Tierhaltung | 10. Juni 2020

Ist die Ohrstanzprobe weiterhin nötig?

Von Dr. Albrecht Schwarzmaier
Seit nun fast zehn Jahren wird die BVD/MD-Erkrankung des Rindes in Deutschland staatlich bekämpft und ist die Untersuchung von Kälbern auf das BVD-Virus Pflicht. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: 2019 gab es deutschlandweit nur noch 75 Fälle, darunter einen in Baden-Württemberg.
Die Untersuchung  auf BVD/MD wird mit der Markierung der neugeborenen Kälber in Form der bekannten Ohrstanze kombiniert, und das Ergebnis steht wenige Tage nach Versand der Probe in HIT zur Verfügung. Durch die Einführung der Ohrstanztechnik 2010 war die flächendeckende Untersuchung der Kälber mit vertretbarem Aufwand erst möglich geworden. Doch ist das Verfahren bei der geringen Zahl von Fällen heute noch nötig? 
Ein Sonderfall
Will man die zur BVD-Kontrolle bewährte Ohrstanzprobe durch eine Tankmilchprobe ersetzen, so müssen zuvor noch etliche Probleme gelöst werden.
Zur Erinnerung: Die Bovine Virus Diarrhoe/mucosal disease (BVD/MD) ist eine Infektion des Rindes mit einem Pesti-Virus, die gegenüber allen anderen
Infektionen des Rindes eine Besonderheit aufweist. Das „Angehen” der Infektion ist auf ungeborene Kälber in den ersten vier Trächtigkeitsmonaten beschränkt. Solche Kälber scheiden lebenslang große Virusmengen aus und halten damit die Infektionskette aufrecht. Sie selbst sind in der Regel zunächst unauffällig, sterben aber zum größten Teil im zweiten Lebensjahr unter starkem Durchfall und hohem Fieber nach kurzer Krankheit. Einige werden jedoch so alt, dass sie zum Abkalben kommen, ihre Kälber sind dann immer auch Virus-Dauerausscheider.
Bei Infektionen nach den ersten vier Trächtigkeitsmonaten und nach der Geburt können die Tiere zwar auch infiziert werden, sind aber nur für einige Tage Virusträger. So kommt es neben den direkten Tierverlusten auch zu großen Schäden durch Beeinträchtigung der Fruchtbarkeit, durch Verkalbungen und allgemein durch die Belastung des Immunsystems.  
Durch die rasche Tötung der positiven Tiere, in der Regel Kälber, konnte die Virusbelastung massiv zurückgedrängt und die Zahl der positiven Tiere von Jahr zu Jahr reduziert werden (siehe Grafik). Zusätzlich wurden betroffene Betriebe vom Rindergesundheitsdienst auf ihre Durchseuchung untersucht. Ist diese nur gering, so ist die von der Tierseuchenkasse unterstützte Bestandsimpfung ein wichtiges Instrument, um eine weitere Ausbreitung zu verhindern.
Im Regierungsbezirk Freiburg konnten die Infektionsketten schon 2014 unterbrochen werden. Das (zunächst) letzte infizierte Kalb wurde am 15.4.2015 in Eisenbach geboren. Im Land traten 2018 noch elf positive Kälber auf, 2019 war es nur noch ein Fall: Im September wurde in einem Milchviehbetrieb im Hochschwarzwald ein positives Kalb geboren. Trotzt umfangreicher Untersuchung konnte keine Eintragsquelle festgestellt werden. Die Nähe zu Frankreich lässt vermuten, dass von dort stammende Rinder die Quelle gewesen sein könnten, da es in Frankreich  keine Pflichtuntersuchung auf BVD gibt. Die wenigen französischen Nutzrinder (Deckbullen für Mutterkuhherden) waren nach der Ankunft hier mit negativem Ergebnis untersucht worden, aber über Schlachtrinder könnte das BVD-Virus vom Schlachthof durch Personen in Rinderbetriebe verschleppt werden. Durch die Impfung der betroffenen Herde konnte eine Verbreitung innerhalb des Betriebs und nach außen verhindert werden.
2020 wurden in Oberschwaben nochmals zwei Fälle festgestellt, die in direkter Beziehung zu einem betroffenen bayerischen Betrieb stehen. Aufgrund der bisherigen Untersuchungen ist hier Ende des Jahres mit weiteren Fällen zu rechnen.
Inzwischen fragen sich viele, ob man bei dieser geringen Zahl von Fällen nicht auf Tankmilchproben umsteigen könnte wie in der Schweiz. Hierdurch wären finanzielle (entfallende Mehrkosten für die Ohrmarken) und zeitliche Entlastungen für die Tierhalter möglich und der Aufwand im Labor wäre geringer.
Nicht so einfach
Im Detail ist dies jedoch deutlich schwieriger als bei den seit  Jahren bewährten Tankmilchproben für die BHV1-Kontrolle. In letzter Zeit wurden Untersuchungen zur Eignung von BVD-Tankmilchproben in diversen Einrichtungen – unter anderem dem Staatlichen Tierärztlichen Untersuchungsamt (STUA) Aulendorf – durchgeführt, die vom nationalen Referenzlabor am Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) koordiniert wurden. Coronabedingt konnten diese Untersuchungen in der letzten Zeit nur eingeschränkt durchgeführt werden.
Das Augenmerk richtet sich insbesondere auf die Sensitivität des Tests. Die bisher zugelassenen Tests haben nur eine Poolgröße von 20 Kühen (d. h. eine Probe darf nur aus der Milch von 20 Kühen bestehen), während die Tankmilchuntersuchung auf BHV1 bis zu 50 Kühe in einem Pool zulässt. Das Ziel ist, die gleiche Tankmilch für BHV1 und für BVD zu verwenden.
Die Abstände der Tankmilchproben liegen bei BHV1 bei sechs Monaten. Bei BVD können sich jedoch ungünstige Fallkombinationen ergeben. Wenn kurz nach der letzten Tankmilchprobe eine Kuh am Ende der Frühträchtigkeit (ca. 120. Tag) infiziert wird, so wird diese Kuh nach weiteren vier Monaten schon trockengestellt und fällt damit aus der nächsten Tankmilch heraus. Damit würde unerkannt ein Dauerausscheider geboren werden und es könnte sich dann die Infektion bis zur nächsten Tankmilchprobe im Bestand verbreiten. Statistisch könnten sich circa 15 Prozent der Fälle so der rechtzeitigen Erkennung entziehen. Das Probenintervall für die Tankmilch müsste daher vier Monate betragen, um alle Fallkombinationen zu erkennen. Die Schweiz setzt zwar seit einigen Jahren Tankmilchproben als Ersatz der Ohrstanzen ein, musste damit aber einen nicht unerheblichen Anstieg der BVD-Fälle verzeichnen.
Aktuell fehlen auch noch die rechtlichen Voraussetzungen für den Ersatz der Ohrstanzuntersuchung der Kälber durch eine regelmäßige Tankmilchuntersuchung des Bestandes. Hier ist eine entsprechende Änderung der BVD-Verordnung notwendig, wenn Tankmilchproben eingesetzt werden sollen.