Politik | 09. Februar 2017

Hendricks’ „neue Bauernregeln” erzürnen Bauern und Politiker

Von Age/red
Das Bundesumweltministerium hat am Donnerstag voriger Woche eine Kampagne des Hauses mit elf gereimten „neuen Bauernregeln” präsentiert. Nicht nur Bauern und ihre Verbände auf Bundes- und regionaler Ebene sind über die steuerfinanzierten Pauschalangriffe auf die Landwirtschaft empört.
Eine der elf „neuen Bauernregeln” aus dem Bundesumweltministerium, die in mehr als 70 Städten plakatiert und per Ansichtskarten über soziale Netzwerke und eine Webseite verbreitet werden. Die Kampagne, aus Steuermitteln finanziert, soll rund 1,6 Millionen Euro kosten.
Mit großer Verärgerung hat Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt auf „die neuen Bauernregeln” des Bundesumweltministeriums reagiert. Mit dieser Kampagne werde der gesamte bäuerliche Berufsstand undifferenziert an den Pranger gestellt, so Schmidt am 3. Februar  in einem Schreiben an seine Kabinettskollegin Barbara Hendricks. Er wirft der SPD-Politikerin vor, ihre Kampagne gebe Millionen Menschen in der Landwirtschaft sowie den vor- und nachgelagerten Bereichen der Lächerlichkeit preis. „Eine vermeintliche ‚Meinungselite‘ aus den Metropolen amüsiert sich hier auf Kosten der Menschen im ländlichen Raum”, schreibt Schmidt. Das sei Gift für eine sachliche Debatte über die Zukunft der Landwirtschaft und der ländlichen Räume.
Schmidt: Kampagne sofort beenden
Der CSU-Politiker fordert seine Kabinettskollegin auf, die Kampagne sofort zu beenden und sich bei den Bäuerinnen und Bauern öffentlich zu entschuldigen. „Eine steuerfinanzierte Kampagne, die die Diffamierung eines gesamten Berufsstands mindestens in Kauf nimmt, gehört meiner Ansicht nach nicht in den Instrumentenkasten guter Regierungskommunikation”, so der Landwirtschaftsminister. Er bekräftigte zugleich seine Bereitschaft zu einem sachlichen, konstruktiven und zielführenden Dialog mit Hendricks über die künftige Ausrichtung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Seine Ideen vor allem für eine stärkere Berücksichtigung gesellschaftlicher Leistungen bei den Direktzahlungen habe er in seinem Grünbuch dargelegt.
Berufsstand empört
Mit ihrer Kampagne „Gut zur Umwelt. Gesund für alle”, die anlässlich des Beginns der öffentlichen Konsultation der EU zur Zukunft der GAP (siehe Seite 12) startete, will Hendricks für eine Reform der Agrarpolitik werben.
Der Berufsstand zeigte sich empört und reagierte teils ironisch bis zynisch auf die Kampagnesprüche, die in mehr als 70 Städten plakatiert und per Ansichtskarten über soziale Netzwerke und eine Webseite verbreitet werden sollen. Aus Sicht des Deutschen Bauernverbandes (DBV) ist damit ein neuer Tiefpunkt in der agrarpolitischen Auseinandersetzung erreicht. DBV-Generalsekretär Bernhard Krüsken stellte fest: „Mit aktivistischen Reimen lässt sich keine seriöse Agrarpolitik machen.” Mitgliedsverbände des DBV in den Bundesländern schlossen sich in unterschiedlicher Wortwahl der scharfen Kritik des DBV an.
Parlamentarische Aufarbeitung
Der Vorsitzende des Bundestagsernährungsausschusses, Alois Gerig, kündigte eine parlamentarische Aufarbeitung der Kampagne an. Auch er appellierte an die Bundesumweltministerin, die Plakatierung zu stoppen. Der agrarpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Franz-Josef Holzenkamp, forderte ebenfalls, die Kampagne unverzüglich einzustellen. Er sprach von einer „geschmacklosen Diffamierungskampagne” gegen die Landwirte. Hier würden Vorurteile auf Kosten des Steuerzahlers verbreitet. Dies belege einmal mehr „die fachliche Inkompetenz der Bundesumweltministerin”, so Holzenkamp. Ganz offensichtlich habe man sich nun endgültig entschlossen, das Ministerium in die Geschäftsstelle bestimmter Nichtregierungsorganisationen umzuwandeln. Die Gesellschaft könne aber nur mit der Landwirtschaft bestehen, nicht gegen sie.
„Schlag ins Gesicht aller Landwirte”
Die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Gitta Connemann, bezeichnete die von Hendricks aufgestellten „Bauernregeln” als einen Schlag ins Gesicht aller Landwirte, denn es werde nicht nur ein ganzer Berufsstand ins Lächerliche gezogen. Die Bauernregeln strotzten auch nur so von Vorurteilen und Halbwahrheiten. Der Wahnsinn habe Methode, beklagte die CDU-Politikerin. Connemann konterte mit einem Spruch im Stil der Bauernregeln: „Spricht die Hendricks über Bauern, bekomme ich das kalte Schauern.”
Auch die südbadische CDU-Bundestagsabgeordnete Kordula Kovac, Mitglied im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft, empörte sich über die „Bauernregeln” aus dem Hause Hendricks. Sie sprach von einer „öffentlichen Anprangerung unserer Landwirte”.  Naturschutz als Teil einer zukunftsfähigen Landwirtschaft sei nur mit den Landwirten umzusetzen, nicht gegen sie.
Friedrich Bullinger, Vorsitzender der FDP-Agrarsprecher aus den Landtagen, qualifizierte die Kampagne als „unterirdisch klischeehaft, völlig sinnlos und vermutlich nicht ganz billig”.
