Das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) erwartet vom russischen Überfall auf die Ukraine keine direkten Auswirkungen auf die Versorgung Deutschlands mit Getreide und Ölsaaten. DBV-Präsident Joachim Rukwied befürchtet aber Turbulenzen an den Agrarmärkten.
Aus der Ukraine kommen laut Bundeslandwirtschaftsministerium vier Prozent der weltweiten Weizenproduktion.
Auch weitere Agrarmärkte beziehungsweise Agrarprodukte dürften wegen des geringen Handelsvolumens mit Russland und der Ukraine nach Einschätzung des BMEL vom 24. Februar nicht betroffen sein. Der Deutsche Raiffeisenverband (DRV) rechnet zumindest für den Weizenmarkt nicht mit Engpässen.
Allerdings zeigte sich der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied, gegenüber dem Internetmagazin „t-online” sehr besorgt, dass der Krieg zu Turbulenzen an den Agrarmärkten führen könnte. „Wir gehen davon aus, dass weniger gedüngt wird, was negative Auswirkungen auf die Erntemenge und in Teilen auch auf die Qualität der Erzeugnisse haben wird”, erklärte der DBV-Präsident. Schon jetzt sei Stickstoffdünger exorbitant teuer und knapp verfügbar. Diese Situation könne sich noch deutlich verschärfen.
"Blindflug"
„Wir befinden uns derzeit in einem Blindflug, da keiner weiß, wie sich die Preise für Betriebsmittel und Getreide entwickeln werden”, so Rukwied.
Nach Angaben des Bundeslandwirtschaftsministeriums liegt der Anteil Russlands an der weltweiten Weizenproduktion bei zehn Prozent, der der Ukraine bei vier Prozent. Der Anteil beider Länder an den weltweiten Weizenexporten habe in den vergangenen Jahren beständig zugenommen und zuletzt zusammen 29 Prozent betragen. Die Ukraine und Russland seien demnach zwar bedeutende Exporteure auf dem internationalen Weizenmarkt. Gleichzeitig habe die EU hier jedoch einen hohen Eigenversorgungsanteil.
Die Krise kann deshalb dem Bundeslandwirtschaftsministerium zufolge insbesondere Länder außerhalb Europas treffen. Hauptimporteure von russischem und ukrainischem Weizen seien Länder Nordafrikas, die Türkei sowie asiatische Länder. Das Ministerium schließt aber nicht aus, dass die Aussicht auf Unterbrechung der Exporte aus der Region für zusätzliche Unsicherheiten begleitet von Preisanstieg und erhöhter Preisvolatilität auf den internationalen Märkten sorgt. Insgesamt sei die Ernährungsindustrie durch Preissteigerungen auch bei den Vorleistungen betroffen. In diesem Zusammenhang seien eine weitere Verteuerung von Lebensmitteln sowie eine Steigerung der Inflationsrate nicht auszuschließen.
Koordiniertes Vorgehen bei Engpässen
Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, der den russischen Angriff auf die Ukraine auf das Schärfste verurteilte, erklärte, dass das Ministerium gemeinsam mit der Europäischen Union aufmerksam die Entwicklung in der Region und ihre möglichen Auswirkungen auf die Agrar- und Düngemittelmärkte beobachte und bewerte. So diene beispielsweise der Notfallplan für Lebensmittelversorgung und Ernährungssicherheit, der von der EU-Kommission im Rahmen der Strategie „Vom Hof auf den Tisch” entwickelt worden sei, dazu, Herausforderungen wie extreme Wetterereignisse, aber auch Engpässe bei wichtigen Produktionsfaktoren wie Düngemitteln, Energie und Arbeitskräften in einem koordinierten Vorgehen zu begegnen.
„Sicherung der Ernährung neu bewerten”
Der Krieg in der Ukraine erfordert
nach Auffassung der stellvertretenden Vorsitzenden der
FDP-Bundestagsfraktion, Carina Konrad, Änderungen in der Agrarpolitik.
