Politik | 03. März 2022

Keine Engpässe, aber Turbulenzen erwartet

Von AgE/DBV
Das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) erwartet vom russischen Überfall auf die Ukraine keine direkten Auswirkungen auf die Versorgung Deutschlands mit Getreide und Ölsaaten. DBV-Präsident Joachim Rukwied befürchtet aber Turbulenzen an den Agrarmärkten.
Aus der Ukraine kommen laut Bundeslandwirtschaftsministerium vier Prozent der weltweiten Weizenproduktion.
Auch weitere Agrarmärkte beziehungsweise Agrarprodukte dürften wegen des geringen Handelsvolumens mit Russland und der Ukraine nach Einschätzung des BMEL vom 24. Februar nicht betroffen sein. Der Deutsche Raiffeisenverband (DRV) rechnet zumindest für den Weizenmarkt nicht mit Engpässen.
Allerdings zeigte sich der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied, gegenüber dem Internetmagazin „t-online” sehr besorgt, dass der Krieg zu Turbulenzen an den Agrarmärkten führen könnte. „Wir gehen davon aus, dass weniger gedüngt wird, was negative Auswirkungen auf die Erntemenge und in Teilen auch auf die Qualität der Erzeugnisse haben wird”, erklärte der DBV-Präsident. Schon jetzt sei Stickstoffdünger exorbitant teuer und knapp verfügbar. Diese Situation könne sich noch deutlich verschärfen.
"Blindflug"
„Wir befinden uns derzeit in einem Blindflug, da keiner weiß, wie sich die Preise für Betriebsmittel und Getreide entwickeln werden”, so Rukwied.
Nach Angaben des Bundeslandwirtschaftsministeriums liegt der Anteil Russlands an der weltweiten Weizenproduktion bei zehn Prozent, der der Ukraine bei vier Prozent. Der Anteil beider Länder an den weltweiten Weizenexporten habe in den vergangenen Jahren beständig zugenommen und zuletzt zusammen 29 Prozent betragen. Die Ukraine und Russland seien demnach zwar bedeutende Exporteure auf dem internationalen Weizenmarkt. Gleichzeitig habe die EU hier jedoch einen hohen Eigenversorgungsanteil.
Die Krise kann deshalb dem Bundeslandwirtschaftsministerium zufolge insbesondere Länder außerhalb Europas treffen. Hauptimporteure von russischem und ukrainischem Weizen seien Länder Nordafrikas, die Türkei sowie asiatische Länder. Das Ministerium schließt aber nicht aus, dass die Aussicht auf Unterbrechung der Exporte aus der Region für zusätzliche Unsicherheiten begleitet von Preisanstieg und erhöhter Preisvolatilität auf den internationalen Märkten sorgt. Insgesamt sei die Ernährungsindustrie durch Preissteigerungen auch bei den Vorleistungen betroffen. In diesem Zusammenhang seien eine weitere Verteuerung von Lebensmitteln sowie eine Steigerung der Inflationsrate nicht auszuschließen.
Koordiniertes Vorgehen bei Engpässen
Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, der den russischen Angriff auf die Ukraine auf das Schärfste verurteilte, erklärte, dass das Ministerium gemeinsam mit der Europäischen Union aufmerksam die Entwicklung in der Region und ihre möglichen Auswirkungen auf die Agrar- und Düngemittelmärkte beobachte und bewerte. So diene beispielsweise der Notfallplan für Lebensmittelversorgung und Ernährungssicherheit, der von der EU-Kommission im Rahmen der Strategie „Vom Hof auf den Tisch” entwickelt worden sei, dazu, Herausforderungen wie extreme Wetterereignisse, aber auch Engpässe bei wichtigen Produktionsfaktoren wie Düngemitteln, Energie und Arbeitskräften in einem koordinierten Vorgehen zu begegnen.
