Betrieb und Wirtschaft | 20. Juli 2017

Haltungskennzeichnung wirft viele Fragen auf

Von Daniel Haupt
Was bringt eine Haltungskennzeichnung für Fleisch? Zu dieser Frage fand vergangene Woche eine Anhörung der Grünen-Landtagsfraktion in Stuttgart statt.
„Wir sehen die Intensivierung in der Tierhaltung nicht positiv und auch das freiwillige staatliche Tierwohl-Label  führt zu keiner zusätzlichen Wertschöpfung in der Landwirtschaft”, begrüßte der Grünen-Landtagsabgeordnete Martin Hahn. Er  verwies auf den grün-schwarzen Koalitionsvertrag, der die Einführung einer Haltungskennzeichnung bei Frischfleisch – analog zur Eierkennzeichnung – befürwortet.
„Für 20 bis 40 Prozent der Bevölkerung ist das Tierwohl laut Umfragen so wichtig, dass sie ihr Einkaufsverhalten ändern wollen, sogar rund drei Viertel erachten Informationen zum Tierschutz auf der Verpackung als wichtig”, sagte die Lebensmittel-Marketingexpertin Winnie Isabel Sonntag von der Universität Göttingen.
Die Anhörung im Stuttgarter Landtag war gut besucht.

Daher stelle sich die Frage einer besseren Kennzeichnung von tierischen Produkten und welcher Art: freiwillig oder verpflichtend?  Am Beispiel des Labels „Provieh” und der darin enthaltenen vier Kategorien  (0=Ökologisch, 1=Zugang zum Freien, 2=Mehr Platz zum Auslauf und 3=Einhaltung der gesetzlichen Mindeststandards) fragte  sich Sonntag, ob diese Einteilung wirklich so einfach sei: Wie werde die Anbindung von Milchkühen mit Sommerweide eingeordnet und würden die Kategorien bei Schweinen für Sauenhaltung oder Mastschweine gelten?
 Eine verpflichtende Haltungskennzeichnung bezeichnete sie zwar als wirkungsvoll, wies aber angesichts von komplexen Haltungssystemen auf weitere Aspekte für das Tierwohl wie das Management hin. Zudem grenzte sie bei der Definition von „Tierwohl” Tiergesundheit und Tierverhalten voneinander ab und stellte die Schwierigkeit heraus, ab welchem tierischen Anteil bei verarbeiteten Produkten diese gekennzeichnet werden sollen. „Zudem sehe ich bei einer nationalen verpflichtenden Haltungskennzeichnung mit Blick auf die EU und WTO zahlreiche Einschränkungen und hohes Konfliktpotenzial, da sich Importeure nur freiwillig beteiligen bräuchten”, so die Wissenschaftlerin.  Als Fazit stellte sie  fest, dass sich freiwillige Kennzeichnungssysteme schneller umsetzen lassen, dafür aber keine Breitenwirksamkeit erzielen. Verpflichtende Kennzeichnungssysteme seien sehr effektiv, aber aufgrund der Komplexität von Haltungssystemen, Managementeinfluss und WTO- bzw. EU-Recht werde es keine schnelle Lösung geben. Sie regte an, mit der Haltungskennzeichnung bei  Milchkühen zu beginnen.
„Die Fleischbranche hat die Kennzeichnung verschlafen”, betonte Christoph Hönig vom gleichnamigen Geflügelhof in Mühlingen. Seine Erfahrung sei, dass die Umstellung der Hühnerhaltung und die Kennzeichnung zwar Aufwand verursachten, sich zum Wohl der Tiere und zum Vertrauensaufbau der Verbraucher  aber lohnten.  Wertschöpfung und der Zusatznutzen müssten beim Landwirt bleiben.
Marco Eberle vom Landesbauernverband in Baden-Württemberg bezog  für die Arbeitsgemeinschaft der baden-württembergischen Bauernverbände  Stellung für eine staatlich getragene freiwillige Kennzeichnung und bezeichnete eine Pflichtkennzeichnung als den falschen Weg. „Dies führt zu einer Stigmatisierung und einer Zwei-Klassen-Gesellschaft”, so Eberle.  Die Schlachtbetriebe und Vermarktungsunternehmen könnten die mit einer Pflichtkennzeichnung verbundenen hohen Transaktionskosten nicht tragen. Einfach vier Kategorien in der Haltungskennzeichnung würden nicht passen, da auch andere Indikatoren für den Tierschutz wichtig seien. Eine vor dem Hintergrund des WTO- und EU-Rechts national verpflichtende und bei Importen nur freiwillige Kennzeichnung führe zu einer Wettbewerbsverzerrung.
Nicht wie bei Eiern
„Die Haltungskennzeichnung von Fleisch ist aus meiner Sicht schon lange erforderlich, dabei stehe ich in unserer Branche allerdings alleine da”, sagte Jürgen Mäder von Edeka Südwest Fleisch. Eine verpflichtende Kennzeichnung schaffe Klarheit und Transparenz, meinte Mäder. Die Kategorisierung  bei der Eierkennzeichnung sieht er als zu starr an und möchte mehr mit Bildern zu Haltungssystemen arbeiten.  Grundsätzlich die gleiche Sichtweise hat  Helen Weische vom Lebensmittel-Discounter Lidl. Sie sprach sich  grundsätzlich für eine Haltungskennzeichnung aus.  „Uns ist es wichtig, dass die Lösung für alle Tierarten und Absatzkanäle gilt und EU-weit Gültigkeit besitzt. Eine Regelung muss alle  Akteure berücksichtigen und die Landwirte müssen bei der Umstellung unterstützt werden”, betonte sie.   
Marktdifferenzierung als Chance
  Reinhild Benning von Germanwatch sieht eine Marktdifferenzierung als Chance.  „Das bisherige Kennzeichnungsrecht erlaubt Irreführung”, kritisierte sie.  In Baden-Württemberg sieht sie  gute Erfahrungen mit der Herkunftskennzeichnung.
Torsten Schmidt vom Bund gegen den Missbrauch der Tiere  sprach sich für eine verpflichtende Haltungskennzeichnung aus. Er überraschte die Teilnehmer mit der Information, dass Verbraucher in einer Umfrage ein erfundenes „Fake”-Tierkennzeichnungsprogramm mit Logo als besser bekannt bezeichnet hätten als ein existierendes.
Christiane Manthey von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg zitierte Umfrageergebnisse, wonach  64 % der Verbraucher  bereit seien, mehr zu bezahlen, wenn das zu einer besseren Tierhaltung führe. Allerdings wüssten 45 % der Verbraucher nicht, woran sie Fleisch aus artgerechter Haltung erkennen könnten, und 86 % könnten auf Anhieb kein Tierschutz-Label benennen. Manthey forderte eine EU-weite verbindliche Haltungskennzeichnung und schlug bis dahin ein gesetzliches Tierschutz-Label mit verbindlichen Kriterien, effektiv wirkendem Kontrollsystem und Sanktionen vor.
Die Ergebnisse der Anhörung sollen nun in die Arbeit der grün-schwarzen Koalition einfließen.