„Ich bin davon überzeugt, dass wir die Bedeutung der Sicherung der
Ernährung neu bewerten müssen”, erklärte Conrad angesichts der
gegenwärtigen Diskussion um eine sicherheitspolitische „Zeitenwende”.
Dazu werde es notwendig sein, die im Rahmen der neuen Gemeinsamen
Agrarpolitik (GAP) vorgesehene Stilllegung von Flächen und die von der
alten Bundesregierung auf EU-Ebene ausgehandelte Reform „noch mal zu
überdenken”.
Ähnlich hatte sich zuvor bereits der
landwirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Gero
Hocker, geäußert. „Der Green Deal mit seiner Farm-to-Fork-Strategie
gehört ausgesetzt”, so Hocker am vergangenen Wochenende. In Zeiten von
Inflation und Krieg in Europa müsse die Ernährungssicherung bei der
Landwirtschaftspolitik Vorrang besitzen.
Nach Auffassung von Hocker
setzt die EU-Kommission mit ihrem Green Deal die Ernährungssicherung der
europäischen Bevölkerung in Krisensituationen aufs Spiel. Nach der
offenkundigen Abhängigkeit auf dem Energiemarkt von russischen
Erdgaslieferungen drohe nunmehr die Gefahr, „Europa auch bei der
Ernährung der eigenen Bevölkerung in eine derart schlechte Lage zu
bringen”.
„Ein Herunterfahren der Produktion etwa durch
Anwendungseinschränkungen von unbedenklichen Pflanzenschutzmitteln war
auch vorher schon falsch”, betonte der FDP-Politiker. In der aktuellen
Krise werde nun noch deutlicher, wie gefährlich unnötige Beschränkungen
der eigenen Landwirtschaft im Ernstfall sein könnten. „Von autoritären
Staaten wie Russland dürfen wir uns nicht auch noch bei der
Nahrungsmittelversorgung abhängig machen”, warnte Hocker. Neue Auflagen
für die europäische und deutsche Landwirtschaft dürfe es deshalb aktuell
nicht geben. In eine ähnliche Richtung argumentierte der
agrarpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Stephan Protschka.
Er forderte die Bundesregierung auf, Deutschlands Ernährungssicherheit
und bezahlbare Lebensmittelpreise sicherzustellen. Sämtliche
produktionseinschränkenden Maßnahmen in der Landwirtschaft sollten
sofort ausgesetzt werden. Die Bundesregierung müsse außerdem dafür
sorgen, dass Betriebsmittel wie Düngemittel und Treibstoff verfügbar und
bezahlbar seien. „Wenn wir nicht zeitnah die Weichen für eine
produktive Ernte stellen, könnte uns spätestens im kommenden Jahr eine
dramatische Versorgungskrise drohen. Die Folgen wären nicht auszumalen”,
warnte der AfD-Politiker.
Weizen: „Beruhigender” Selbstversorgungsgrad
„Wir haben einen Selbstversorgungsgrad von mehr als 100 Prozent; das ist in der aktuellen Situation sehr beruhigend”, bekundete der Deutsche Raiffeisenverband zur deutschen Versorgungssituation mit Weizen.
Unterdessen
geht der Deutsche Raiffeisenverband (DRV) – wie der
Bundeslandwirtschaftsminister – mit Blick auf den Getreidemarkt davon
aus, dass die Versorgungssicherheit zumindest bei Weizen durch den Krieg
in der Ukraine und die daraus resultierenden politischen Folgen nicht
beeinträchtigt werden dürfte. „Wir befürchten aktuell keine Engpässe”,
betonte DRV-Hauptgeschäftsführer Dr. Henning Ehlers am Mittwoch voriger
Woche in Berlin. Deutschland und die Europäische Union seien nicht
zwingend auf Importe aus der Schwarzmeerregion angewiesen. „Wir haben
einen Selbstversorgungsgrad von mehr als 100 Prozent; das ist in der
aktuellen Situation sehr beruhigend”, stellte Ehlers klar. Nach Angaben
des DRV befindet sich in der Ukraine und in Russland nur noch wenig
Brotweizen in den Exportlagern. Sehr große Mengen seien bereits
verschifft worden. Gleichwohl sei der Markt derzeit nervös. Ursache sei
die seit Monaten knappe Versorgungsbilanz, die für ein insgesamt hohes
Preisniveau sorge.