„Sicherung der Ernährung neu bewerten”
Der Krieg in der Ukraine erfordert nach Auffassung der stellvertretenden Vorsitzenden der FDP-Bundestagsfraktion, Carina Konrad, Änderungen in der Agrarpolitik. „Ich bin davon überzeugt, dass wir die Bedeutung der Sicherung der Ernährung neu bewerten müssen”, erklärte Conrad angesichts der gegenwärtigen Diskussion um eine sicherheitspolitische „Zeitenwende”. Dazu werde es notwendig sein, die im Rahmen der neuen Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) vorgesehene Stilllegung von Flächen und die von der alten Bundesregierung auf EU-Ebene ausgehandelte Reform „noch mal zu überdenken”.
Ähnlich hatte sich zuvor bereits der landwirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Gero Hocker, geäußert. „Der Green Deal mit seiner Farm-to-Fork-Strategie gehört ausgesetzt”, so Hocker am vergangenen Wochenende. In Zeiten von Inflation und Krieg in Europa müsse die Ernährungssicherung bei der Landwirtschaftspolitik Vorrang besitzen.
Nach Auffassung von Hocker setzt die EU-Kommission mit ihrem Green Deal die Ernährungssicherung der europäischen Bevölkerung in Krisensituationen aufs Spiel. Nach der offenkundigen Abhängigkeit auf dem Energiemarkt von russischen Erdgaslieferungen drohe nunmehr die Gefahr, „Europa auch bei der Ernährung der eigenen Bevölkerung in eine derart schlechte Lage zu bringen”.
„Ein Herunterfahren der Produktion etwa durch Anwendungseinschränkungen von unbedenklichen Pflanzenschutzmitteln war auch vorher schon falsch”, betonte der FDP-Politiker. In der aktuellen Krise werde nun noch deutlicher, wie gefährlich unnötige Beschränkungen der eigenen Landwirtschaft im Ernstfall sein könnten. „Von autoritären Staaten wie Russland dürfen wir uns nicht auch noch bei der Nahrungsmittelversorgung abhängig machen”, warnte Hocker. Neue Auflagen für die europäische und deutsche Landwirtschaft dürfe es deshalb aktuell nicht geben. In eine ähnliche Richtung argumentierte  der agrarpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Stephan Protschka. Er forderte  die Bundesregierung auf, Deutschlands Ernährungssicherheit und bezahlbare Lebensmittelpreise sicherzustellen. Sämtliche produktionseinschränkenden Maßnahmen in der Landwirtschaft sollten sofort ausgesetzt werden. Die Bundesregierung müsse außerdem dafür sorgen, dass Betriebsmittel wie Düngemittel und Treibstoff verfügbar und bezahlbar seien. „Wenn wir nicht zeitnah die Weichen für eine produktive Ernte stellen, könnte uns spätestens im kommenden Jahr eine dramatische Versorgungskrise drohen. Die Folgen wären nicht auszumalen”, warnte der AfD-Politiker.
Weizen: „Beruhigender” Selbstversorgungsgrad
„Wir haben einen Selbstversorgungsgrad von mehr als 100 Prozent; das ist in der aktuellen Situation sehr beruhigend”, bekundete der Deutsche Raiffeisenverband zur deutschen Versorgungssituation mit Weizen.
Unterdessen geht der Deutsche Raiffeisenverband (DRV) – wie der Bundeslandwirtschaftsminister – mit Blick auf den Getreidemarkt davon aus, dass die Versorgungssicherheit zumindest bei Weizen durch den Krieg in der Ukraine und die daraus resultierenden politischen Folgen nicht beeinträchtigt werden dürfte. „Wir befürchten aktuell keine Engpässe”, betonte DRV-Hauptgeschäftsführer Dr. Henning Ehlers am  Mittwoch voriger Woche in Berlin. Deutschland und die Europäische Union seien nicht zwingend auf Importe aus der Schwarzmeerregion angewiesen. „Wir haben einen Selbstversorgungsgrad von mehr als 100 Prozent; das ist in der aktuellen Situation sehr beruhigend”, stellte Ehlers klar. Nach Angaben des DRV befindet sich in der Ukraine und in Russland nur noch wenig Brotweizen in den Exportlagern. Sehr große Mengen seien bereits verschifft worden. Gleichwohl sei der Markt derzeit nervös. Ursache sei die seit Monaten knappe Versorgungsbilanz, die für ein insgesamt hohes Preisniveau sorge.
