Der Weg für die Neuausweisung der Roten Gebiete in Deutschland ist frei. Der Bundesrat stimmte am 8. Juli dem Vorhaben der Bundesregierung nach Maßgabe kleinerer Änderungen zu. Die Neufassung war von der Europäischen Kommission gefordert worden.
Die Länder gehen davon aus, dass sich die Nitrat-Gebietskulisse um rund 45 Prozent von derzeit bundesweit etwa zwei Millionen Hektar auf rund 2,9 Millionen Hektar vergrößern wird.
Zugestimmt wurde vom Bundesrat konkret der „Neufassung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Ausweisung von mit Nitrat belasteten und eutrophierten Gebieten (AVV Gebietsausweisung)”.
Länder müssen Verordnungen anpassen
Die Länder sind nun gehalten, die neue
Ausweisungsmethodik umzusetzen. Sie müssen ihre Landesdüngeverordnungen
bis Ende November dieses Jahres anpassen. Bis Ende 2024 müssen sie ihre
Messstellennetze verdichten. In der Plenarsitzung äußerten sowohl die
Landesminister aus Baden-Württemberg, Hessen und Thüringen, Peter Hauk,
Priska Hinz und Susanna Karawanskij, als auch die Parlamentarische
Staatssekretärin im Bundeslandwirtschaftsministerium, Manuela Rottmann,
die Erwartung, dass nunmehr die EU-Kommission das laufende
Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einstellen werde. Die
Anpassung der Regelungen für die Gebietsausweisung hatte die
Bundesregierung in den vergangenen Monaten mit der Kommission
abgestimmt. In der Regierung sorgte die Zustimmung des Bundesrats für
Erleichterung. Landwirte bekämen mit der Neuregelung Klarheit und
Planungssicherheit, erklärte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir.
Kein Selbstläufer
Die Mehrheit im Bundesrat war kein Selbstläufer. Die
Voraussetzung für die letztlich klare Mehrheit im Plenum schaffte erst
eine Protokollerklärung, die die Bundesregierung zu der Vorlage
abgegeben hat. Darin verpflichtet sie sich, die Düngeregeln stärker zu
differenzieren, um auf diese Weise für mehr Verursachergerechtigkeit zu
sorgen. Dahinter steht die Forderung von Seiten der Landwirtschaft,
Erleichterungen für Betriebe zu schaffen, die nachweislich
gewässerschonend wirtschaften. In der Protokollerklärung bekennt sich
die Bundesregierung dazu, das Prinzip der Verursachergerechtigkeit zu
stärken. Dazu wird sie dem Text zufolge eine Reihe von Regelungen „noch
in diesem Jahr anstoßen und zeitnah zusammenführen”. Genannt werden das geplante bundesweite Nährstoffmonitoring zur Düngeverordnung
einschließlich des im Koalitionsvertrag verankerten
Nährstoffidentifikationssystems, die Überarbeitung der
Stoffstrombilanzverordnung sowie die verschiedenen Länderansätze. Ziel
sei es, in enger Abstimmung mit der EU-Kommission „ein robustes,
rechtssicheres und vollzugstaugliches, auf kontrollierbaren Daten beruhendes System für eine Maßnahmendifferenzierung” zu entwickeln.
Hauk will es differenziert und verursachergerecht
Baden-Württembergs
Landwirtschaftsminister Peter Hauk forderte die Bundesregierung auf, im
nationalen Aktionsprogramm noch in diesem Jahr eine differenzierte,
verursachergerechte Maßnahmenausgestaltung zur Umsetzung der EU-Nitratrichtlinie vorzunehmen. „Wir brauchen differenzierte,
zielgerichtete Lösungen in den Problemgebieten und Entlastungen für
Betriebe, die offensichtlich gewässerschonend wirtschaften”, sagte der
CDU-Politiker im Bundesrat. Hauk bezeichnete die Düngung der
Kulturpflanzen als einen „entscheidenden Grundpfeiler” der
landwirtschaftlichen Produktion: „Nur durch eine gezielte und
ausreichende Nährstoffversorgung können in Menge und Qualität genügend
hochwertige Nahrungsmittel erzeugt werden.” Das sei von zentraler
Bedeutung für die gegenwärtige und künftige Ernährungssicherung im
Kontext zu Klimakrise und globalen Konflikten, sagte Hauk.