Hohe Energiekosten
Kurzfristige Auswirkungen auf
die Brotpreise aufgrund veränderter Warenströme durch den Konflikt sind
nach Einschätzung von Ehlers nicht zu befürchten. „Der Getreideanteil am
Gesamtpreis von Brotwaren ist sehr gering. Wenn es zu Verteuerungen in
den Bäckereien kommt, hat dies andere Gründe, wie beispielsweise hohe
Energiekosten. Diese dürften durch den Konflikt weiterhin auf hohem
Niveau bleiben und bei zunehmender Eskalation sogar noch steigen”,
erklärte der Fachmann.
Allerdings bestehe im Futtermittelsektor die
Gefahr, dass sich die Preissituation weiter verschärfe. „Im Gegensatz zu
Brotweizen befinden sich noch große Mengen an Mais in den Lagern der
Ukraine und Russlands”, erklärte Ehlers. Es werde damit gerechnet, dass
beide Länder in diesem Jahr insgesamt rund 100 Millionen Tonnen Weizen
und Mais exportierten – dies entspreche rund 25 Prozent der weltweiten
Exporte. Ob diese Ware für den westeuropäischen Markt zur Verfügung
stehe, sei fraglich.
Russland sieht sich bei Nahrungsmitteln autark
Nach dem gewaltsamen Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine wähnt sich das Moskauer Landwirtschaftsministerium hinsichtlich der Lebensmittelversorgung im eigenen Land auf der sicheren Seite. Die Russische Föderation sei bei Grundnahrungsmitteln völlig autark, versicherte das Landwirtschaftsministerium am 25. Februar mit Blick auf mögliche Embargos vonseiten der westlichen Staaten.
Dies betreffe Getreide und Getreideerzeugnisse, Fleisch- und Fischprodukte, Zucker und Pflanzenöl sowie andere wichtige Nahrungsmittel. Laut Darstellung des Ministeriums deckt die heimische Produktion von Milchprodukten, Gemüse und Obst bereits einen großen Teil des inländischen Verbrauchs ab. Die Nachfrage nach importierten Waren sei „unbedeutend”, so das Ministerium. Sie beziehe sich hauptsächlich auf Produkte, die aufgrund der klimatischen Bedingungen nicht in Russland hergestellt werden könnten.
Um den heimischen Markt zuverlässig zu schützen und eine Gefährdung der Ernährungssicherheit auszuschließen, arbeiteten die russischen Importeure mit einer Vielzahl von Lieferländern zusammen. Im vergangenen Jahr deckte das Milchaufkommen in Russland rund 84 Prozent des Inlandsbedarfs an Milchprodukten. Das Moskauer Landwirtschaftsministerium war zuletzt davon ausgegangen, bis 2027 die vollständige Selbstversorgung mit Milchprodukten zu erreichen. Bei der Fleischproduktion konnte Russland nach Angaben der nationalen Statistikbehörde Rosstat im Jahr 2020 neue Rekordmarken aufstellen. Die heimische Produktion reichte zwar theoretisch für die Deckung der inländischen Nachfrage, was allerdings nicht für alle Fleischarten galt. Für 2021 hatte das Zentrum für Agroanalytik allerdings einen weiteren Anstieg der Fleischerzeugung vorhergesagt.
DBV bekundet Solidarität mit Ukraine
Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, verurteilt den Krieg in der Ukraine aufs Schärfste: „Die deutschen Bauern stehen solidarisch an der Seite des ukrainischen Volkes und sind in Gedanken bei unseren Berufskolleginnen und -kollegen und deren Familien, die massiv unter den russischen Angriffen leiden. Als Deutscher Bauernverband tragen wir die gegen Putin gerichteten Maßnahmen der Bundesregierung mit, auch wenn es für unsere Branche zu großen Herausforderungen kommen könnte”, unterstreicht Rukwied.