Einigkeit im Ziel, aber nicht über den Weg dahin, demonstrieren der Vorstandsvorsitzende des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), Felix Prinz Löwenstein, und der Göttinger Agrarökonom Professor Matin Qaim.
Kontrovers diskutiert: neue Züchtungstechnologien
In einem Doppel-Interview mit dem Fachpressedienst Agra-Europe formulierten beide das Ziel einer produktiveren und umweltfreundlicheren Landwirtschaft. Erhebliche Unterschiede bestehen jedoch in der Einschätzung, wie dieses Ziel erreicht werden soll und insbesondere, welche Rolle neue Züchtungstechniken dabei spielen können.
Während Qaim das Potenzial der neuen Gentechnik für die Entwicklung widerstandsfähiger und ertragreicherer Pflanzensorten betont, äußert Löwenstein grundsätzliche Zweifel an dem Beitrag, den die Genomeditierung zur Entwicklung stabiler Agrarsysteme spielen kann. Der BÖLW-Vorsitzende verweist auf die nie eingelösten „Heilsversprechen” der alten Gentechnik. Sie habe nicht nur wegen ausbleibender Ergebnisse enttäuscht, sondern mit der Herbizidtoleranz auch „die falschen Systeme” unterstützt. Mit Nachdruck warnt Löwenstein davor, die neuen Technologien als Schlüssel dafür zu sehen, „wie wir künftig Landwirtschaft betreiben und uns ernähren wollen”.
„Plan B” nicht gefährden
Auch nach Auffassung von Qaim gibt es nicht „den
einen Schlüssel”, die Herausforderungen für die Landwirtschaft zu
bewältigen. Er fordert aber eine sachliche Auseinandersetzung über die
neuen Züchtungstechniken: „Diese Technologie steht für zusätzliche
Werkzeuge, um die Pflanzenzüchtung effizienter zu machen, nicht mehr,
aber auch nicht weniger.” Für Qaim passen der Ökolandbau und moderne
Züchtungstechnologien „gut zusammen”. Dagegen erteilt Löwenstein deren
Einsatz im Ökolandbau eine Absage.
„Wir brauchen Lösungen im natürlichen System”, betont Löwenstein. Der
Ökolandbau entwickle durch seinen Verzicht auf Gentechnik und
Agrarchemie Innovationen, die am Ende der gesamten Landwirtschaft zugute
kämen. Dieser „Plan B” dürfe nicht gefährdet werden.
Der BÖLW-Vorsitzende plädiert ebenso wie Qaim für eine wissens- und
evidenzbasierte Auseinandersetzung mit den neuen Züchtungstechniken,
pocht aber auf eine Sicherung des Vorsorgeprinzips und das Recht von
Landwirten und Verbrauchern auf Wahlfreiheit: „Wir haben es mit einer
wirkmächtigen Technologie zu tun, mit der vorsichtig umgegangen werden
muss.” Qaim unterstreicht die Notwendigkeit einer grundlegenden Reform
des Gentechnikrechts und sieht sich durch die Kritik der EU-Kommission
an den „nicht mehr zeitgemäßen” Regelungen bestätigt. Eine moderne
Regulierung muss nach seiner Überzeugung den Stand der Wissenschaft
widerspiegeln und berücksichtigen, dass Risiken nicht von der
Züchtungsmethode abhängen, sondern vom Produkt der Züchtung, also der
Pflanze mit ihren neuen Eigenschaften. Da eine daraus folgende
grundlegende Neuausrichtung des Gentechnikrechts allenfalls auf längere
Sicht zu erreichen sei, müsse kurzfristig zumindest erreicht werden,
dass genomeditierte Pflanzen ohne artfremde DNA künftig vom
Gentechnikrecht ausgenommen werden.
Ebenso wie Qaim für die Wissenschaft erklärt auch Löwenstein für den
Ökolandbau die Bereitschaft, sich an dem angekündigten breiten Dialog
über neue Gentechnik zu beteiligen. „Ich glaube, dass die verschiedenen
Weltsichten auch zu verschiedenen Ergebnissen führen werden”, sagt der
BÖLW-Vorsitzende. Dies mache die Diskussion aber nicht obsolet.