Hohe Energiekosten
Kurzfristige Auswirkungen auf die Brotpreise aufgrund veränderter Warenströme durch den Konflikt sind nach Einschätzung von Ehlers nicht zu befürchten. „Der Getreideanteil am Gesamtpreis von Brotwaren ist sehr gering. Wenn es zu Verteuerungen in den Bäckereien kommt, hat dies andere Gründe, wie beispielsweise hohe Energiekosten. Diese dürften durch den Konflikt weiterhin auf hohem Niveau bleiben und bei zunehmender Eskalation sogar noch steigen”, erklärte der Fachmann.
Allerdings bestehe im Futtermittelsektor die Gefahr, dass sich die Preissituation weiter verschärfe. „Im Gegensatz zu Brotweizen befinden sich noch große Mengen an Mais in den Lagern der Ukraine und Russlands”, erklärte Ehlers. Es werde damit gerechnet, dass beide Länder in diesem Jahr insgesamt rund 100 Millionen Tonnen Weizen und Mais exportierten – dies entspreche rund 25 Prozent der weltweiten Exporte. Ob diese Ware für den westeuropäischen Markt zur Verfügung stehe, sei fraglich.
Russland sieht sich bei Nahrungsmitteln autark
Nach dem gewaltsamen Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine wähnt sich das Moskauer Landwirtschaftsministerium hinsichtlich der Lebensmittelversorgung im eigenen Land auf der sicheren Seite. Die Russische Föderation sei bei Grundnahrungsmitteln völlig autark, versicherte das Landwirtschaftsministerium  am 25. Februar mit Blick auf mögliche Embargos vonseiten der westlichen Staaten.
Dies betreffe Getreide und Getreideerzeugnisse, Fleisch- und Fischprodukte, Zucker und Pflanzenöl sowie andere wichtige Nahrungsmittel. Laut Darstellung des Ministeriums deckt die heimische Produktion von Milchprodukten, Gemüse und Obst bereits einen großen Teil des inländischen Verbrauchs ab. Die Nachfrage nach importierten Waren sei „unbedeutend”, so das Ministerium. Sie beziehe sich hauptsächlich auf Produkte, die aufgrund der klimatischen Bedingungen nicht in Russland hergestellt werden könnten.
Um den heimischen Markt zuverlässig zu schützen und eine Gefährdung der Ernährungssicherheit auszuschließen, arbeiteten die russischen Importeure mit einer Vielzahl von Lieferländern zusammen. Im vergangenen Jahr deckte das Milchaufkommen in Russland rund 84 Prozent des Inlandsbedarfs an Milchprodukten. Das Moskauer Landwirtschaftsministerium war zuletzt davon ausgegangen, bis 2027 die vollständige Selbstversorgung mit Milchprodukten zu erreichen. Bei der Fleischproduktion konnte Russland nach Angaben der nationalen Statistikbehörde Rosstat  im Jahr 2020 neue Rekordmarken aufstellen. Die heimische Produktion reichte zwar theoretisch für die Deckung der inländischen Nachfrage, was allerdings nicht für alle Fleischarten galt. Für 2021 hatte das Zentrum für Agroanalytik allerdings einen weiteren Anstieg der Fleischerzeugung vorhergesagt.
DBV bekundet Solidarität mit Ukraine
Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, verurteilt den Krieg in der Ukraine aufs Schärfste: „Die deutschen Bauern stehen solidarisch an der Seite des ukrainischen Volkes und sind in Gedanken bei unseren Berufskolleginnen und -kollegen und deren Familien, die massiv unter den russischen Angriffen leiden. Als Deutscher Bauernverband tragen wir die gegen Putin gerichteten Maßnahmen der Bundesregierung mit, auch wenn es für unsere Branche zu großen Herausforderungen kommen könnte”, unterstreicht Rukwied.