Politik | 05. März 2023

Taten, Weiterentwicklung und Vorbilder

Von Sigrid Tinz und Sylvia Pabst
Eine klare Bedingung von Demokratie ist, dass alle Menschen gleichberechtigt sind. Gut, wenn Frauen wie Männer sich gleichermaßen dafür einsetzen und Fortschritte machen.
Die Gleichberechtigung durchzusetzen, ist nicht die alleinige Aufgabe von Frauen. Genauso gefragt sind natürlich die Männer und ihr selbstverständlicher Einsatz für ein faires Miteinander im Alltag.
Ja, Deutschland hatte eine Kanzlerin. Es gibt Elternzeit auch für Männer und mehr Mädchen als Jungen machen Abitur. Aber Deutschland hat auch: viel zu viel häusliche Gewalt und zu wenig Frauenhausplätze; Frauen verdienen weniger als Männer – und  das nicht allein, weil sie in Teilzeit sind, sondern auch gerechnet nach dem Stundensatz: Die neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) zeigen, Arbeitnehmerinnen verdienen im Durchschnitt bei vergleichbarer Tätigkeit, Qualifikation und Erwerbsbiografie im Berichtsjahr 2022 pro Stunde 7 Prozent weniger als Männer. Geringeres Einkommen durch Teilzeit wie auch geringerer Stundensatz wirken sich natürlich auch auf die Rente aus. Folglich sind Frauen stärker von Altersarmut  betroffen: In Deutschland betrug  laut Destatis 2021 die Armutsgefährdungsquote bei Frauen 16,5 Prozent, Seniorinnen ab 75 Jahre waren zu 21 Prozent  armutsgefährdet.  
Warum nehmen das noch immer so viele Frauen hin? Vermutlich, weil sie sich wie selbstverständlich für einen großen Teil der Sorgearbeit  zuständig fühlen: Kinderbetreuung, Angehörigenpflege, Sozialkontakte und die Gestaltung des Familienlebens. Und, nicht zu vergessen: der Haushalt. Nicht nur Partner und Kinder verlassen sich meist darauf, dass Mama schon alles macht, sondern letztlich auch der Staat. Das wurde in der Coronakrise ganz besonders deutlich, als Kitas und Schulen geschlossen waren. Und: Zur Not gibt’s ja auch noch die Omas. Auch heute noch sind Ansichten im Umlauf, dass einerseits Männer und „Arbeit” zusammengehören und andererseits Frauen und der Haushalt. Weil Frauen sich ja angeblich „besser um die Kinder kümmern können” und von Natur aus scheinbar dafür geschaffen sind, Waschmaschinen und Spülmaschinen zu bedienen. Geht’s noch?
 
