Keine Überraschung im Bundesrat: Eine Freigabe von Brachflächen im Rahmen der Ökologischen Vorrangflächen (ÖVF) für den Anbau von Ackerkulturen wird es in diesem Jahr nicht geben. Den Ausschlag gaben die Länder mit grüner Regierungsbeteiligung.
Laut Norbert Lins, Vorsitzender des Landwirtschaftsausschusses im Europäischen Parlament, haben 26Mitgliedstaaten die Ausnahmeregelung der EU-Kommission unterstützt.
Stattdessen stimmte der Bundesrat der vom Bundeslandwirtschaftsministerium vorgelegten Änderung der Direktzahlungen-Durchführungsverordnung zu, die lediglich ab Juli eine Nutzung der Brachflächen und der mit Zwischenfrüchten bestellten Ökologischen Vorrangflächen für Futterzwecke erlaubt.
Özdemir findet den Beschluss ausgewogen
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir
begrüßte den Beschluss als ausgewogen, weil er der Bedeutung der
Vorrangflächen für die Biodiversität Rechnung trage. Kritik kam von
Landesministern der Union sowie der SPD. Landesbauernverbände reagierten
enttäuscht auf das Ergebnis der Abstimmung. Unterdessen forderte die
Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) die Bundesregierung dazu auf, die
Möglichkeiten auszuschöpfen, „um das vorhandene Potenzial der
Landwirtschaft konsequent zu nutzen”.
In ihrem Beschluss vom Donnerstag voriger Woche betonen die
Regierungschefs des Bundes und der Länder die deutsche Verantwortung für
die globale Ernährungssicherheit. Deutschland treffe eine humanitäre
Verpflichtung, einen Beitrag zur weltweiten Versorgungssicherheit mit
Nahrungsmitteln zu leisten, heißt es in dem MPK-Papier. Dabei komme der
heimischen Ernährungs- und Landwirtschaft eine strategische Bedeutung
zu, stellen die Regierungschefinnen und -chefs der Länder fest und
verweisen auf den starken Anstieg der Lebensmittelpreise hierzulande. In
einer Protokollerklärung hatten sich die Ministerpräsidenten von
Bayern, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Saarland,
Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein dafür ausgesprochen, temporär
Verpflichtungen zu Stilllegungen von Ackerflächen auszusetzen. Wichtig
sei darüber hinaus eine vollständige Umsetzung des Beschlusses der
EU-Kommission, eine Nutzung brachliegender Vorrangflächen für
ackerbauliche Maßnahmen zu ermöglichen. Dabei müsse auch der Einsatz von
Pflanzenschutz und Düngung erlaubt werden.
Negative Auswirkungen auf die Biodiversität
„Mit der Freigabe des
Aufwuchses von Zwischenfrüchten ziehen wir die effektivste Karte – mit
den kleinsten ökologischen Verwerfungen”, erklärte Özdemir. Sein Haus
habe mit der Änderungsverordnung „eine pragmatische und schnelle Lösung”
vorgelegt, die den erheblichen negativen Auswirkungen auf die
Agrarmärkte Rechnung trage. Eine völlige Produktionsfreigabe und der
Einsatz von Pflanzenschutzmitteln auf Brachflächen hätten dem Minister
zufolge erhebliche negative Auswirkungen auf die Biodiversität. „Wir
dürfen jetzt nicht die Biodiversitäts- und Klimakrise verschärfen”,
warnte der Grünen-Politiker. Die Futternutzung bei höheren
Grundfuttervorräten ermögliche im kommenden Jahr auch, dass die
Getreideproduktion aufgestockt werden könne. „Das kann zu einer gewissen
Entlastung beitragen”, so Özdemir.
Die Parlamentarische Staatssekretärin im Landwirtschaftsministerium, Dr.
Manuela Rottmann, hatte im Plenum den Befürwortern einer
Bewirtschaftungsfreigabe der Brachflächen vorgeworfen, das Potenzial der
dadurch zu erzielenden zusätzlichen Mengen insbesondere an Getreide
„krass zu überschätzen”. Baden-Württembergs Landwirtschaftsminister
Peter Hauk hatte im Plenum mit Nachdruck für eine Öffnung der
Brachflächen geworben und der Bundesregierung vorgeworfen, sie nehme die
Chance zur Produktionssteigerung nicht wahr. Die nunmehr beschlossene
Futternutzung kritisierte er als „lächerlich”.
Baden-Württemberg enthält sich
Der CDU-Politiker räumte zugleich ein,
dass sich Baden-Württemberg aufgrund der unterschiedlichen Auffassung in
der grün-schwarzen Koalition der Stimme enthalten müsse. Man sei
allerdings „fast so weit gewesen”, der Empfehlung des Agrarausschusses
zuzustimmen.
Unionsagrarier warnen vor deutscher Isolation
Mit Blick auf die Kontroverse um die Freigabe von Ökologischen Vorrangflächen (ÖVF) zur Bewirtschaftung haben mehrere Agrarpolitiker der CDU vor einer Isolation Deutschlands gewarnt und ein entschlossenes europäisches Handeln zur globalen Ernährungssicherung gefordert. „Deutschland darf die Augen vor diesem Thema nicht verschließen und sich vom Europäischen Verbund isolieren”, erklärte der Vorsitzende des Landwirtschaftsausschusses im Europäischen Parlament, Norbert Lins. 26Mitgliedstaaten hätten die Ausnahmeregelung der EU-Kommission unterstützt. Unter anderem Frankreich, Spanien und Polen würden die Nutzung der Anbauflächen für die Erzeugung von Nahrungs- und Futtermitteln erlauben.
Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Steffen Bilger, wies Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir und seiner Partei die Hauptverantwortung für die agrarpolitische Isolierung Deutschlands zu. Baden-Württemberg hätte laut Bilger im Bundesrat gegen den Özdemir-Vorschlag stimmen müssen. Eine verantwortungsbewusste, pragmatische und von der EU empfohlene Lösung sei so gegen die Überzeugung aller nicht-grünen Landwirtschaftsminister der Länder verhindert worden. Der Vorsitzende des Arbeitskreises Landwirtschaft der baden-württembergischen CDU-Landtagsfraktion, Klaus Burger, bezeichnete die Enthaltung der Stuttgarter Landesregierung als „schlicht unverantwortlich”. Baden-Württemberg könne nur wenig für den Export von Getreide beitragen, „aber auch ein kleines Stück Brot kann vor dem Hungertod retten”, so Burger.
An die FDP richteten die CDU-Politiker die Frage, ob die Liberalen eigentlich noch Teil der Bundesregierung seien. Die Partei vertrete im Bundestag die gleiche Position wie die Union, lasse Özdemir aber dennoch frei gewähren. Offenbar sei ihr Einfluss „gleich null”.