„Endlich haben wir gemeinsam mit den Ländern die Ziellinie überquert”,
erklärte Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir. Es komme einem
politischen Sprint gleich, „einen zehnjährigen Konflikt mit Brüssel in
nur sechs Monaten zu lösen”. Die Landwirte könnten auf dieser Grundlage
ihre Anbau- und Düngeplanung verlässlich machen.
Bundesumweltministerin Steffi Lemke verwies auf gravierende Schäden für die Umwelt, die mit den schon lange zu hohen Nitratbelastungen in Deutschland verbunden seien: „Eine
Überdüngung der Äcker belastet unser Grundwasser, aus dem Trinkwasser
gewonnen wird, schadet den Binnen- und Küstengewässern erheblich und
treibt die Klimakrise an.” Jetzt sei man endlich einen wesentlichen
Schritt vorangekommen. Hingegen sprach der agrarpolitische Sprecher der
AfD-Bundestagsfraktion, Stephan Protschka, von einem falschen Signal. Eine
zu erwartende Ausweitung der Roten Gebiete erfolge „auf Grundlage eines
ungeeigneten Nitratmessnetzes sowie auf jahrzehntelang falsch erhobenen
Messwerten”.
Umfang steigt um 45 Prozent
Die AVV Gebietsausweisung konkretisiert die Vorgaben zur
Gebietsausweisung der 2020 geänderten Düngeverordnung. Mit der Novelle
der AVV werden die Forderungen der EU-Kommission im
Vertragsverletzungsverfahren umgesetzt. Mit der Streichung der
sogenannten Emissionsmodellierung können bei der Gebietsabgrenzung
zukünftig keine landwirtschaftlichen Daten mehr berücksichtigt werden.
Die Bundesländer müssen sicherstellen, dass alle belasteten Messstellen
innerhalb der mit Nitrat belasteten oder eutrophierten Gebiete liegen.
Zudem muss die Binnendifferenzierung bundeseinheitlich mit
geostatistischen Regionalisierungsverfahren erfolgen. Hierfür sind
Übergangsfristen vorgesehen, um den Ländern genügend Zeit zur
Verdichtung ihrer Messstellennetze zu geben. Die Länder gehen davon
aus, dass sich die Nitrat-Gebietskulisse um rund 45 Prozent von derzeit
bundesweit etwa zwei Millionen Hektar auf rund 2,9 Millionen Hektar
vergrößern wird.
DBV: Ausnahmen zwingend erforderlich, Mängel beseitigen
Der Deutsche Bauernverband (DBV) hatte im Vorfeld darauf gedrängt, eine verursachergerechte Regelung mit einer Ausnahmemöglichkeit für Betriebe zu schaffen, die nachweislich gewässerschonend wirtschaften. Dies sei „zwingend erforderlich”, betonte DBV-Generalsekretär Bernhard Krüsken am Vortag der Abstimmung in der Länderkammer.
Eine präzise Gebietsabgrenzung auf Basis eines engen Messstellennetzes sei das Fundament für einen zielgerichteten Gewässerschutz. Aus landwirtschaftlicher Sicht sei eine Betrachtung der Grundwasserqualitäten ohne Berücksichtigung der tatsächlichen Bewirtschaftungspraktiken nicht akzeptabel. „Dies sollte zügig in der AVV umgesetzt werden, damit die Landwirte wieder Vertrauen in die fachliche Fundierung der Düngeregeln fassen können”, forderte der Generalsekretär.
Krüsken befürchtet allerdings, dass eine differenzierte Gebietsabgrenzung nicht zügig genug erfolgt. Seiner Auffassung nach sollte das geostatistische Regionalisierungsverfahren nicht erst dann umgesetzt werden können, wenn das gesamte Bundesland über die nötige Messstellendichte verfügt, sondern bereits dann, wenn dies in Teilregionen gewährleistet ist. Daneben sollte laut dem DBV-Generalsekretär bei den zu betrachtenden Grundwasserkörpern nicht auf die Jahreshöchstwerte der Nitratkonzentration an den Messstellen abgestellt werden. Nicht plausible Werte oder Ausreißer müssten dabei ausgeklammert werden.
Die langen Übergangsfristen für die Verdichtung des Messnetzes seien aus Sicht der Landwirtschaft nicht akzeptabel. Seit Jahren sei offensichtlich, dass das Messstellennetz in Deutschland im europäischen Vergleich lückenhaft sei und eine differenzierte Vorgehensweise nicht zulasse. „Hier müssen die Mängel schneller beseitigt werden”, mahnte Krüsken.