung der Entzündung sieht die Tierärztin Vorteile in der Verwendung von Polyurethan-Pflastern; beim Anlegen eines Verbandes eigne sich vor allem synthetische Rollwatte. 
Schlauchlüftung für Altställe
Johannes Zahner vom Institut für Landtechnik und Tierhaltung der Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) in Bayern referierte zum Thema Hitzestress im Milchviehstall. Er wies darauf hin, dass die Gebäudetypologie des Stalles bestimmt, welche Lüftungsmöglichkeiten anwendbar sind. Zum Beispiel sind laut Zahner lange, schmale Gebäude mit ihrem hohen Fassadenflächenanteil vorteilhafter für die Lüftung.
Ein Problembereich ist oft der Melkstand: Ist dieser seitlich angeordnet und befindet sich in direkter Nähe zum Abkalbebereich, ist eine ausreichende Lüftung schwierig umzusetzen. Daher ist ein separat stehendes Melkhaus lüftungstechnisch positiv zu bewerten.
Für Altgebäude empfiehlt Zahner insbesondere die Schlauchlüftung. Das Wichtigste in schlecht gelüfteten Ställen ist es, die relative Luftfeuchtigkeit zu reduzieren sowie die Luftqualität zu verbessern. Eine Überdrucklüftung wie die Schlauchlüftung bringt frische Außenluft durch einen Ventilator in den Stall und verteilt sie dort gleichmäßig über einen perforierten Schlauch. Vorteil ist, dass dieser die Frischluft großflächig und mit geringer Geschwindigkeit in den Stall leitet. Wer selbst eine Schlauchlüftung bauen möchte, muss beachten, dass die Berechnung der benötigten Luftwechselraten mindestens auf geltender DIN 18910 basieren muss. Zudem muss berücksichtigt werden, dass die Funktionsfähigkeit in besonderem Maße vom Außenwind abhängt.
Eine Frage des Managements
Den Abschluss der Veranstaltungsreihe machte Dr. Martin Kaske vom Schweizer Kälbergesundheitsdienst zum Thema Kälberkokzidiose. Bei solchen Faktorerkrankungen schätzt der Experte weniger die Erreger als Problem ein, sondern vielmehr die Haltung, Fütterung und Sauberkeit auf den Betrieben.
Konkret geht es beispielsweise um Lüftungsmängel, Überbelegung, mangelhafte Geburtshygiene oder die ungenügende Versorgung mit Kolostrum.
Kaske betonte, dass vorbeugende Maßnahmen wie die Stallhygiene enorm wichtig sind und es nicht unbedingt nur auf das Desinfektionsmittel an sich ankommt, sondern besonders auf die vorher durchgeführten Maßnahmen. Sonnenlicht ist laut dem Referenten das perfekte Desinfektionsmittel.
Ist es zu einer Durchfallerkrankung gekommen, lässt das Alter des Kalbes Rückschlüsse auf den Erreger zu. Kryptosporidien treten zum Beispiel häufig ab dem fünften bis etwa zum 22. Lebenstag auf. Die Kotkonsistenz hilft dabei, die Erkrankung zu bestimmen. Bei der Behandlung sollte man neben einer Medikation die Diättränke nicht vergessen. Der Tierarzt muss hinzugezogen werden, wenn tiefliegende Augen und fehlende Sauglust einen extremen Verlauf der Durchfallerkrankung andeuten.
Ad-libitum-Tränke
Kaske betonte in diesem Zusammenhang auch die Bedeutung der Ad-libitum-Tränke. Er machte in wenigen Sätzen klar, dass die gängige Eimertränke sehr weit von der natürlichen Physiologie des Kalbes entfernt ist. Der Magen-Darm-Trakt von Kälbern ist darauf ausgerichtet, Milch zu verdauen, weshalb die Ad-libitum-Tränke möglichst bis in die zehnte Lebenswoche angeboten werden sollte. Die ausführliche Dokumentation der Kälberaufzucht ist dem Experten zufolge essenziell. Ein einfaches Hilfswerkzeug ist die Kälberkarte, auf der bereits im Stall die tierindividuellen Daten eingetragen werden können.
Die Veranstalter
Im bundesweiten Netzwerk Fokus Tierwohl geht es unter anderem darum, Wissen aus der Wissenschaft in die Praxis zu tragen. Deshalb haben sich acht Landwirtschaftsämter aus dem Südwesten zusammengeschlossen, um in diesem Rahmen eine Vortragsreihe rund um das Milchvieh zu organisieren. Beteiligt waren die Landkreise Breisgau-Hochschwarzwald, Lörrach, Rottweil, Schwarzwald-Baar, Tuttlingen und Waldshut genauso wie der Beratungsdienst Schwarzwald-Baar-Heuberg und die baden-württembergische Tierwohlmultiplikatorin vom Netzwerk Fokus Tierwohl.