Haltungskennzeichnung wirft viele Fragen auf
„Für 20 bis 40 Prozent der Bevölkerung ist das Tierwohl laut Umfragen so wichtig, dass sie ihr Einkaufsverhalten ändern wollen, sogar rund drei Viertel erachten Informationen zum Tierschutz auf der Verpackung als wichtig”, sagte die Lebensmittel-Marketingexpertin Winnie Isabel Sonntag von der Universität Göttingen.
Eine verpflichtende Haltungskennzeichnung bezeichnete sie zwar als wirkungsvoll, wies aber angesichts von komplexen Haltungssystemen auf weitere Aspekte für das Tierwohl wie das Management hin. Zudem grenzte sie bei der Definition von „Tierwohl” Tiergesundheit und Tierverhalten voneinander ab und stellte die Schwierigkeit heraus, ab welchem tierischen Anteil bei verarbeiteten Produkten diese gekennzeichnet werden sollen. „Zudem sehe ich bei einer nationalen verpflichtenden Haltungskennzeichnung mit Blick auf die EU und WTO zahlreiche Einschränkungen und hohes Konfliktpotenzial, da sich Importeure nur freiwillig beteiligen bräuchten”, so die Wissenschaftlerin. Als Fazit stellte sie fest, dass sich freiwillige Kennzeichnungssysteme schneller umsetzen lassen, dafür aber keine Breitenwirksamkeit erzielen. Verpflichtende Kennzeichnungssysteme seien sehr effektiv, aber aufgrund der Komplexität von Haltungssystemen, Managementeinfluss und WTO- bzw. EU-Recht werde es keine schnelle Lösung geben. Sie regte an, mit der Haltungskennzeichnung bei Milchkühen zu beginnen.
„Die Fleischbranche hat die Kennzeichnung verschlafen”, betonte Christoph Hönig vom gleichnamigen Geflügelhof in Mühlingen. Seine Erfahrung sei, dass die Umstellung der Hühnerhaltung und die Kennzeichnung zwar Aufwand verursachten, sich zum Wohl der Tiere und zum Vertrauensaufbau der Verbraucher aber lohnten. Wertschöpfung und der Zusatznutzen müssten beim Landwirt bleiben.
Marco Eberle vom Landesbauernverband in Baden-Württemberg bezog für die Arbeitsgemeinschaft der baden-württembergischen Bauernverbände Stellung für eine staatlich getragene freiwillige Kennzeichnung und bezeichnete eine Pflichtkennzeichnung als den falschen Weg. „Dies führt zu einer Stigmatisierung und einer Zwei-Klassen-Gesellschaft”, so Eberle. Die Schlachtbetriebe und Vermarktungsunternehmen könnten die mit einer Pflichtkennzeichnung verbundenen hohen Transaktionskosten nicht tragen. Einfach vier Kategorien in der Haltungskennzeichnung würden nicht passen, da auch andere Indikatoren für den Tierschutz wichtig seien. Eine vor dem Hintergrund des WTO- und EU-Rechts national verpflichtende und bei Importen nur freiwillige Kennzeichnung führe zu einer Wettbewerbsverzerrung.
Torsten Schmidt vom Bund gegen den Missbrauch der Tiere sprach sich für eine verpflichtende Haltungskennzeichnung aus. Er überraschte die Teilnehmer mit der Information, dass Verbraucher in einer Umfrage ein erfundenes „Fake”-Tierkennzeichnungsprogramm mit Logo als besser bekannt bezeichnet hätten als ein existierendes.
Christiane Manthey von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg zitierte Umfrageergebnisse, wonach 64 % der Verbraucher bereit seien, mehr zu bezahlen, wenn das zu einer besseren Tierhaltung führe. Allerdings wüssten 45 % der Verbraucher nicht, woran sie Fleisch aus artgerechter Haltung erkennen könnten, und 86 % könnten auf Anhieb kein Tierschutz-Label benennen. Manthey forderte eine EU-weite verbindliche Haltungskennzeichnung und schlug bis dahin ein gesetzliches Tierschutz-Label mit verbindlichen Kriterien, effektiv wirkendem Kontrollsystem und Sanktionen vor.
Die Ergebnisse der Anhörung sollen nun in die Arbeit der grün-schwarzen Koalition einfließen.