Gegenwind von kundigem Parteifreund
Barbara Hendricks bekommt auch aus den eigenen Reihen  Gegenwind. Der agrarpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Wilhelm Priesmeier, nannte die Kampagne ihres Ressorts mit den „neuen” Bauernregeln „ausgesprochen unglücklich”. Zwar bestehe inhaltlich kein Dissens zur Position der Ministerin, so Priesmeier. Die Frage sei jedoch, „wie man mit den Bauern umgeht”. Der SPD-Politiker warf dem Bundesumweltressort vor, es setze „das veraltete Stilmittel der Bauernregeln” ohne jeden Instinkt im Umgang mit einem hochprofessionellen und hochmodernen Berufsstand ein. Zu Recht gebe es empörte Reaktionen aus den Reihen der Landwirte, die ihre Arbeit herabgesetzt sähen.
Mecklenburg-Vorpommerns Landwirtschaftsminister Till Backhaus, ebenfalls SPD, hält Hendricks’ Kampagne für „platt, gefährlich und kontraproduktiv”.
Die Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN) sprach von „postfaktischen Bauernregeln” und reagierte ihrerseits mit einem Spruch: „Fakten braucht der Wahlkampf nicht, Frau Hendricks reicht ein Reimgedicht.” Die ISN kündigte an, nach dem Motto „Bauernfakten statt Hendricks-Plattitüden” zum Wahlauftakt die wahren Fakten auf Plakate zu bringen.
Der Deutsche Landfrauenverband (dlv) stellte unterdessen die Frage, welche Absicht Ministerin Hendricks mit den neu formulierten Bauernregeln verfolge. Wenn so das Niveau der Politik aussehe, „dann sind wir ganz unten angelangt”, erklärte dlv-Präsidentin Brigitte Scherb.
Das Bundesumweltministerium lässt bei seiner Kampagne insgesamt elf „neue Bauernregeln” verbreiten, so beispielsweise: „Gibt’s nur Mais auf weiter Flur, fehlt vom Hamster jede Spur” und „Steht das Schwein auf einem Bein, ist der Schweinestall zu klein”. „Wir wissen, dass die intensive Landwirtschaft die Belastungsgrenzen von Böden und Natur viel zu oft überschreitet”, erklärte Hendricks zum Start ihrer Kampagne am  2. Februar in Berlin. Das wollten die meisten Bürger nicht. Die Landwirtschaft habe nur dann eine Zukunft, wenn sie naturverträglich sei und Artenvielfalt, Klimaschutz und die Gesundheit der Menschen mit berücksichtige. „Wir setzen uns deshalb vehement dafür ein, die EU-Agrarförderung umzubauen”, betonte die SPD-Politikerin.
In Zukunft sollten Landwirte stärker für öffentliche Leistungen wie den Naturschutz bezahlt werden. Das Bundesumweltressort wies ergänzend darauf hin, dass unter www.bundesumwelt ministerium.de/bauernregeln die Website zur Kampagne mit den neuen Bauernregeln online geschaltet sei. Die Internetseite liefere zusätzliche Hintergrundinformationen über relevante Themen wie Biodiversität und Landwirtschaft oder den Zusammenhang von Düngung und sauberem Grundwasser
Aus den Reihen der Junglandwirte gab es empörte Reaktionen, die sie auf der Internetseite des Bundes Badischer Landjugend (BBL) und mit einer enormen Reichweite auf Facebook fortlaufend veröffentlichen. Außerdem verfassten sie einen Brief an Umweltministerin Hendricks.
Hendricks keilt zurück – Merkel hält sich raus
In scharfen Worten hat Bundesumweltministerin Barbara Hendricks auf die Kritik von Agrarminister Christian Schmidt an ihren „neuen Bauernregeln”  der Kampagne „Gut zur Umwelt. Gesund für alle.” reagiert. In ihrem Antwortschreiben wirft Hendricks dem CSU-Politiker eine „bewusste Fehldeutung” vor, die Kampagne ihres Hauses sei gegen die gesamte Landwirtschaft gerichtet. Die Bauernregeln überschritten durchweg nicht die Grenzen von Anstand und Respekt, so Hendricks.
Die SPD-Politikerin verweist auf „unbestreitbar enorme Umweltbelastungen aus der Landwirtschaft” und Defizite beim Schutz der biologischen Vielfalt sowie beim Tierwohl. Gleichzeitig gehe der Strukturwandel „brachial weiter”. Als Ursache nennt Hendricks „das Unvermögen der Agrarpolitik”, trotz der „enormen Milliardenbeträge an Agrarförderung” den Menschen im ländlichen Raum Arbeitsplätze zu sichern und anständige landwirtschaftliche Einkommen zu ermöglichen – und das alles im Einklang mit einer guten Umwelt.
Hendricks hält Schmidt und der Union eine Verweigerungshaltung in der Agrarumweltpolitik vor. Als Beleg führt sie deren Weigerung an, zusätzliche Mittel von der Ersten in die Zweite Säule umzuschichten. Die Ministerin verweist zudem auf die schwierigen Verhandlungen zum Düngerecht, bei dem sie „um jeden Millimeter an Verbesserungen” habe ringen müssen und vereinbarte Regelungen bis zuletzt immer wieder in Frage gestellt worden seien.
Bundeskanzlerin Angela Merkel will sich Medienberichten zufolge in den Streit zwischen Hendricks und Schmidt nicht einmischen. Regierungssprecher Steffen Seibert sprach von „einer Debatte zwischen zwei Kabinettsmitgliedern, die diese sicher im vollen Bewusstsein dieses Themas für die deutsche Landwirtschaft und für die deutsche Öffentlichkeit führen”.