Weitere Beispiele für zu wenig Gleichberechtigung gefällig? Auch wenn die Frau den Hof geerbt hat, wenn sie das landwirtschaftliche Studium hat und die Finanzen verwaltet, wird ihr Mann zu oft „automatisch” als Betriebsleiter gesehen – und sie als seine Frau. Kommen Kinder, überlässt auch eine Hoferbin dem Mann den Platz auf dem Traktor und übernimmt Kinder und Co als Zusatzaufgabe zu weit größeren Anteilen als er. Oft ohne das alles juristisch und notariell finanziell gut zu regeln. Weshalb Frauen im Falle einer Trennung oder im Alter zu oft ohne alles dastehen. Das belegen auch Aussagen von entsprechenden Beratungsstellen.
Leider wirkt Geschichte bis heute nach: Männer haben über Jahrhunderte ohne Frauen entschieden, was in Gesetzestexten steht. Mächtige Männer: Kirchenfürsten und Stammesführer, Grafen, Wissenschaftler, Bürgermeister, Adelige. All das ist so alt und etabliert, dass der von männlicher Macht geprägte Blick von allen, auch den Frauen,  zu sehr verinnerlicht ist und noch immer zu wenig auffällt.
Sich aktiv und hörbar einsetzen
Eigentlich, eigentlich, liebe Herren der Schöpfung und auch liebe Frauen, wären zum Internationalen Frauentag nicht Blumen angesagt oder ein Prosecco unter  Freundinnen. Sondern Taten. Veränderung, Weiterentwicklung und damit Vorbilder. Natürlich über den 8. März hinaus, alltäglich. Gefragt sind Männer, die sich selbstverständlich das Jahr über von Herzen für Gleichberechtigung einsetzen, statt die Thematik einfach den Frauen zu überlassen. Männer, die wie auch Frauen dafür kämpfen, dass beispielsweise Pflegekräfte angemessen bezahlt werden. Männer, die wirklich zur Hälfte den Haushalt führen und sich um die Kinder kümmern. Männer, die sich im Alltag aktiv und hörbar gegen abschätzige Äußerungen gegenüber Frauen und gegen Sexismus wenden, die laut aufschreien, weil jeden dritten Tag eine Frau in Deutschland von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet wird. Männer, die ihre eigenen Privilegien erkennen, kritisch  hinterfragen und dann vor allem im richtigen Moment einen Schritt zurücktreten. Männer, die sich als wirkliche Demokraten verstehen und damit anerkennen, dass es eine ganz klare Bedingung von Demokratie ist, dass alle Menschen gleichberechtigt sind – so, wie es das Grundgesetz doch schon seit Jahrzehnten nahelegt. Papier ist geduldig. Zu geduldig, offenbar.
Was es ebenso braucht: „Sisterhood”, Schwesternschaft. Was nach einem dieser neuen soziologischen Begriffe klingt, ist eigentlich ein alter Hut.  Gerade auf dem Land, da heißt es dann ganz bodenständig Landfrauenverband. Denn dort kann Schwesternschaft leben, Frauen spüren die Verbundenheit untereinander – und sie können Veränderungen erreichen, wenn sie es wollen. Denn je mehr Frauen sich bewusst machen, wo es hakt, sich zusammenschließen und den Mund für ihre Rechte aufmachen, desto eher werden sie gehört.
Es bleibt noch einiges zu tun
Bislang wird nur jeder neunte Hof von einer Frau geleitet.
Und dass da auch auf dem Land noch einiges zu tun ist, hat nicht zuletzt die vom Deutschen Landfrauenverband initiierte Studie zur Lebenssituation von Frauen auf landwirtschaftlichen Betrieben  gezeigt: Denn obwohl Frauen auf den Höfen bundesweit  eine tragende Rolle spielen, ist die Landwirtschaft nach wie vor eine männlich dominierte Branche. Nur jeder neunte landwirtschaftliche Betrieb wird von einer Frau geleitet. Immerhin planten 2020 18 Prozent der zur Hofübergabe befragten Einzelunternehmen eine Hofübergabe an die Tochter.  
Auch eine verbesserte Infrastruktur auf dem Land würde Frauen in Sachen Gleichstellung helfen, also  Angebote für Kinderbetreuung vor Ort und Schulen in erreichbarer Nähe, ein gut ausgebauter öffentlicher Nahverkehr, leistungsfähiges Internet und ausreichend attraktive Arbeitsplätze und Weiterbildungsmöglichkeiten sowie eine gut erreichbare medizinische Versorgung. Frauen, die Missstände benennen und damit in den Augen mancher „den Rahmen sprengen”, machen nichts kaputt, im Gegenteil: Sie machen den Rahmen für alle anderen größer, schöner und besser. Und ja, das kostet auch Kraft, aber es lohnt sich.  Genauso wie es sich lohnt, sich als Frau politisch zu engagieren und so Veränderungen zu erreichen.
Das Frauenwahlrecht, zum Beispiel, wurde nicht einfach irgendwann eingeführt. Es wurde eingefordert gegen enorme Widerstände – und scheint heute – gerade mal gut 100 Jahre alt – so selbstverständlich zu sein.
Erst seit 1958 eigenes Konto erlaubt
Weiteres Beispiel: Erst seit 1958 ist es Frauen gesetzlich erlaubt, ein eigenes Konto zu führen und damit über ihr Geld zu entscheiden. Und vor erst knapp 26 Jahren  wurde nach jahrzehntelangem Streit im Bundestag die Vergewaltigung in der Ehe zur Straftat erklärt – weil sich Politikerinnen über Parteigrenzen hinweg zusammenschlossen und für ihren Gruppenantrag endlich genug Zustimmung erhielten.
Klar ist: Je mehr Menschen aller Altersklassen, Frauen wie Männer, verstehen, dass konsequente Gleichberechtigung grundlegend für Demokratie ist, und sich dafür einsetzen, desto mehr müssen und werden Politik, Wirtschaft und Gesellschaft darauf reagieren. Auf geht’s!

Lesen und verschenken
Wie wäre es, zum Frauentag passende Bücher zu verschenken? Und die Beschenkten können diese allen Menschen in ihrem sozialen Umfeld zum Lesen weiterreichen. Dass die „Frau Müller vom Nachbarshof” sich jetzt für Sisterhood interessiert, bringt das Thema ins Alltagsgespräch. Dass ihr Mann sich fragt, was er für die Gleichstellung tun kann, ebenso.  Allein das bewirkt vermutlich mehr als gedacht.

Wir sind doch alle längst gleichberechtigt! von Alexandra Zykunov, Ullstein, 2022, ISBN 978-3548065335, 10,99 Euro: Oder: „Dein Mann ‚hilft‘ dir aber viel im Haushalt!” – das nennt die Autorin „Bullshitsätze” und in jedem Kapitel wird einer analysiert und widerlegt.  Rundumschlag aller Themen, die Frauen und Mütter – und Familien – heute betreffen. Sehr gut lesbar, sehr unterhaltsam und mit Energie und Schwung geschrieben; aber nicht leicht verdaulich.
Warum Feminismus gut für Männer ist von Jens van Tricht, Ch. Links Verlag, 2019, ISBN 978-3962890551, 20 Euro: Der Autor geht der spannenden Frage nach, welche Vorstellungen von Männlichkeit und welche einengenden Rollenerwartungen vorherrschen. Er zeigt, wie sie sich verändern lassen und dass davon alle Menschen profitieren.
Die Erfindung der Hausfrau von Evke Rulffes, Harper Collins, 2021, ISBN  978-374990 2408,  22 Euro: „Das bisschen Haushalt” ist unsäglich anstrengend und undankbar und kostet Frauen bis heute Kraft, Zeit – und damit viel Geld außerdem. In diesem Buch sind die historischen Entwicklungen von der gleichberechtigten „Jägerin und Sammlerin” zur vom Herrn des Hauses abhängigen Hausfrau sehr unterhaltsam beschrieben; und was diese Entwicklung mit dem – ungerechtfertigten – dauerschlechten Gewissen aller Mütter zu tun hat, wird auch gezeigt …
Auf Kosten der Mütter von Birgit Happel, Kösel, 2023, ISBN 978-3466311934, 18 Euro: Hier geht es wirklich um die Kosten und die Autorin beschreibt genau, wie Frauen auch heute noch mehr oder weniger unfreiwillig abhängig sind; warum finanzielle Selbstbestimmung für Frauen mit Familie so wichtig ist, warum es ihnen so schwerfällt und wie es sich vielleicht doch umsetzen lässt.  
Wir werden nicht unterwürfig geboren von Manon Garcia, Suhrkamp, 2021,
Sisterhood von Léonora Miano, Aufbau Verlag, 2022, ISBN 978-3351039936, 22Euro: Schwestern sind nicht nur weiße Frauen im globalen Norden, Veränderung ist überall nötig. Dieses Buch beschreibt das ausführlich und teilweise auch sehr fachlich. Nichts für Einsteigerinnen, aber wer die anderen vorgenannten Titel gelesen hat, dürfte dafür gut genug im Thema sein. 
Filmtipp: Die Unbeugsamen
Am Sonntag, 12. März 2023, zeigen die Lichtspiele Engel in Breisach in Kooperation mit dem Landfrauenbezirk Freiburg und dem Landfrauenverband Südbaden um 17 und um 19.30 Uhr die Dokumentation „Die Unbeugsamen”. Anlass ist der Weltfrauentag am 8. März. Der Film zeigt, wie Politikerinnen in vergangenen Jahrzehnten unerschrocken, ehrgeizig und mit viel Geduld ihre Beteiligung an den demokratischen Entscheidungsprozessen in Deutschland durchgesetzt haben, und lässt sie auch rückblickend zu Wort kommen. Karten  im Vorverkauf: www.kino-breisach.de.
Der Film ist auch im Fernsehen auf 3sat zu sehen: Mittwoch, 8. März 2023, 20.15 Uhr. In der ZDF-Mediathek ist der Film ab 7. März abrufbar.